Parkinson-Patient leidet oft am Unverständnis seines Umfelds - Von Wieland Bonath

Wenn die Mobilität gefriert

Die starke Partnerschaft mit seiner Frau Helga hilft Ulrich Rogge, der Parkinson-Krankheit die Stirn zu bieten: "Wir schaffen das zusammen." Sieben Medikamente (Foto) helfen ihm über den Tag Foto: Bonath
 ©Rotenburger Rundschau

Sein größter Wunsch ist es, einmal wieder einen Tag zu erleben, so wie es früher war. Noch ist es gar nicht so lange her, da war auch bei Ulrich Rogge "alles ganz normal“: Der Postfacharbeiter spielte hin und wieder in seinem Fußballverein, hatte viele Bekannte und Freunde, und im Urlaub konnte er zusammen mit seiner Frau auf Reisen gehen. Geblieben ist dem 56-Jährigen immerhin das Wichtigste: die starke Partnerin, ohne die er in den vergangenen acht Jahre noch viel mehr Verletzungen erlitten hätte.

Helga Rogge erinnert sich noch sehr genau an die ersten Auffälligkeiten Als sie zu Bekannten wollten, habe es plötzlich "endlos“ gedauert, bis ihr Mann seine Schuhbänder geschlossen hatte. Die Untersuchung im Krankenhaus brachte die dramatische Gewissheit über eine Vermutung, die die beiden ganz weit weg geschoben hatten. "Ich werde das niemals vergessen, was der Arzt sagte, als Ulrich damals aus der Röhre kam“, berichtet die 57-jährige Büroangestellte. "Der sagte, er habe eine gute und eine schlechte Nachricht für uns. Die gute sei, dass mein Mann keinen Gehirntumor habe, die schlechte, dass bei ihm Parkinson festgestellt wurde.“ Ulrich Rogge, der sich an diesen Tag erinnert als wäre er gestern gewesen: "Da war plötzlich eine ganz große Leere in meinem Kopf. Zwar hatte ich schon die Möglichkeit einkalkuliert, aber dieses Endgültige? Sie können sich nicht vorstellen, was das bedeutet.“ Vorstellen konnte sich Rogge auch nicht, durch welches Tal er aufgrund dieser Erkrankung des zentralen Nervensystems gehen musste und wahrscheinlich noch zu gehen hat, denn Parkinson ist ein lebenslanger bösartiger Begleiter der Betroffenen. Bei der Krankheit, an der in Deutschland bis zu 250.000 Menschen leiden, liegt vor allem ein Mangel des Nervenbotenstoffes Dopamin vor. Dazu kommt es, weil spezielle Nervenzellen im Gehirn nach und nach absterben. Gemeinsam mit anderen Botenstoffen ist Dopamin an der Bewegungssteuerung beteiligt. Ein Dopamin-Mangel bringt das empfindliche Gleichgewicht der Botenstoffe durcheinander. Die Folge sind Bewegungsstörungen mit den typischen Symptomen der Parkinson-Krankheit: Bewegungsverarmung bis hin zur Muskelstarre, Zittern sowie eine instabile Körperhaltung. Die Krankheit ist heute noch nicht heilbar, ihr Voranschreiten kann jedoch durch medikamentöse Behandlung erheblich hinausgezögert werden. Ulrich Rogge hat ein kleines Tabletten-Arsenal, das in genauer Dosis und zu bestimmten Zeiten eingenommen werden muss: um 6 Uhr die ersten Tabletten und dann bis 18 Uhr exakt alle drei Stunden. Zum letzten Mal noch einmal zur Nacht. Trotzdem: Immer wieder gelingt es der Krankheit, die Oberhand zu gewinnen. Dann erkennt seine Umgebung sein so genanntes "Freezing“, also das Einfrieren der Beweglichkeit, die Unfähigkeit, eine Bewegung zu beginnen. Das sind oft Zeitabschnitte, in denen er deprimiert ist, sich einfach nur zurückzieht. Damit umzugehen, ist für die zupackende Helga Rogge bis heute besonders schwierig. Viele Ehen, so die 57-Jährige, würden, belastet von der Parkinson-Krankheit, zerbrechen. "Aber für uns“, so erklärt sie, "hat immer dieses Prinzip gegolten: Wir schaffen das zusammen!“ Dass Vereinskameraden, Freunde und Bekannte sich mit der Zeit immer mhr von ihm zurückgezogen haben, bedeutet für Rogge einen besonderen Schmerz. Verbitterung ist zu hören, wenn er davon spricht. "In dieser Gesellschaft gilt man nur dann etwas, wenn man funktioniert.“ Warum das Umfeld mit Rückzug reagiert? Rogge kann es nur vermuten. Vielleicht liegt es an der Unfähigkeit, mit der Parkinson-Krankheit, mit den Kranken richtig umzugehen. Eine Unfähigkeit, die aus Unwissen resultiert? Bequemlichkeit und Angst, auf Betroffene zuzugehen und auf sie und ihre Nöte einzugehen? Diese Fragen aufzuwerfen, ist auch der Grund, weshalb Ulrich Rogge sein Leben und seine Probleme öffentlich präsentiert. Er ist skeptisch, ob er auf diese Weise einen Schritt weiterkommt. Aber den Versuch, so bemerkt er, sei es immerhin wert. Rogge kennt im Landkreis Rotenburg eine ganze Reihe von Menschen, die ebenfalls unter Parkinson leiden. Und er ist sich sicher: Es gibt noch sehr viele, die sich, aus Scham oder aus welchen Gründen auch immer, nicht auf die Straße wagen. Wenn er jetzt vor die Öffentlichkeit trete, so der 56-Jährige, tue er es auch für diese Leidensgenossen.

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