Sozialgericht Stade: Klagenflut gegen Leistungsbescheide - Von Ines van Rahden

Kein Ende in Sicht

Die Flut an Widersprüchen gegen Hartz IV reißt nicht ab. Beim Sozialgericht in Stade gehen derzeit monatlich rund 220 Klagen gegen die Leistungsbescheide der Jobcenter ein und beschäftigen damit vier der zehn Richter. Auch Kerstin Guischard aus Rotenburg zog kürzlich in Stade vor Gericht. Die 42-Jährige hatte zuvor dreieinhalb Monate auf ihren ALG II-Bescheid gewartet.

Die Vorgeschichte: Nach 23 Dienstjahren musste die gelernte Krankenschwester 2007 ihren Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben, Neun Monate lang erhielt sie Arbeitslosengeld I, Mitte 2008 stellte sie einen Antrag auf Arbeitslosengeld II. Damit begann für die Rotenburgerin ein Spießrutenlaufen. "Ich wurde von einem zum anderen geschickt, so richtig zuständig fühlte sich niemand“, erzählt Guischard. Immer wieder wurde sie vom Arbeitsmarktportal Rotenburg (Arrow) aufgefordert, Unterlagen nachzureichen. "Dabei lagen viele davon schon längst schriftlich vor. Das kann ich mit Eingangsstempel belegen.“ Für die Mutter zweier Kinder war die Bearbeitung ihres Antrags eilig. Nicht zuletzt, weil sie den Leistungsbescheid für die GEZ-Freistellung, die Anträge auf Wohngeld und Ausbildungsförderung für die 18-jährige Tochter sowie Lehrmittelfreiheit benötigte. Doch das Papier ließ auf sich warten. Fragte Guischard persönlich beim Amt nach dem Stand der Dinge, seien die Sachbearbeiter um Ausreden nicht verlegen gewesen: "Entweder war die entsprechende Mitarbeiterin gerade krank oder plötzlich in Mutterschutz gegangen oder es war auf einmal eine ganz andere Bearbeiterin zuständig. Ich wurde nur hin- und hergeschickt, ohne Ergebnis“, kritisiert die Rotenburgerin die Arbeit des Arrow. Als sie im September einen Brief aufsetzte und um eine kurzfristige Bearbeitung ihres Antrags vom 5. Juni 2008 bat, wurde sie nach eigenen Angaben wiederholt ignoriert. "Damit war das Maß voll. Ich habe die Sache in die Hände meines Anwalts gelegt, der dann Klage beim Sozialgericht in Stade einreichte“, erzählt Guischard. Nach vier Monaten flatterte dann mit Hilfe der Rechtsprechung endlich ein vorläufiger Bescheid ins Haus. An Überweisungen erhielt Guischard vom Arrow im Juli 200 Euro. Davon konnte sie ihre Miete nicht bezahlen, musste bei ihrem Vermieter um Verzug bitten. Die folgenden Monate wurden ihr auf gesetzlicher Berechnungsgrundlage 838 Euro überwiesen. Abzüglich der Warmmiete blieben der Mutter und ihren Töchtern noch 238 Euro zum Leben. Das Kindergeld in Höhe von 308 Euro und die Unterhaltszahlungen für die jüngere Tochter in Höhe von 288 Euro wurden als Einkommen angerechnet. "Von dem Geld musste ich alle laufenden Kosten bezahlen. Ich wusste manches Mal wirklich nicht, was ich meinen Kindern zu essen kochen sollte.“ Harald Glüsing, Leiter des Arbeitsmarktportals in Rotenburg, wollte zu dem Fall Kerstin Guischard keine Stellung beziehen, erklärte aber: "Es kam tatsächlich zu Verzögerungen unsererseits und wir haben deshalb bereits bei der Betroffenen um Entschuldigung gebeten.“ Er versicherte, dass die Bearbeitung von Anträgen in der Regel in deutlich kürzerer Zeit erfolge – vorausgesetzt, dem Arrow lägen alle Unterlagen vor. Dass kreisweit Unmut über die Arbeit der Jobcenter im Speziellen und die Berechnungen der Leistungsbescheide im Allgemeinen herrscht, belegen die wachsenden Zahlen an Gerichtsverfahren. Annette Zurbrüggen, Pressesprecherin beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, betont, dass sich die Zahl der eingehenden Klagen im Sozialgericht Stade seit Einführung des Hartz IV um 22 Prozent erhöht habe. Die Erfolgsquote einer Klage liege bei etwa 40 Prozent. Die Richterin weiß, dass die Bescheide oft fehlerhaft sind, "wobei vieles eben auch rechtlich noch sehr umstritten ist. Und das erschwert den Jobcentern die Arbeit.“ Das Hartz-IV-Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes wurde seit seiner Einführung zum 1. Januar 2005 übrigens bislang mehr als 20 Mal geändert. Ein Ende ist (noch) nicht in Sicht…

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