Zehnter Todestag von Robert Enke: Biograf Ronald Reng im Interview - „Einen Sinn muss der Tod ja haben“

So hat Ronald Reng ihn heute vor Augen: der lachende Robert Enke.
 ©Jochen Lübke/dpa

Es war eine unfassbare Nachricht in den frühen Abendstunden des 10. November 2009. Robert Enke, damals Torwart des Fußball-Erstligisten Hannover 96, nahm sich das Leben.

Robert Enke beendet sein Leben an einem Bahnübergang in der Nähe der niedersächsischen Landeshauptstadt. Es stellte sich heraus, dass er seit Jahren an Depressionen litt. Sein Tod, der offene Umgang seiner Ehefrau Teresa Enke mit dem Erlebten, die Gründung der Robert-Enke-Stiftung – das sorgte für einen Aufklärungsruck, der durch Deutschland ging.

Einen Beitrag leistet auch Ronald Reng, Sportjournalist und Autor. Der 49-Jährige veröffentlichte zusammen mit Teresa Enke 2010 die Enke-Biografie „Ein allzu kurzes Leben“. Wir haben mit Reng zum zehnten Todestag des Ex-Profis über Erinnerungen und den Umgang mit Depressionen gesprochen.

Herr Reng, können Sie sich noch an den 10. November 2009 erinnern?

Ja, das ist einer dieser Tage, die man nicht mehr vergisst. Ich hatte mit Robert mittags kurz telefoniert. Um 12.36 Uhr. Diese Zahl ist mir auch immer geblieben. Er wirkte gehetzt, gestresst. Ich habe mir zusammengereimt: Ja, klar, weil er im Auto sitzt, nicht telefonieren kann. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass er unterwegs war, um eine Möglichkeit zu suchen, sich selbst zu töten.

Am Ende des Telefonats hat er gesagt: Ich rufe dich heute Abend zurück. Ich habe auf seinen Anruf gewartet. Er rief aber nicht mehr an. Dafür andere, die mir erzählten, dass Robert tot sei. Ich hatte ihn noch lebendig – so wie ich ihn am Telefon erlebt hatte – vor Augen. Dann kam diese Nachricht aus dem Nichts. Ich weiß noch, dass ich in der Küche war. Dass ich Tortellini gekocht habe. Statt sie zu essen, habe ich sie in den Müll geschüttet.

Sie wussten nichts von den Depressionen?

Nein, ich hatte kein Vorwissen von der Krankheit und wusste auch bei Robert nichts davon. Es fiel ihm schwer, darüber zu reden. Auch mit Freunden. Diese Scham ist auch ein Symptom der Krankheit.

Sie waren gut befreundet, das hört man auch jetzt noch. Wie schwer wird der Sonntag für Sie?

Der Todestag hat sich schon verändert. In den ersten Jahren sind wir immer mit seiner Frau und seiner Mutter zusammengekommen und haben viel über Robert geredet. Doch die Zeit heilt, das stimmt. Es ist jetzt nicht mehr so schmerzhaft wie nach drei Jahren. Es hat sich – schreckliches Wort – normalisiert. Robert ist aber immer noch sehr präsent in meinen Gedanken. Er ist ein Fixpunkt in meinem Leben. Ich arbeite ehrenamtlich für die Robert-Enke-Stiftung. Einen Sinn muss der Tod ja haben.

Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Ich denke heute oft an gemeinsame Erlebnisse. Die fröhlichen Augenblicke sind präsenter als die Momente, als ich ihn depressiv erlebt habe – ohne es zu wissen. Der Robert Enke, der mir bleibt, ist einer, der wunderschön lachen konnte.

Sie sagen, der Tod muss ja einen Sinn haben. 2010 haben Sie in einem Interview mal gesagt, dass die Gesellschaft schon etwas aus diesem Vorfall gelernt habe. Sind Sie heute immer noch dieser Ansicht?

Da werden häufig falsche Hoffnungen geweckt. Was soll sich denn nach Roberts Tod ändern? Das Einzige, was sein Tod meiner Ansicht nach verändern kann, ist, dass die Betreuung der Menschen besser wird. Dass wir ein besseres Verständnis von Depressionen haben und gleichzeitig die ärztliche Versorgung besser wird.

Gerade wenn wir heute den Leistungssport anschauen, ist da sehr viel Gutes passiert. Damals war es für Robert schwierig, überhaupt den richtigen Arzt zu finden. Es gab keine spezialisierten Sportpsychiater. Heute gibt es ein ganzes Netzwerk. Das Verständnis dafür, dass Depressionen eine Krankheit sind, ist gewachsen. Robert glaubte, er müsste sein Leiden geheimhalten. Heute haben wir viele Spitzensportler, die offen darüber geredet haben. Andrés Iniesta, Danny Rose und Serena Williams sind nur einige Beispiele.

Es geht also nicht unbedingt um den Umgang untereinander?

Aus der Trauerrede des damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, die nach Roberts Tod offenbar viele bewegt hat, entstand der völlig falsche Glauben, dass ein netteres Ambiente Menschen mit Depressionen schon helfen würde. Das ist eine fatale, weil kontraproduktive Botschaft. Depressive brauchen genauso wie Krebskranke keine Kuschelatmosphäre, sondern eine gute medizinische Betreuung.

Keiner käme auf die Idee zu sagen, wenn wir nur alle rücksichtsvoller sind, gibt es weniger Krebserkrankungen – und genauso werden wir nicht weniger Depressionsfälle erleben, nur weil Fußballfans nicht mehr Spieler beschimpfen. Denn Depressionen sind – ähnlich wie Krebs – eine Krankheit mit genetischen, biochemischen Ursachen. Der Stoffwechsel im Gehirn ist gestört.

Im Fall von Robert war es nie die Ursache seiner depressiven Schübe, dass ihn jemand schlecht behandelt hat. Robert Enkes Tod kann die Umgangsformen in der Gesellschaft nicht verändern. Was der Tod hoffentlich geschafft hat, ist ein sachlicher Umgang mit der Krankheit.

Welchen Einfluss haben Drucksituationen?

Bei allen Indizien, die ich habe: Robert Enke wäre auch als Journalist, als Bäckermeister oder als Reiseleiter an Depressionen erkrankt. Er hatte eine genetische Veranlagung dafür. Robert war ein sensibler Mensch – im besten Sinne des Wortes –, weil er einfühlsam war, wenn er gesund war. Aber er war im gesunden Zustand auch unglaublich druckresistent. Die Formel „zu hoher Druck = Depressionen“ ist schlicht falsch. Nach dieser Milchmädchenrechnung müsste Afrika ja eine gigantische Depressionsrate haben, denn für viele Menschen dort ist der tägliche Druck: Wie überlebe ich überhaupt?

Sie würden einem Fußballer in einer vergleichbaren Situation mit der Enkes also nicht empfehlen, mit dem Sport aufzuhören?

Nein, ich würde ihm raten, in Behandung zu gehen. Es war nicht der Druck, der Robert Enke krank gemacht hat. Vom Druck allein kriegen Sie vielleicht ein Magengeschwür. Robert hatte offenbar schon depressive Verstimmungen, als er noch nicht im Hochleistungssport unterwegs war. Der Sport hat Robert wahnsinnig viel gegeben. Was ihm gefehlt hat, war ein Ausgleich zum Fußball. In den Momenten, in denen es sportlich nicht lief, hatte er das Gefühl, alles bricht mir unter den Füßen weg, ich habe doch nichts außer Fußball.

Was machen Sie am Sonntag? Sind Sie in Hannover?

Nein, ich bin vorher zwei Tage in Berlin für die Enke-Stiftung und werde dann in Bozen bei meiner Familie sein. Es wird bewusst kein außergewöhnlicher Tag sein. Das hat sich verändert. Wenn ich in Hannover bin, gehe ich auch nicht mehr jedes Mal zum Grab. Ich gehe an die glücklichen Orte von Robert, dorthin, wo er gern war, zum Beispiel ins Café Kreipe. Da denke ich an ihn.

Zur Person: Ronald Reng

Ronald Reng (49) wurde in Frankfurt geboren und lebt mittlerweile in Bozen in Südtirol. Er ist Sportjournalist und Autor. Seine Biografie über Robert Enke „Ein allzu kurzes Leben“ wurde mehrfach ausgezeichnet. Reng ist aber nicht nur Enkes Biograf, er war auch ein guter Freund des verstorbenen Ex-Profis. Der 49-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Erinnerungen an den 10. November 2009

Wenn jemand irgendeine Verbindung zum Fußball-Klub Hannover 96 hat, dann wird er diesen 10. November 2009 nicht vergessen. Er wird nicht vergessen, was er gerade getan hat, als diese Nachricht an die Öffentlichkeit kam. Wie er darauf reagiert hat. Ich bekam damals eine SMS von einem guten Freund. „Schon gehört? Enke soll wohl tot sein.“ Kurz, prägnant, schockierend. 

Ich weiß, dass ich das in diesem Moment noch gar nicht richtig verarbeiten konnte. Enke tot? Warum? Dass es Suizid war, stellte sich erst kurze Zeit später heraus. Die Erkenntnis, dass Enke an Depressionen litt, dauerte noch etwas länger. Dann kam Tage später die Trauerfeier. Ich kann mich daran erinnern, wie Enkes Sarg im Stadion aufgebahrt wurde, wie unter anderem Hanno Balitsch, Altin Lala, Steven Cherundolo und Jiri Stajner diesen in die Katakomben trugen. 

Begleitet von LeAnn Rimes’ traurigem Lied „The Rose“. Ich habe mich damals schon gefragt, ob das nicht unglaublich traumatisch sein muss. Ich erinnere mich an die Tränen, an meine Tränen, die bei der Erinnerung auch heute noch wieder hochkommen. Ich kannte Enke nicht einmal persönlich, er war nur ein Idol. Ich weiß noch, dass Hannover anschließend in zwölf Spielen einen Punkt holte, am Ende doch irgendwie noch den Klassenerhalt schaffte. Hannover war so stolz einen wie Enke zu haben.

Fakten zum Sonntag: Zum zehnten Todestag gibt es einige Aktionen und besondere Berichterstattungen im TV

Der 10. Todestag von Robert Enke ist Anlass für einige Aktionen und eine besondere Berichterstattung im TV. Ein Überblick:

  • Trauerflor: In den drei Fußball-Profiligen werden die Spieler am Sonntag mit Trauerflor auflaufen. Auch in den Amateur-Spielklassen ist es Mannschaften freigestellt, sich zu beteiligen.
  • Handschuhe: Hannover 96 ist am Sonntag im Einsatz. Die Niedersachsen spielen in Heidenheim. 96-Torhüter Ron-Robert Zieler wird dabei ganz besondere Torwart-Handschuhe tragen. Sie sind denen nachempfunden, mit denen Enke zuletzt für Hannover und die Nationalmannschaft spielte. Auf dem Daumen ist der Schriftzug „Gemeinsam am Leben festhalten“ eingearbeitet, auf der Lasche steht „Robert Enke“. Von diesen Handschuhen wurden 300 Stück produziert, die für 79,99 Euro erhältlich sind. Der Erlös geht an die Robert-Enke-Stiftung.
  • Dokumentation: Der NDR zeigt am Sonntagabend ab 23.45 Uhr eine Dokumentation mit dem Titel „Robert Enke – Auch Helden haben Depressionen“. Diese ist schon jetzt in der ARD-Mediathek abrufbar.

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