Birgit Lynge und Jens Hagemann werben fürs Gastelterndasein - Von Wibke Woyke

Ein Jahr lang plus eins

Birgit Lynge und Jens Hagemann haben ein Jahr lang einen Gastschüler aufgenommen. Sie ermutigen weitere Interessierte, ebenfalls jungen Menschen die Chance zu bieten, Deutschland kennenzulernen Foto: Woyke
 ©Rotenburger Rundschau

Für Birgit Lynge und Jens Hagemann war es quasi ein Sprung ins kalte Wasser. Erstmals nahmen sie einen Gastschüler für ein komplettes Jahr bei sich auf. „Und wir waren ganz schön gespannt“, berichtet Lynge. Jonas aus Mexiko City verbrachte die vergangenen Monate bei der Familie. Fazit der Gastgeber: „Das Ganze hat sich unheimlich gelohnt.“ Und daher machen sie nun anderen Mut, ebenfalls einen ausländischen Jugendlichen bei sich aufzunehmen.

Hintergrund: Wer nimmt Schüler bei sich auf? Mit dieser Frage warb der Verein Youth For Understanding (YFU) in der Mittwochs-Rundschau für Unterstützung (siehe auch Online-Bericht „Gastfamilien gesucht“). Und da ein solch theoretischer Aufruf das eine, ein Erfahrungsbericht aus der Praxis aber etwas anderes ist, boten Lynge und Hagemann an, einmal aus ihrem Gastelterndasein zu berichten, um auch andere auf den Geschmack zu bringen. Über einen Arbeitskollegen von Hagemann wurden die Zwei einst auf den internationalen Jugendaustausch von YFU aufmerksam. So entstand die Idee, den eigenen Sohn ins Ausland zu schicken und dafür im Gegenzug jemanden aufzunehmen. Erstgenanntes zerschlug sich jedoch, trotzdem aber blieb die Familie dabei, einen Schüler ein Jahr lang beherbergen zu wollen und ihm die Chance zu bieten, das Leben in Deutschland kennenzulernen. Was sie von YFU überzeugte: Die Gastfamilien bekommen - anders als bei manch anderen Organisationen – kein Geld, bereichern sich also keinesfalls an der Geschichte. Im Gegenteil: Sie sorgen von sich aus für Unterkunft und Verpflegung der Austauschschüler. Reise- und Versicherungskosten sowie die Teilnahme an Seminaren sind im Programmbeitrag der Jugendlichen enthalten. Zudem bekommen die von zu Hause Taschengeld. Das Ehepaar Lynge/Hagemann bewarb sich also als Gastgeber, stellte sich vor und bekam drei Vorschläge – und schließlich fiel die Wahl auf den damals 17-jährigen Jonas aus Mexiko City. Glücksfall: Jonas’ Vater ist Deutscher und der Jugendliche besucht eine deutsche Schule in seiner Heimat. So klappte die Verständigung von Anfang an gut und von Beginn an sprachen die Gasteltern auch nur Deutsch mit dem Neuankömmling. Ob der alles genau verstand? „Jedenfalls machte er oft das Daumen-hoch-Zeichen“, berichtet Hagemann. Potenziell interessierte Gasteltern, die befürchten, dem Gast ein einjähriges Luxus- und Alleinunterhalterprogramm bieten zu müssen, können beruhigt sein – denn genau so soll’s nicht sein. Wichtig ist der ganz normale Alltag, der Gast ist ein echtes Familienmitglied. Und dazu gehören auch Aufgaben und Pflichten und so musste sich Jonas selbstverständlich um bestimmte Dinge im Haushalt kümmern. Natürlich gehört auch der Schulbesuch zum Programm. Jonas ging in die zehnte Klasse des Ratsgymnasiums. Und da er sich als Ziel gesetzt hat, irgendwann in Deutschland Architektur studieren zu können, muss er an seiner Schule zu Hause den Abschluss nach deutschem Abiturstandard absolvieren – und dafür brauchte er nun in Deutschland gute Noten in dem Fach. „Die er auch bekam“, berichtet Lynge. Heimweh hatte der Gast aus Mexiko City nicht. Und was das Essen anging, gab’s im Hause Lynge/Hagemann ebenfalls keine Probleme. Nur Milchreis, der sei nicht so gut angekommen beim Gast. Der aber kochte auch regelmäßig etwas für die gastgebende Familie. „Und war darauf stolz wie Oskar“, so Lynge. Ein Jahr ist natürlich lang. Doch gerade dieser Zeitraum ermöglicht das wirkliche Einbinden ins Familienleben. Die Entscheidung, einen ausländischen Gast so lange aufgenommen zu haben, bereut die Familie Lynge/Hagemann nicht – im Gegenteil, denn alles habe sehr gut geklappt. Dass das auch anders laufen kann, ist klar – denn wenn die Chemie nicht stimmt, sich die eine oder andere Seite gar nicht wohl fühlt, kann es auch zu Schwierigkeiten kommen. Solche Fälle gibt es zugegebenermaßen auch. Dann aber gibt es Hilfe von YFU und eine Lösung wird gemeinsam gefunden. Während des Aufenthalts hat die Familie zudem immer einen Ansprechpartner. Bei Lynge und Hagemann saß der sogar in der Nähe, nämlich in Ottersberg. Auch mit anderen Gasteltern gab es Treffen, um sich auszutauschen. „Das war schon interessant, von den anderen Erfahrungen zu hören“, sagt Hagemann. Und die Jugendlichen selbst bekommen Gelegenheit, sich bei Seminaren zu treffen – beispielsweise in Berlin, wohin die Gastgeschwister sogar mitfahren durften. Beide Seiten werden gut auf die gemeinsame Zeit vorbereitet, sagen Lynge und Hagemann. Zurzeit ist Jonas unterwegs – auf einer kleinen Europarundreise. Und dann steht bald seine Heimreise an. „Der sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen“, weiß Hagemann. Denn das Leben im beschaulichen Rotenburg, wo man abends auch im Dunkeln zur Pizzeria laufen kann, und das in der Metropole Mexiko City ist doch ein großer Unterschied. Bald aber kommt schon ein neuer Gast zu Lynge und Hagemann – die Familie hat sich entschieden, wieder mitzumachen im Programm. Im August wird ein Jugendlicher aus der Türkei erwartet. _________________________________________ Informationen zu YFU Deutschland Das Deutsche Youth For Understanding Komitee (YFU) organisiert und betreut weltweit langfristigen Schüleraustausch. Zusammen mit Organisationen in rund 50 Partnerländern setzt sich der Verein für interkulturelles Zusammenleben und aktive Völkerverständigung ein. YFU lebt von der langjährigen Erfahrung und von aktiven Ehemaligen. In ganz Deutschland engagieren sich mehr als 1.500 ehrenamtliche Mitarbeiter für den Schüleraustausch. Jährlich entsendet YFU mittlerweile rund 1.200 deutsche Schüler ins Ausland und holt rund 500 Jugendliche aus anderen Ländern nach Deutschland. Die Gastfamilien nehmen die Jugendlichen wie ein neues Familienmitglied auf, ohne Geld dafür zu bekommen. Seit der Gründung von YFU Deutschland 1957 haben mehr als 50.000 Jugendliche ein Schuljahr im Ausland verbracht. „Wir sind ein gemeinnütziger Verein und als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt“, wird auf der Internetseite betont. Auch Stipendien werden vergeben. Familien und Paare, die ebenfalls Interesse haben, einen Austauschschüler bei sich aufzunehmen, können sich bei YFU melden unter Telefon 040/2270020 und per Mail an info@yfu.de. Weitere Infos gibt es unter www.yfu.d

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