Über Moore in der Region und ihre Mächtigkeiten - Von Christiane Looks

Schaurig schön

Der Grabhügel bei Kirchwalsede. Foto: Joachim Looks
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Kirchwalsede. „Oh, schaurig ist‘s, übers Moor zu gehen ...“ – als Schülerin hatte ich die erste und letzte Zeile der bekannten Ballade Annette von Droste-Hülshoffs „Der Knabe im Moor“ nie richtig verstanden. Mir war unverständlich, wieso jemand „übers“ Moor gehen konnte. Nach meinem Kenntnisstand gingen die Bewohner unseres Dorfes zum Torfstechen auch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ins Moor, und dort musste genau aufgepasst werden, nicht in einem abgetorften Bereich zu versinken. Von „übers Moor“ gehen, sprach nie einer.

Fremd war mir ebenfalls geblieben, wieso in der Ballade ausgiebig das Schaurige des Moores mit all seinen rätselhaften Erscheinungen beschrieben wurde und es dann zusätzlich in der letzten Zeile hieß: „Oh, schaurig war‘s in der Haide!“ Natürlich wusste ich, dass mit der „Haide“ eine Heide wie die Lüneburger Heide gemeint war, aus der meine Eltern nach ihrem alljährlichen Ausflug ohne Kinder gerne als Souvenir ein Heidekörbchen mitbrachten, das dann ziemlich kitschig im Wohnzimmer auf der Anrichte stand, immer trockener wurde, seine verblassenden Blüten abwarf und beim Staubwischen störte. Heide war etwas mit sehr viel Sand, Heidekraut, Schafen, Schäfern und Schäferhunden. So meine damalige Vorstellung.

Unser Dorfmoor ähnelte dem aber in keinster Weise. Während ich mit Heide ganz selbstverständlich jenes „wunderschöne Land“ verband, das in dem bekannten Lied von der Lüneburger Heide beschrieben wird, überrumpelte Annette von Droste-Hülshoff mich im Deutschunterricht damit, dass die schöne Heide mindestens ebenso schaurig sein sollte wie ein tückisches Moor. Wer sollte dieses begreifen? Mir fiel es schwer. Also lernte ich die Ballade ohne tiefere Erkenntnis in den Zusammenhang von Moor und Heide auswendig, vergaß – wie viele – die letzte Zeile und erinnerte – wie die meisten – später vor allem die Eingangsworte vom schaurigen Moor.

Eine Erhebung des Regierungspräsidiums Stade, 1947 für den Altkreis Rotenburg zuständig, ergab, dass etwa 30 Prozent der Fläche des Kreisgebietes Moore waren. Darunter fanden sich im Hohen Moor bei Westeresch, auf das uns Karsten Müller-Scheeßel hinwies, solche mit erheblicher Mächtigkeit von bis zu 6,5 Metern, die abbauwürdig waren – und auch abgebaut wurden. Einige Moore wurden in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gründlich wissenschaftlich erforscht. Die Untersuchungen zeigten, dass etwa 8.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung in abflusslosen Mulden und am Rand verlandender Seen das dort stehende Wasser versauerte und sich Braunmoos-, Seggen- und Schilftorfe bildeten. Knapp 3.000 Jahre später gab es eine interessante Zäsur, denn trotz des sehr geringen Gewinns an jährlicher Höhe von nur 0,1 bis 0,2 Millimetern verzeichneten diese sogenannten Niederungsmoore mittlerweile ein derartiges Höhenwachstum, dass sich aus ihnen Hochmoore ohne Grundwasserkontakt entwickelten hatten. Diese beschleunigten die Torfbildung mit bis 1,8 Millimetern Zuwachs zwar, mussten aber dafür allein mit nährstoffarmen Niederschlägen auskommen – eine Herausforderung für Pflanzen und Tiere dieser lange Zeit landwirtschaftlich nicht nutzbaren Gebiete, mit extremen Temperaturschwankungen von scharfem Frost weit in den Frühling hinein, über bis zu 70 Grad in bodennahen Schichten im Sommer und in ungünstigen Jahren bereits ab September mit ersten Bodenfrost-schüben. Wohl fühlen sich bei diesen schaurigen Bedingungen nur Spezialisten wie beispielsweise Heidekrautgewächse. Annette von Droste-Hülshoff wusste also sehr genau, warum sowohl Moor wie Heide nicht von jedem als idyllische Orte angesehen wurden.

Bei diesen Bedingungen überrascht es, dass am Rande von Mooren oft Grabhügel sind. Seit Menschen in der Jungsteinzeit sesshaft wurden (in der Region vermutlich 3.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung), bestatteten sie ihre Toten in Grabanlagen. Wird der riesige Zeitraum bis heute berücksichtigt, verwundert es nicht, dass ein Grab an einem ursprünglich offenen Gewässer nach den Jahrtausenden bis heute in einem gänzlich anderen Umfeld liegt.

Ein interessantes Beispiel für diese Veränderung kann südwestlich von Kirchwalsede entdeckt werden. Von der Ortsmitte aus ein Stück der Wittorfer Straße Richtung Wittorf bis zum Eichenweg folgen. In denselben einbiegen. Nach dem Queren der Süderwalseder Straße heißt der asphaltierte Weg nun Sehlinger Weg. Er stößt auf die Straße Zum Hampberg, diese geht nach 1,3 Kilometern in eine Art Wegestern über. Dort sofort scharf rechts abbiegen. Nach 240 Metern die befestigte Straße verlassen und linkerhand einem Pfad folgen. Er überwindet einen Graben und führt nach gut 100 Meter zu einem idyllisch gelegenen Grabhügel. Der Hügel liegt in einem Moorgebiet und wird anschaulich auf einer Hinweistafel der Kreisarchäologie erläutert. Er lag ursprünglich vermutlich am Rand eines Sees, aus dem sich dann später das Moor entwickelte, über das aber dort nicht ängstlich gegangen werden muss, wie in der oben erwähnten Ballade.

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