Störung beeinflusst das Votum des Kulturausschusses - Von André Ricci

Antrag kam unter die Räder

Bernd Braumüller sorgte mit einem Zwischenruf für Verärgerung und einen kuriosen Abstimmungsverlauf im Kulturausschuss Foto: Archiv
 ©Rotenburger Rundschau

Tabubruch im Scheeßeler Rathaus: Während der Sitzung des Kulturausschusses revidierte Mandatsträger Thomas Twesten sein Abstimmungsverhalten, nachdem es aus den Zuschauerreihen einen nicht statthaften Zwischenruf gab.

Im Fachausschuss ging es hoch her, zur Beratung standen die Förderrichtlinien der Gemeinde, ein alter Zankapfel zwischen den Fraktionen. Die Verwaltung reichte als Tischvorlage ihren Entwurf für eine Neufassung rum, der allerdings in einigen Punkten von dem abwich, was den Politikern zuvor zum Einlesen zugestellt worden war. Davon zeigten sich einige Mandatsträger ebenso irritiert wie von dem Vortrag des SPD-Mannes Wolfgang Kirschstein, der Änderungswünsche seiner Fraktion anmeldete. Der Westerholzer kritisierte die Verwaltungsspitze dafür, das Ansinnen zu ignorieren. Bürgermeisterin Käthe Dittmer-Scheele wies das zurück: SPD-Ratsherr Detlev Kaldinski habe ihr den Antrag erst am Abend vor der Sitzung in Papierform in einem verschlossenen Umschlag überreicht. So kurzfristig habe das Dokument nicht mehr adäquat bearbeitet werden können. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich ein lebhafter Schlagabtausch. In einer nachgeschobenen Erklärung werfen die Sozialdemokraten der „CDU-Bürgermeisterin“ jetzt sogar vor, sie habe den Ausschuss manipuliert. Denn die ursprüngliche Beschlussvorlage der Verwaltung stamme laut Datierung vom 27. Juni, obwohl in das Papier laut Dittmer-Scheele Anregungen einer Anhörung örtlicher Vereine eingeflossen sein sollen, die erst im August stattfand. Inhaltlich stoßen sich die SPD-Vertreter vor allem am Defizitausgleich, der laut Verwaltungsentwurf auf 50 Prozent und maximal 1.000 Euro beschränkt sein soll. Vereine blieben somit, wenn sie etwa aufgrund falsch kalkulierter Veranstaltungseinnahmen ins Minus rutschen, mindestens auf der Hälfte ihrer Schulden sitzen. Die Sozialdemokraten möchten an dieser Stelle gerne großzügiger sein und mussten sich im Ausschuss anhören, eine Art Vollkaskoversicherung zu planen, die nur dazu führe, dass Vereine zu finanziellen Abenteuern verlockt würden. In der Debatte ging es auch um bereits vorliegende Förderanträge, über die die Gemeinde zu entscheiden hat – darunter die Bitte um 2.400 Euro als Ausgleich für ein Defizit, das die im Vergleich zu Sportvereinen finanz- und mitgliederschwache Kulturinitiative Scheeßel (Kis) im laufenden Veranstaltungsbetrieb (1.000 Euro) sowie insbesondere durch einen Auftritt der Bremer Shakespeare-Company im Ort anhäufte. Die Entscheidung über eine Gewährung hätte in Kürze nach reformierten Vergaberichtlinien erfolgen können, hieß die ursprüngliche Idee. Doch der Fachausschuss sorgte dafür, dass die neuen Regeln nun doch nicht bereits auf der nächsten Ratssitzung beschlossen werden können. Denn angesichts der Verwirrungen – eine inhaltlich veränderte Tischvorlage der Verwaltung und ein den Mandatsträgern nicht vorliegender Änderungsantrag der SPD – sahen sich verschiedene Ausschussmitglieder nicht mehr in der Lage, sachgerecht zu entscheiden. Auf Antrag von Detlef Steppat (SPD) wurde das Thema daher vertagt. Jetzt wird sich der Rat frühestens im November mit dem Thema beschäftigen. Die CDU drängte nach dieser Weichenstellung darauf, auch die Entscheidungen über vorliegende Förderanträge nochmals zu verschieben. Eine knappe Abstimmung deutete sich an, denn Ernst Friesecke, Fraktionsmitglied der Grünen, gab früh zu erkennen, die Position der Christdemokraten zu teilen. Somit kam es angesichts der geschlossenen Reihen von SPD und Gruppe 57 auf Grünenvertreter Thomas Twesten an. Als Ausschussvorsitzende Angelika Dorsch die Abstimmung einleitete, hoben sich die Finger der CDU, von Friesecke und auch – etwas zaghafter – von Twesten. Da erschallte ein scharfes „Thomas!“ aus den Zuschauerreihen – es klang wie die Stimme eines strengen Lehrers, der einen Schüler ermahnt. Beim Störer handelte es sich ausgerechnet um den Bürgermeisterkandidaten von SPD, Grünen und der Gruppe 57 im Gemeinderat, Bernd Braumüller. Er verfolgte die Debatte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Kulturinitiative Rotenburg (Kir) und zeigte sich bereits während der Bürgerfragestunde sehr enttäuscht über den Unwillen der Gemeinde, den Zuschussantrag der Scheeßeler Kulturinitiative zügig zu bescheiden. Der Angriff auf das freie kommunale Mandat zeigte Wirkung: Twesten zog seinen Finger zurück, noch ehe abgezählt werden konnte. Nach einer heftigen Intervention durch CDU-Mann Reinhard Frick, der ungehalten von seinem Stuhl hochsprang, verfügte die Ausschussvorsitzende ungerührt die Wiederholung der Abstimmung. Der unstatthafte Vorgang, das Votum eines demokratisch legitimierten Gremiums durch einen Zwischenruf zu verfälschen, blieb ungeahndet. Twesten hob indes auch jetzt nicht mehr seinen Finger, sodass der CDU-Antrag bei Stimmengleichheit scheiterte. „Ich bin wirklich schockiert“, erklärt Frick gegenüber der Rundschau. Das gelte für die gesamte Fraktion der CDU. Dorsch, die mit der Leitung der turbulenten Sitzung teilweise überfordert wirkte, erklärte am nächsten Tag auf Nachfrage, dass gar nicht Braumüller, sondern die ebenfalls als Zuhörerin anwesende grüne Ratsfrau Gabriela Villwock die Störerin gewesen sei. Aber Dorsch irrt. „Mir lag zwar was auf der Zunge, aber reingebrüllt habe ich nicht“, versichert Villwock. „Das war Braumüller. Er räumt das auch ein und bedauert es.“ SPD-Fraktionsführer Johannes Hillebrandt wirbt derweil für Verständnis: „Die Reaktion war menschlich, man sollte das nicht überbewerten.“ Bei der Abstimmung über den Kis-Förderantrag selbst wiederholte sich das Stimmverhalten aller Beteiligten übrigens, nur unter anderen Vorzeichen (SPD/Gruppe 57 pro, CDU und Friesecke contra, eine Enthaltung). Kurioses Ergebnis: Der Ausschuss empfiehlt, dass die Kulturinitiative keinen Cent zum Ausgleich ihres Defizits erhalten soll. ____________________________________________ Kommentar von André Ricci: Mit Kollateralschaden Schönreden kann man es sich immer. Natürlich hat es Unterhaltungswert, natürlich lebt die Demokratie auch davon, dass es hoch hergeht in öffentlichen Sitzungen. Aber es gibt Grenzen. Dass die Beeinflussung freier kommunaler Mandatsträger durch Zwischenrufe im Befehlston völlig unannehmbar ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Dass ein Fachausschuss, der über so etwas Nüchternes wie Zuschussanträge zu befinden hat, derart chaotisch verläuft, dass am Ende quasi durch Zufall eine Beschlussempfehlung herauskommt, die mutmaßlich niemand im Ausschuss wirklich anstrebte, ist mehr als dubios. Es ist peinlich. Oder soll die Kulturinitiative Scheeßel (Kis) für ihren Mut, die Bremer Shakespeare-Company in den Ort geholt zu haben, tatsächlich voll finanziell haften? Was wäre das für ein Zeichen? Für diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, ist das Votum jedenfalls eine Ohrfeige. Ihre Arbeit wurde nicht gewürdigt. Aber darum ging es ja auch nicht. Wichtiger war den Ausschussmitgliedern, über das Verfahren zur Neufassung der Förderrichtlinien zu streiten und sich dabei gegenseitig nichts zu schenken. So kam die Kis unter die Räder. Im Militär nennt man so etwas einen Kollateralschaden.

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