Indianer Goyo Cespedes bewahrt seine Kultur durch die Musik

In der Klangwelt

Die Treppe kaum runter, lässt sich den Augen nur noch schwer trauen: Beinahe 100 müssen’s sein. Stapelweise liegen sie im Heizungskeller von Goyo Cespedes. Kenas, indianische Flöten. Daneben: Panflöten in zahllosen Größen und Variationen.

Der 47-Jährige hat alle selbst hergestellt. "Das Chaos" in dem kleinen Raum bittet er zu entschuldigen. Ob das bei Künstlern nicht dazugehört? Cespedes überlegt eine Sekunde. Dann lächelt er wieder: "Kann sein". Der Bolivianer greift eine der Panflöten und ist in seinem Element. Für einen Moment nur erklingt das Blasinstrument und zeitgleich gelingt’s, für den Augenblick zumindest, weg zu sein - in einer Klangwelt, für die andere Gesetze gelten. Cespedes zieht wechselweise Kenas aus dem Haufen und kommentiert: "Diese besteht aus Holz, die aus Bambus, die aus Rohr. Und die hier, die ist noch nicht fertig." "Kein Heimweh, weil die Musik immer dabei ist" Das Flötenspiel hat er sich selbst beigebracht, genau wie das Beherrschen anderer Instrumente - von der Gitarre bis hin zu Trommeln. Cespedes war zwölf, als er Flöte zu lernen begann. Das Instrument hat er selbst geschnitzt, was in Bolivien nicht ungewöhnlich ist, sondern "alle so gemacht haben". Warum er gerade das Flötenspiel schätzt? "Dabei muss der Musiker Körper, Geist und Seele einbringen", sagt der 47-Jährige. Die Musik, insbesondere die bolivianische Folklore, ist sein Leben und hat dessen Lauf bestimmt. Sie hat Cespedes immer mitgenommen - im Kopf, im Herzen und im Blut -, ganz gleich, wohin ihn sein Weg geführt hat. Sie hat ihm Heimweh erspart, "das andere Menschen spüren müssen, die weit weg von ihrer Heimat in einer Fabrik arbeiten". Die nicht wie Cespedes mit der traditionellen Musik ihrer Heimat, die er als wichtigen Bestandteil seiner Kultur versteht, verbunden sind. Überall zu Hause zu sein, aber nirgends tatsächlich sesshaft, ist ein Gefühl, das Cespedes aus seinem Leben als Musiker sehr geläufig ist. Jahrelang war er mit verschiedenen Gruppen, darunter den in Bolivien und Peru sehr populären Los Payas auf Tournee. Nicht nur in Südamerika hat Cespedes ein Konzert nach dem anderen gegeben und zwischendurch im Bandbus gesessen. Auch in Europa gastierte er mit Kenas, Panflöten, Bombos (Trommeln, die mit Ziegenfell bespannt sind) und Charangos (gitarrenähnliche Saiteninstrumente) im Gepräck unter anderem mit der Band Los Rupay in Städten von Skandinavien bis Süditalien. Bis nach Israel reiste die Gruppe ("die Klagemauer kam mir im Gegensatz zu unserer Kultur wie ein Mäuerchen vor"). Mittlerweile spricht Cespedes über Spanisch hinaus Deutsch, Italienisch, Französisch, Flämisch und Portugiesisch. "Das war’s auch schon", sagt der Mann. Eine Wohnung für konzertfreie Tage hatten Los Rupay mit Manager und Busfahrer in Paris gemietet. Einer, wie Cespedes findet, "sehr interessanten Stadt, die sich aber ihrer Größe wegen für mich zum Leben nicht eignet". Seit acht Jahren lebt Cespedes mit seiner Frau Kathrin und seinen Töchtern Iraima (10) und Anahi (12) in Scheeßel. Im Beekeort hat er ein neues Zuhause gefunden, sich für die Familie entschieden - so wie seine Kollegen ("das ist der Lauf des Lebens, man kann ja nicht immer weiter wie ein Zigeuner unterwegs sein"). Auch "Mein kleiner grüner Kaktus" im Repertoire Seine Frau hat Cespedes 1978 bei der Aufführung einer kreolischen Messe in der Rotenburger Realschule kennen gelernt. Der Bolivianer stand mit seiner Gruppe Inti-Mujus auf der Bühne, seine Frau sang im jungen Chor Rotenburg. Cespedes wohnte zu diesem Zeitpunkt in Antwerpen und fuhr von nun an fast jedes Wochenende in die Kreisstadt, um seine Freundin zu besuchen. Mit der zog er schließlich zusammen. In eine WG in der Bergstraße, direkt gegenüber vom Jugendzentrum. Seit drei Jahren gehört Cespedes als zweiter Tenor dem Männerchor Scheeßel an und singt mittlerweile auch im Doppelquartett Lieder wie "Mein kleiner grüner Kaktus" mit. Was seine Freunde aus der Band Inti-Mujus darüber denken? "Die finden das lustig. Von denen ist keiner in einem Männerchor." Die Gruppe Inti-Mujus, was übersetzt soviel wie "Saat der Sonne" heißt und an die Inkas erinnern soll, hat Cespedes als 17-Jähriger mit seinem Klassenkameraden Fernando Torres gegründet. Sie besteht noch heute und hat mehrere Tonträger veröffentlicht. Sogar solche, von denen Cespedes zunächst nichts wusste, die er auf einmal im Plattenladen aus dem Regal zog. Wie das möglich war? "Einmal sind Schwierigkeiten mit einer Managerin aus Hannover aufgetreten und Rechte abhanden gekommen." Gerade vor einem Monat traten Inti-Mujus ("Fernando konnte nicht kommen") mit der Besetzung Carlos Zelada (lebt inzwischen in Nürnberg), Emilio Blanco (Hamburg) und Cespedes beim Frühlingskonzert des Männerchores im Beekeort auf. Ein ganz neues Musikstück hat die Gruppe noch kurz vor dem Auftritt, wie Cespedes sagt, "sehr schnell" aufgenommen. "Carlos hatte eine Idee mitgebracht", aus der hat das Trio sofort ein Lied gemacht und das bei Cespedes im Keller auch umgehend eingespielt. Herausgekommen ist ein tanzbares ausgelassenes Musikstück, das von einem kleinen Vogel handelt. Einem Tukan. Improvisation ist für Cespedes nicht bloß Arbeitsweise, sondern Philosophie. Beim Trachtenfest der Beekscheepers waren die Musiker der Gastgruppe Ciudad de Guadalajara aus Mexiko am Abend nach dem offiziellen Programm bei seiner Familie zu Gast. "Die kamen gerade rein, da hat’s sofort geklackt", erinnert sich der 47-Jährige. "Wir haben dann zusammen musiziert. Die ganze Nacht hindurch. Bei uns im Garten." Hat Cespedes Ruhe, bewegt er immer auch eine Melodie im Kopf. "Tak, tak, tak." Die ganze Zeit. Manchmal pfeift er sie einfach drauflos - ganz gleich, ob er gerade im Supermarkt oder mit dem Auto unterwegs ist. "Tak, tak, tak" - Immer eine Melodie im Kopf Der Mann sitzt auf der Terrasse seines Hauses und blickt gen Himmel, der blau ist. So wie in Bolivien jeden Tag. Wie er mit dem Wetter im Norden zurecht kommt? Cespedes fällt der Heizungskeller ein. "So etwas. Das gibt’s bei uns nicht." - Die Heimatstadt des Bolivianers, Potosi, ist etwa 500 Kilometer südlich der Hautpstadt La Paz gelegen; in 4.000 Metern Höhe in den Anden. Mit der indianischen Mytholgie ist Cespedes eng verbunden. ("Die Gedanken sind immer da"). Ein zentraler Ausgangspunkt ist, die Sonne als Vater und die Erde als Mutter zu sehen. "Die Erde gibt uns Essen und alles weitere. Die Sonne ist Grundlage für alles Leben." Die Mehrzahl der Menschen in Bolivien sind bis heute Indianer. Einer von ihnen ist Cespedes. "Wir respektieren ein paar andere Dinge als die Menschen in Europa. Die Leute hier wollen einfach alles und haben dabei oft zuviel. Letzteres stelle ich bei mir auch fest. In Bolivien ist Bescheidenheit sehr wichtig. Und Gelassenheit", sagt er. Berühmt will Cespedes mit seiner Musik nicht mehr werden, das war mit 17 anders. Jetzt ist die Familie da und Gelassenheit ohnehin. "Das ist wichtiger." Zudem hat Cespedes "schon vor Hundertausenden gespielt", auch schon im Olympia-Theater in Paris. Das waren Ziele. Die schon erreicht sind. Was wiederum Ruhe zulässt. Und Alltag hin oder her. Bei Cespedes wird’s ohnehin keiner. Im nächsten Monat schon geht er wieder mit den Inti-Mujus auf Tour. Eine Woche lang gibt er zusammen mit seinen Freunden Konzerte in Frankreich. Ob ein Auftritt in Paris dabei ist? Cespedes zuckt die Schultern. Grenoble jedenfalls. Und Lyon. Volker Gebhart

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