„Kidstime“-Workshops am Diakonieklinikum Rotenburg - Von Nina Baucke

Schluss mit dem Tabu

Heinrich Hahn (von links), Sandra Schmidt, Henner Spierling und Daniela Wolter begleiten das Projekt "Kidstime".
 ©Nina Baucke

Rotenburg. Es gibt Tage, an denen geht es ihr gut, und es gibt Tage, an denen die 34-jährige Dana (Namen von der Redaktion geändert) weit davon entfernt ist, ihren Zustand mit „gut“ zu beschreiben. Die zweifache Mutter ist psychisch erkrankt. „Mein Filter ist voll“, sagt sie dann zu ihrer zehnjährigen Tochter Lena. Für Lena ist dieser Satz das Zeichen, mit dem sie den Zustand ihrer Mutter einschätzen kann.

„Psychisch kranke Eltern müssen sich jedes Mal vor ihren Kindern irgendwie rechtfertigen, wenn es ihnen nicht gut geht. Das ist schwer“, weiß Henner Spierling, Diplompsychologe am Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) in Rotenburg. Die Metapher mit dem Filter, die Dana benutzt, um Lena klarzumachen, warum es ihr nicht gut geht, kommt aus dem „Kidstime“-Workshop, den das Agaplesion Diakonieklinikum anbietet.

Rund drei Millionen Kinder in Deutschland haben mindestens einen Elternteil, der psychisch erkrankt ist, etwa 5.000 sind es im Landkreis Rotenburg. „Und dennoch ist das ein tabuisiertes Thema“, sagt Heinrich Hahn, Leiter des SPZ. „Daher haben wir uns überlegt, welches Angebot wir Familien machen können, das vor allem den Kindern ein Forum bietet.“

Vor einem Jahr hatte Spierling das Konzept für den Workshop aufgetan und nach Rotenburg geholt. Doch „Kidstime“ ist schon einige Jahre älter: Bereits in den 90er Jahren hatten es Ärzte am St.-Pancras-Hospital in London entwickelt. „Früher wurden Kinder psychisch erkrankter Personen kaum wahrgenommen“, erklärt der Diplompsychologe. Das ist bei „Kidstime“ anders: Kinder als auch ihre erkrankten Eltern haben die Gelegenheit, sich in einem geschützten Rahmen mit Psychologen und Therapeuten auszutauschen, Fragen zu stellen, Sorgen loszuwerden. Und das niedrigschwellig, ohne Hürden. „Dieses Angebot hat nichts mit den Krankenkassen zu tun“, betont Spierling. „Der Workshop hat eine offene Struktur, die Familien können kommen, wann sie wollen, aber auch mal wegbleiben“, erklärt Sandra Schmidt vom Amt für Jugend und Familie des Landkreises. Die Kommune fördert das Projekt, ebenso wie die Robert-Enke-Stiftung.

Der Knackpunkt des Workshops steckt in dem Begriff „young carers“, mit dem das Team um den Konzeptentwickler Alan Cooklin die Rolle, die die Kinder von psychisch kranken Eltern oft einnehmen, in Worte fasst: junge Menschen, die in ihren Familien viel Verantwortung und Aufgaben unternehmen. bSpierling und das Team des „Kidstime“-Workshops wollen den Kindern den Druck nehmen. „Wir wollen sie unterstützen und stärken. Es geht darum, ihnen zu helfen, zu entscheiden, welches Päckchen sie tragen wollen und können“, so der Diplompsychologe. „Kinder haben sehr feine Antennen, aber sie neigen schnell dazu, sich für etwas schuldig zu fühlen und mehr Verantwortung zu übernehmen, als es ihnen gut tut.“ Ihm ist vor allem ein Punkt besonders wichtig: „Gerade die Kinder, an die sich unser Angebot richtet, sind selbst nicht krank. Aber sie brauchen Erklärungen über die Krankheit ihrer Eltern.“

Fünf bis zehn Familien nehmen derzeit an den Workshops teil. Bei den Treffen sprechen die Eltern über Stressmanagement, während auf die Kinder ein kreatives Angebot wartet. „Oft entsteht am Ende ein kleines Video, dass wir uns dann zusammen anschauen“, sagt Daniela Wolter, Kunst- und Ergotherapeutin. Dazu kommt ein gemeinsames Pizza-Essen. „Wir lassen uns immer wieder von den einzelnen Workshops überraschen“, sagt Spierling. „Denn der Schlüssel zu dem, was ‚Kidstime‘ so wirksam macht, ist, dass die Familien, besonders die Kinder, die Ideen mitbringen.“

Kinder wie Lena: Sie hat Spaß bei „Kidstime“, aber vor allem weiß sie jetzt, wie sich die Krankheit auf ihre Mutter auswirkt. „Ich habe früher nicht verstanden, was ich dann und dann machen darf – jetzt weiß ich mehr.“ Auch die 52-jährige Karin, die mit ihren pubertierenden Söhnen bei „Kidstime“ dabei ist, ist froh über das Angebot: „So was ist ja kein Schulhofthema, und hier haben meine Jungs die Möglichkeit, sich auszutauschen.“ Auch Freundschaften sind schon in der Gruppe entstanden.

Karin ist über Mundpropaganda auf die Gruppe aufmerksam geworden. „Wir freuen uns, dass ‚Kidstime‘ schon einen Selbstläufercharakter bekommen hat“, sagt Hahn. „Viele finden zu uns, da andere Familien von uns erzählt haben.“ Er hofft auf eine langfristige Etablierung des Projektes und die Umwandlung in ein festes Angebot – sowie darauf, es auch in die Regionen Bremervörde und Zeven und damit in die Fläche zu tragen.

Für Karin und ihre Söhne ist die Teilnahme an „Kidstime“ ein wichtiger Schritt: „Denn neue Kontakte bedeutet auch: raus aus der sozialen Isolation.“

Jeden letzten Freitag im Monat stehen für die Zeit von 16 bis etwa 18.45 Uhr die Türen im Tine-Albers-Haus – auf dem Mutterhausgelände des Diako, Elise-Averdieck-Straße 17 – für „Kidstime“ offen. Weitere Informationen erteilt Henner Spierling, E-Mail an kidstime@diako-online.de und an h.spierling@diako-online.de

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