Jeanette Clasen zeigt Montagen, Collagen und Gemälde im Rotenburger Ratssaal

Von Schönheit, die verdächtig wirkt

(le). Zuletzt hatte Jeanette Clasen 1996 Werke im Rotenburger Rathaus gezeigt. Schon damals war der Titel der Ausstellung eine Mischung aus Sachlichkeit und unterschwelliger Irritation: "Porträt/Illusion/Realität". Ihre neue Ausstellung nennt die Künstlerin in Anlehnung an Aldous Huxley "Schöne (neue) Welt", und der Untertitel "Mosaik Morgana" steigert die Provokation noch.

Nicht ohne Stolz eröffnete Bürgermeister Detlef Eichinger die Ausstellung im Ratssaal, sieht er doch in ihr ein Beispiel für die "gut funktionierende Kulturlandschaft" in der Kreisstadt. Wenn er daran erinnerte, dass "Kultur das ist, was den Menschen zum Menschen macht", dann bedeutet das wohl auch, dass die öffentliche Hand diesen Bereich mit all seinen Teilaspekten als wichtigen Faktor für die Attraktivität einer Kommune sieht - ein Bereich, der etwa für das Identitätsgefühl der Bürger oder bei gewerblichen Neuansiedlungen von Bedeutung ist. "Kunst", so Eichinger mit Blick auf Jeanette Clasens Werke, "ist Spiegel unserer Zeit, kann auch Mahnung sein". Auf Wunsch der Künstlerin führte Gerhard Stamer vom "Reflex"-Institut für angewandte Philosophie in ihre Ausstellung ein. "Meine Kunst ist so neu", begründet sie ihre Entscheidung, "dass ich eine Einstufung in kunstgeschichtliche Kategorien noch nicht für sinnvoll halte". Außerdem, so Jeanette Clasen, habe sie in ihre Werken gedankliche Kraft und Tiefe eingetragen, so dass die Erläuterungen eines Philosophen erhellend wirken können. Diesen Erwartungen entsprach Gerhard Stamer mit seiner Einführung völlig. Wenn Jeanette Clasen Huxleys Buchtitel "Schöne neue Welt" von 1932 aufgreife, so sei das verdächtig, gar irritierend, erläuterte er den Anwesenden. Er fügte auch gleich eine Warnung hinzu: "Fallen Sie auf die Schönheit der ausgestellten Werke nicht herein!". Statt dessen ermutigte er die Zuhörer, sich auf die Provokation der Werke und ihrer Titel einzulassen und mit Nachdenklichkeit und kritischem Hinterfragen an sie heranzugehen. Auffällig sei die Hintergründigkeit in diesen zunächst einfach schönen Arbeiten, die aber gerade ihren ästhetischen Reiz ausmache. Zwischen dem ästhetisch Anschaulichem und den in das Werk eingearbeiteten Gedanken sah Stamer eine "Spannung, die auch Spiel bedeutet". Damit meinte er sowohl die eigenartige Wechselbeziehung zwischen Material und beabsichtigter Aussage, aber auch das Verhalten des Betrachters, wenn er vor den aus kleinsten Bildteilchen mosaikartig zusammengesetzten Werken zwischen "nah" und "fern" pendeln müsse, um sich einen Eindruck vom Wahrgenommenen zu verschaffen. Das Ganze und seine Teile bilden oszillierende, also eigenartig schwingende, pendelnde Aspekte. Vielleicht wird das Gemeinte aus dem Schlüsselerlebnis der Künstlerin deutlich, die im Studium beim Oktoberfest in München als Passbild- und Porträt-Fotografin tätig war. Dort konnte sie den Einzelnen als Bestandteil der Masse wahrnehmen, aus ihr empor tauchend und dann wieder in sie zurücksinkend. In ihren Foto-Collagen "Queen Elizabeth II.", gebildet aus Tausenden von Briefmarken mit ihrem Porträt, oder den "Christus"- und "Heine"-Großcollagen unter Verwendung einer Vielzahl von Passbildern variiert Jeanette Clasen dieses Schlüsselerlebnis ebenso wie in den Hologrammen und Unterschriften-Bruch-stücken von abgelaufenen Scheckkarten. Wenn sie daraus zum Beispiel eine "Helix I"-Skulptur oder Globen bildet, dann künden sich (kritische) Grundaussagen an. Eigentlich wird das menschliche Gen in Form einer Helix abgebildet - hier aber aus Scheckkarten-Fragmenten. Ist das unsere "schöne Welt", unser Selbstverständnis? Wenn etwa Günter Uecker seine Skulpturen aus einer Vielzahl von Nägeln modelliert oder - vor allem - Roy Lichtenstein ein grobes Rasterverfahren für seine Druckgraphiken anwendet, dann legt Jeanette Clasen ein technisch perfektes Gitternetz über die Scheckkarten-Fragmente. Neben diesen Montagen und Collagen zeigt Jeanette Clasen im Rotenburger Ratssaal auch Gemälde. An die Stelle der Rasterung und Fragmentierung tritt hier eine Malweise, die an den Tachismus angelehnt erscheint. Auseinandersetzung und Durchdringung trägt die Künstlerin stets mit ihrer Titelgebung ein, etwa in der Serie "Entfallene Gedanken", in denen Stamer in seiner Einführung eine "innere Ideen-Landschaft, einen oszillierenden Strom" sah, dessen gedanklicher Reiz dem ästhetischen Wert durchaus ebenbürtig sei. Die Ausstellung im Ratssaal ist bis zum 3. Januar montags bis donnerstags von 8 bis 18 Uhr, freitags von 8 bis 13 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet. Ein noch druckfrischer Katalog zu den Collagen ist in der Ausstellung erhältlich.

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