VON ERHARD THIES

Rumgrog und Tarras durften nicht fehlen

Wenn es um historische Ereignisse in und um Hellwege geht, ist Erhard Thies der richtige Ansprechpartner. Der ehemalige Bürgermeister des Wümmeortes und der Samtgemeinde Sottrum hat alle wichtigen Daten und Fakten archiviert. Für die Rundschau schrieb er die Geschichte der Hausschlachtungen auf.

Seit unzähligen Generationen ist es das Schicksal der Schweine, von den Menschen verzehrt zu werden. Die Menschen mögen zu allen Zeiten noch so tierlieb gewesen sein, eines war sicher: Das Ende eines Hausschweins war und ist der Anfang einer Wurst. Früher, das heißt solange ich zurück denken kann, wurde fast in jedem Haushalt in den Dörfern ein Schwein geschlachtet. Natürlich auch im Dorf an der Wümme, in Hellwege. Nach Aussagen des Hellweger Hausschlachters Heinrich Denker war das 1986 letztmalig der Fall. Die mir bekannten Hausschlachter in der Gemeinde hießen Wilhelm Wrigge und Heinrich Denker, noch ältere Hellweger können sich auch an Johann Rippe erinnern. Die Tätigkeit des Hausschlachters war ein Nebenerwerb, oft gingen Landwirte oder Maurer diesem Beruf nach. Hausschlachtungen fanden von September bis April statt, also in Monaten die mit "R" geschrieben werden. Diese alte Bauernregel fand strikte Beachtung. Bevorzugt wurden aber das Schlachten in den kalten Wintermonaten. Nachdem mit der Bäuerin oder der Hausfrau ein Schlachttermin vereinbart war, ging es morgens pünktlich mit der Arbeit los, da die Hausfrau dafür sorgen musste, dass rund 100 Liter heißes Wasser zur Verfügung standen. Dazu diente oft der große Waschkessel, der in den meisten Häusern vorhanden war. Hatte der örtliche Fleischbeschauer, in Hellwege Johann Rugen, das Tier begutachtet und sein Einverständnis gegeben, konnte die Arbeit beginnen. Das Schwein wurde mit einem Strick in der Schnauze aus dem Stall geführt. Zumeist ein Schwein, das in mehreren Monaten auf mindestens 200 bis 300 Pfund Lebendgewicht gemästet war, gelegentlich aber auch auf über 300 Pfund. Das Tier musste nüchtern sein, sollte also seit etwa einem Tag nichts mehr gefressen haben. Oftmals kam auch ein Nachbar zur Hilfe, um das Schwein gemeinsam auf die Schlachtbank zu legen und festzubinden. Der Schlachter betäubte und schoss das Tier dann mit einem Bolzenschussapparat. Dann musste mit einem besonders scharfen Messer die Halsschlagader durchtrennt werden. Aufgabe der Hausfrau war es, das Blut in einem Eimer mit etwas kaltem Wasser darin aufzufangen und solange umzurühren bis es erkaltet war. Das aufgefangene Blut sollte später für die Verwertung des Tieres noch gebraucht werden. Es war wichtig, dass viel Blut abfloss und nicht im Schwein gerinnen konnte und somit das Fleisch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Nach dieser Arbeit gab es für alle Beteiligten erstmals eine Stärkung aus dem "Köömbuddel" oder auch einen Rumgrog. Wenn die Borsten sich auch sauber vom Schwein lösen sollten, behauptete der Schlachter, musste noch ein zweiter Kööm hinterher getrunken werden. Zunächst wurde das Schwein mit kochend heißem Wasser aus einer Gießkanne abgebrüht. Die Haut wurde weich und so konnten die Borsten mit einer Glocke abgeschabt werden. Danach wurden mit einem scharfen Messer Kopf, Ohren, Schwanz und Pfötchen nachpoliert und anschließend mit kaltem Wasser abgewaschen. Das saubere Tier brachten mehrere Männer auf die Diele des Hauses, um es mit einem Reep an den Hinterbeinen am Hausbalken hochzuziehen. Wer keine Diele zur Verfügung hatte, befestigte das Schwein an einer Leiter und lehnte diese an eine Hauswand. Nach der körperlichen Anstrengung war natürlich wieder der kleine Kööm gefragt. Das Schwein wurde vom Schlachter aufgebrochen, das heißt aufgeschnitten und die Innereien ausgenommen. Danach war dann das wohlverdiente Frühstück für alle Beteiligten angesagt. Hier fand man auch die Zeit, den berühmten Tarras, Korn in heißem Kaffee, zu trinken. Gut gestärkt ging es wieder an die Arbeit. Mit dem Schlachtebeil teilte der Hausschlachter das Tier in zwei Hälften. Danach konnten dann die Flomen entnommen werden, die mit zwei Gabeln am Tier festgesteckt wurden. Das geschlachtete Schwein hatte nun Zeit zum Auskühlen. Auch wenn schon ein gutes Stück Arbeit vollbracht war, mussten noch die Därme, der Magen und die Blase gesäubert werden. Die Blase wurde vom Schlachter mit dem Mund wie ein Luftballon aufgeblasen, abgebunden und in einem warmen Raum zum Trocknen aufgehängt. Därme und Magen wurden für die Wurst gebraucht. Hausfrau und Schlachter bestimmten die Uhrzeit zum Wursten am nächsten Tag. Nachmittags kam dann noch einmal Johann Rugen, der das untersuchte. Hatte er das Tier für in Ordnung befunden und frei gestempelt, war es zur Wurstverarbeitung freigegeben. Am nächsten Tag konnte gewurstet und das Fleisch zerlegt werden. Morgens zwischen 4 und 5 Uhr machte sich der Hausschlachter wieder an die Arbeit. Die Hausfrau hatte einen Raum vorbereitet. Eine Schweinehälfte legte man auf den Tisch, so konnten der Schinken gelöst, Bratenstücke, Kotelettstränge und Speckseiten zurechtgeschnitten werden. Das Fleisch für Wurst und Braten teilte die Hausfrau auf. In vielen Häusern gab es ein besonderes Holzfass zum Salzen der Schinken, des Specks oder des Bauchfleischs. Eisbein, Rippchen, Pfoten und Schwanz mussten gepökelt werden, um sie haltbar zu machen. Bratenstücke oder Kotelett wurden angebraten und in Gläser oder Dosen eingemacht. Die Dosen konnten beim Schmied Tramm in Hellwege mit einer speziellen Maschine verschlossen werden. Als Hellwege 1962 ein Kalthaus bekam, ging man dazu über, das Fleisch tiefgefroren einzulagern. Alles weitere Fleisch, welches zum Wursten vorgesehen war, kam zum Kochen in den großen Waschkessel. Das Fleisch für die Mettwurst wurde erst geschnitten, dann in einer Holzmolle mit Salz, Pfeffer und anderen Gewürzen sowie einem kleinen Schuss Rum angemengt. Mit viel Kraft musste das zubereitete Mettwurstfleisch danach durch den Fleischwolf gedreht werden. War das Fleisch zerkleinert, wurde es in der Molle erneut durchgeknetet und abgeschmeckt. Das fertige Mett in handliche Bälle geformt konnte mit der Wurstmaschine in die Därme gefüllt werden. Zum Abbinden der Wurst benutzte man gekaufte Holzpricken. Ganz früher waren diese Pricken aus Besenreisig. Die Herstellung erfolgte am Tag zuvor vom Vater oder Opa des Hauses. In der Zwischenzeit war das Bauchfleisch und alles andere gar gekocht, somit konnte die warme Wurst gefertigt werden. Bregenwurst, Schnutenwurst, Leberwurst, Sülze und Beutelwurst waren bei allen Familien des Dorfes begehrt. Die einzelnen Sorten Wurst wurden angemengt, gewürzt und abgeschmeckt. Stimmte der Geschmack, konnten die Därme gestopft werden, aber auch Gläser und Dosen standen zum Befüllen bereit. Der Magen war zum Befüllen mit Sülze gedacht. Alle Wurst im Darm wurde, um sie haltbar zumachen, im großen Kessel noch einmal gekocht. Nach dem Abkühlen kam die Wurst in den Räucherschrank. Für den Schlachter war die Arbeit erst einmal getan. Brühe, Bauchfleisch und Knipp und für die Kinder eine kleine Leberwurst brachte man den Nachbarn, die beim Schlachtefest nicht vergessen wurden. Die Schinken lagen rund vier bis fünf Wochen im Salz, danach wurden sie entwässert und in den Rauch gebracht. Er durfte nicht angeschnitten werden, bis im Frühjahr der Kuckuck gerufen hatte. Ältere Menschen, die mit diesen Arbeiten vertraut sind, könnten mit Sicherheit noch viel zum Thema Hausschlachtung beitragen. Geräte, die vor 20 Jahren noch benötigt wurden, kann man heute auf den Flohmärkten erwerben. Aus Mollen sind Blumenschalen geworden und mancher Fleischwolf dient noch zur Dekoration.

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