Lydia Lindes sucht Nachfolger als Glöckner von Stuckenborstel - Von Andrea Zachrau

Die Stunde hat geschlagen

Die Attraktion Glockenturm Stuckenborstel könnte es bald nicht mehr geben: Glöcknerin Lydia Lindes kündigt an, dass sie in absehbarer Zeit aufhören wird Fotos: Archiv/Zachrau
 ©Rotenburger Rundschau

So viel war in Stuckenborstel noch nie los. Der Sottrumer Ortsteil nahm am Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft“, teil, wurde in die Dorferneuerung aufgenommen und engagierte Bürger organisieren jetzt eine Dorfolympiade. Bei all dem Trubel könnte fast unbemerkt eine alte Tradition schwinden, die den Ort bis heute prägt: Das Läuten, das vom Glockenturm jeden Tag pünktlich um 11.30 und 18 Uhr erklingt.

Die mittlerweile 87-jährige Lydia Lindes sorgt seit mehr als 40 Jahren dafür, dass Kinder und Landwirte pünktlich zum Mittagessen und Abendbrot ins Haus kommen. Doch in absehbarer Zeit will sie die Aufgabe, die ihr 1967 übertragen wurde, aufgeben. "Es wird immer schwieriger, über die Straße zu kommen“, erklärt sie. Zwar habe sie einen Rollator, der ihr bei der Überquerung gute Dienste leiste. "Aber der Verkehr nimmt immer mehr zu.“ Wenn auf der Autobahn Stau sei, gebe es Tage, an denen sie gar nicht läute. "Ich kann nicht mehr hundertprozentig sehen und muss unheimlich aufpassen“, sagt sie. Für die rüstige Dame ist die alte Sitte mehr als nur eine Aufgabe. "Mir macht es einfach Spaß“, sagt sie. Als die gebürtige Stettinerin seinerzeit gefragt wurde, ob sie die Aufgabe übernehmen wolle, war sie in den landwirtschaftlichen Familienbetrieb voll eingebunden. "Mein Mann riet mir davon ab. Ich hatte aber Lust dazu und sagte ja", erinnert sie sich. Vom 1. Oktober bis zum 1. April erklingt die Glocke nur einmal am Tag - von Montag bis Samstag um 11.30 Uhr und sonntags um 9 Uhr. In der Sommerzeit läutet Lindes zusätzlich um 18 Uhr. Sollte sie außer der Reihe morgens um 9 Uhr im Einsatz sein, ist jemand aus dem Dorf verstorben. "Damals diente das Läuten dazu, den Tagesablauf zu regeln“, erklärt sie. Dann wussten die Männer auf dem Feld Bescheid, dass es Zeit war, die Pferde anzuspannen und zum Hof zurückzukehren. Für die Frauen war es das Zeichen, die Kartoffeln fürs Mittagessen aufzusetzen. Sonntagmorgens machten sich die Bürger nach den Glockenschlägen auf zum Gottesdienst. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben – Lindes steht gerne am Glockenturm und lässt die Glocke 50-mal hintereinander erklingen. "Bis heute heißt es für die Kinder, dass sie nach Hause kommen sollen“, sagt sie. Viele Menschen hielten an und fragten sie, warum sie das tue. "Besonders, seitdem die neue Bäckerei da ist.“ Auch interessierte Besuchergruppen kommen immer wieder vorbei. Dennoch hat sie den Entschluss gefasst: Sie wird aufhören zu läuten. "Ich werde das nicht von heute auf morgen tun“, versichert Lindes. Schließlich hofft sie, dass sich ein Nachfolger findet. "Es gibt doch sicher Leute, die auch tagsüber zu Hause sind“, vermutet sie. Aber sie sieht das Problem auch realistisch: "Ich vermute, dass es darauf hinausläuft, dass ein Läutwerk installiert werden muss.“ Damit wäre die letzte alte Tradition Stuckenborstels, die in der weiten Umgebung einmalig ist, beendet.

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