Professor Dr. Inge Hansen-Schaberg hielt Referat

Über Alma Maters Töchter

Professor Dr. Inge Schaberg hielt in der Cohn-Scheune ein Referat über die Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Akademikerinnen in der NS-Zeit Foto: Lehmann
 ©Rotenburger Rundschau

(le). Das richtige Thema am richtigen Ort: In der Cohn-Scheune, gewidmet dem Gedächtnis an die im Dritten Reich deportierte Rotenburger jüdische Familie, sprach Professor Dr. Inge Hansen-Schaberg (1954 in Flensburg geboren), über den Aderlass, den die Nationalsozialisten an Wissenschaftlerinnen und Akademikerinnen vornahmen. Grundlage ihres Vortrags war das Buch „Alma Maters Töchter im Exil. Zur Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Akademikerinnen in der NS-Zeit“, das sie gemeinsam mit der Münchener Publizistin Hiltrud Häntzschel 1911 herausgegeben hat.

Deutlich wurde der Aderlass, den diese Vertreibung bedeutete, sichtbar wurde aber auch, mit welchen Schwierigkeiten die Emigrierten im Ausland zu kämpfen hatten. Nur wenigen gelang schließlich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Rückkehr und Wiedereingliederung in Deutschland. Dabei passt durchaus in das Bild der Nachkriegsjahrzehnte, dass erst seit den 1970er-Jahren die Forschung zu den Vorgängen und Folgen der NS-Zeit überhaupt in Gang kamen. Am 14. April 1939 erschien in Boston (USA) die Untersuchung „Escape to Life“ von Klaus und Erika Mann. Darin stellten sie Namen und Schicksale deutscher Emigranten in Nordamerika zusammen. Es ist aufschlussreich, dass diese Untersuchung in Deutschland erst mit mehr als 50-jähriger Verspätung, übrigens unter dem Titel „Von deutscher Kultur im Exil“, erschien. Es dauerte noch einmal bis in die 1990er-Jahre, bis auch die Schicksale verfolgter Frauen in den Blick gerieten. Immer wieder belegte Hansen-Schaberg die Entwicklung mit eindrücklichen Zahlen: Nach vorsichtigen Schätzungen wird von mehr als 500.000 deutschsprachigen Emigranten (unter ihnen rund 30.000 politische Oppositionelle und etwa 278.500 jüdische Flüchtlinge) ausgegangen. Es fällt schwer, zu ermessen, was das für das geistige, gesellschaftliche und politische Leben, die deutsche Wissenschaft und Kultur bedeutet haben dürfte. Bis 1940, so Hansen-Schaberg, emigrierten etwa 1.100 bis 1.500 Universitätslehrer und Professoren, darunter 13 Professorinnen – wobei das Missverhältnis auch der Situation von Frauen in jener Zeit geschuldet ist. Auch dazu legte die Referentin Zahlen vor: Bis 1908 waren Frauen nur als Gasthörerinnen an Universitäten zugelassen. Danach, bis 1933, gab es 4.725 Studentinnen, von denen 219 promovierten (ohne medizinische Promotionen). Dabei ist bemerkenswert, dass fast die Hälfte (103) auf Mathematik, Naturwissenschaften und Technik entfielen. Zum Vergleich: An allen deutschen Universitäten gab es zwischen 1908 und 1933 143.527 männliche und 10.595 weibliche Promotionen, wobei auf die Frauen wiederum 60 Prozent der Doktorexamina in Naturwissenschaften und Medizin entfielen. Aus rassischen und politischen Gründen wurden 30 Prozent der Hochschullehrer von den Nationalsozialisten aus ihren Ämtern entfernt, jedoch mehr als 50 Prozent der Hochschullehrerinnen. Von den 53 Professoren und Professorinnen, die an der Universität Göttingen ihres Amtes enthoben wurden, emigrierten 35. Was das für das Geistesleben in Deutschland bedeutete, wurde an wenigen Einzelbeispielen klar: Die erste Juristin im Staatsdienst, Dr. Anita Augspurg, starb 1943 im Exil. 1902 hatte sie den Verein für Frauenstimmrecht gegründet. Und die liberale Sozialreformerin Alice Salomon, Begründerin der Berufsausbildung sozialer Frauenberufe, starb 1948 im Exil in New York. Die Physikerin Lise Meitner (1878 – 1968), 1906 in Wien promoviert, war seit 1907 Mitarbeiterin von Otto Hahn und Max Planck am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut. 1938 floh sie nach Schweden, erhielt dort 1946 eine Professur. Der Nobelpreis für die Entdeckung der Kernspaltung wurde 1944 nur an Otto Hahn verliehen, sie blieb unberücksichtigt. Die Liste, welche die Referentin vortrug, umfasste zahlreiche weitere Einzelbeispiele (im Juni wird es zu den Arbeitsergebnissen ihrer Studenten an der Uni Göttingen im Kantor Helmke-Haus eine Ausstellung geben). Deutlich wurden die Probleme, die sich bei der Entscheidung für eine Emigration stellten, aber auch die Schwierigkeiten, im fremden Land Fuß zu fassen. Nach den langen Jahren des Schweigens und der Nichtbeachtung geht es Hansen-Schaberg nunmehr aber auch um die Etablierung einer „mündigen Erinnerungskultur“ – mündig und (im Blick auf die Schicksale, aber auch auf heute) angemessen und würdig.

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