Der weitgereiste Kaufmann und Japanologe Hans-Georg Bennecke feierte 100. Geburtstag - VON JOCHEN LANGE

Zwischen Spionageabwehr und Donnerhall

Hans-Georg Bennecke in seinem Garten in Bothel Foto: Lange
 ©Rotenburger Rundschau

Bothel. 1973, 45 Jahre nachdem Hans-Georg Bennecke zum ersten Mal und nicht ganz freiwillig japanischen Boden betreten hatte, wurden sein Mut, sein Können und seine Leistungen belohnt: In einer, wie er sagt, "sehr feierlichen Zeremonie“ verlieh ihm sein Heimatland das Bundesverdienstkreuz am Bande. Nun feierte er auf einem Empfang in Bothel mit etwa 30 Gratulanten seinen 100. Geburtstag. Insgesamt 26 Jahre lebte und arbeitete der gebürtige Frankfurter (Main) in dem asiatischen Land. Von 1952 bis 1973 stand er erst im Dienst der deutschen Botschaft in Tokyo, später wurde Bennecke bis zu seinem Ruhestand an das deutsche Generalkonsulat in Osaka berufen.

Damals suchten seine Frau Gisela und er ein Haus zwischen Hamburg und Bremen und wurden in Bothel fündig. Der studierte Japanologe und gelernte Kaufmann leitete viele Jahre das Wirtschaftsreferat der Botschaft. Dort verfasste Bennecke Dossiers, Berichte und Wirtschaftsmonographien über einzelne Industriezweige des Landes auf Grundlage der japanischen Originalquellen. Untypisch für seine zurückhaltende und bescheidende Art sagt Bennecke: "Ich war erfolgreich in meiner Arbeit. Führende Leute aus der deutschen Wirtschaft haben mich um Rat gefragt, was neue Entwicklungen auf wirtschaftlichem Gebiet in Japan anging.“ Wolfgang Galinsky, ehemaliger Generalkonsul, ebenfalls studierter Japanologe und Benneckes damaliger Chef, habe ihm einen "Ruf wie Donnerhall“ bescheinigt. Die Beherrschung der japanischen Sprache in Kombination mit fließend Englisch und auch Französisch hatte Bennecke Zeit seiner beruflichen Laufbahn für die unterschiedlichsten Unternehmen und Institutionen interessant gemacht. So zog das Luftfahrtministerium ihn mit Kriegsbeginn 1939 ein. Dort arbeitete er in der Spionageabwehrabteilung in Berlin. Da Bennecke einer Offiziersfamilie entstammt, hielt er es für seine Pflicht, Soldat zu werden. Ein Sehfehler machte ihm aber einen Strich durch die Rechnung. Das Kriegsende erlebte Bennecke in einem bayrischen Bergdorf. Kurz zuvor musste er im Tross von Hermann Göring Berlin Richtung Berchtesgarden verlassen. Im Mai 1945 schlug Bennecke sich zu Fuß nach München durch, um Arbeit zu bekommen. Die 3. Armee der Amerikaner suchte zu der Zeit einen fließend Englisch sprechenden Einheimischen als Dolmetscher beim Militärgericht. Sieben Jahre lang, bis 1952, übersetzte Bennecke schließlich für die Befreier aus Übersee. Dass er das Englische so gut beherrschte – was zur damaligen Zeit nicht üblich war - verdankte Bennecke auch seinem Mut: Direkt nach dem Abitur im Jahr 1928 in Kiel, dort lebte er seit seinem 13. Lebensjahr, ging er nach Japan. Da Jobs in Zeiten der Weltwirtschaftskrise rar waren, nahm er das Angebot eines Onkels an, nach Japan zu gehen, um in dessen Exportfirma zu arbeiten. "Ich hatte keine Lust dort hinzugehen, ließ mich aber schließlich überreden, da in Deutschland die berufliche Perspektive fehlte“, sagt Bennecke rückblickend. Zuerst habe ihn die Arbeit als kaufmännischer Lehrling "angekotzt, denn ich musste für einen Hungerlohn in der Ein-Mann-Firma meines Onkels hart arbeiten.“ Nach fünf Jahren Tätigkeit im Unternehmen sprach der Kaufmann Bennecke perfekt Englisch – die Umgangssprache unter Ausländern im Land. "Diese ersten fünf Jahre in Japan lebte ich in engen, bedrückenden Verhältnissen und fühlte mich oft einsam. Ohne die Sprache zu können, knüpft man nur sehr schwer Kontakt zu Einheimischen“, beschreibt Bennecke den schwierigen Start in dem asiatischen Land, das ihn aber trotzdem immer stärker in den Bann zog. Denn natürlich schnappte er Japanisch auf und lernte die zuerst geheimnisvoll anmutenden kunstvollen Schriftzeichen im Eigenstudium. Zusätzlich nahm er ein Fernstudium auf. Monat für Monat kam ein dickes Paket mit Unterlagen per Luftpost nach Japan. Zurück in Deutschland 1933 ließen ihn die Schriftzeichen nicht los. Angestellt bei der Firma R. Fuess in Berlin als Fremdsprachenkorrespondent stand Bennecke morgens zwei Stunden früher auf, um weiter an seinem Japanisch zu feilen. Später, neben seiner Tätigkeit im Luftfahrtministerium, studierte er von 1942 bis 1943 Japanologie an der Humboldt Universität in Berlin – wegen seiner fortgeschrittenen Kenntnisse stieg er im dritten Semester ein. Zusätzlich leistete er in Wilhelmshorst, südlich von Berlin, wo er wohnte, Dienst bei der Feuerwehr. "Ich bewundere es noch heute, wie er das alles unter einen Hut bekommen hat und schließlich auch das Abschlussexamen bestand“, sagt Benneckes Frau Gisela. Die 84-Jährige arbeitete als Sekretärin für ihren späteren Mann in der Botschaft. "Wir gerieten auf der Hochzeitsfeier einer Kollegin zusammen. Er dachte, er müsse sich um mich kümmern“, erzählt sie und schaut lachend zu ihrem Mann herüber. 1956 heirateten die beiden in Köln, und bekamen später zwei Töchter in Japan.“ Was die Faszination des Japanischen ausmacht? "Die Doppel- und Mehrsinnigkeit der Sprache beeindruckt mich noch immer“, betont Hans-Georg Bennecke. "Das Wort ‚san‘ beispielsweise kann Berg, Herr, Frau, Fräulein oder die Zahl Drei bedeuten.“ Je nach Aussprache, Zusammenhang und der Ausgestaltung des Schriftzeichens eröffne sich dem Kenner die gemeinte Bedeutung. So benutzen einheimische Dichter keine Reime, sondern lassen in ihren Zeilen diese Mehrstimmigkeit anklingen. "Die Japaner lieben das und kultivieren diese feinen Unterschiede vor allem in privaten Unterhaltungen. Gerne dekorierten die Japaner, sagt Bennecke, ihre Wände mit großen Ausführungen der kunstvollen Zeichen. Auch das Haus der Benneckes in Bothel zieren die Kunstwerke. "Harmonie“ beispielsweise prangt über dem Esstisch im Wohnzimmer. Japanische Freunde und Bekannte, die regelmäßig nach Bothel zu Besuch kommen, können das Haus kaum verfehlen: Auf dem Klingelschild ist Hans-Georg Benneckes Name auch in Kalligraphiezeichen zu lesen. Nicht nur im Privaten, auch in der Wirtschaftswelt des asiatischen Landes kommt den Nuancen und der Mehrsinnigkeit eine wichtige Rolle zu: Bei Neugründungen werden der Firmenname und die dazugehörenden Schriftzeichen sorgsam ausgewählt und ein Schriftzeichenexperte hinzugezogen. Denn in Kombination kann in den Zeichen nicht auf den ersten Blick zu erkennendes Unheil mitklingen. Erst wenn der Gelehrte sein Okay gibt, beantragen die Firmeninhaber den Eintrag in das Handelsregister. Mögliches Unheil durch das Zusammensetzen von Namen wird auch im Vorfeld von Hochzeiten vermieden. Schwingt in der Vereinigung des Vornamens der Braut mit dem Nachnamen ihres zukünftigen Mannes Unheil mit, muss sie ihren Rufnamen in einen besser passenden ändern. Natürlich blieb Gisela Bennecke das erspart; die Sprache zu erlernen aber nicht. "Im Kursus in der Botschaft in Tokyo waren wir am Ende nur noch fünf von anfänglich 30 Teilnehmern.“ Wie wichtig die Beherrschung der Landessprache ist, verdeutlicht sie so: "Japaner sind zurückhaltende aber sehr liebenswerte Menschen. Wenn man ihre Sprache spricht, öffnen sie regelrecht ihre Herzen.“ In den ersten gemeinsamen Jahren in Japan seien oft Leute vom einheimischen Fernsehen und Radio gekommen, um sie zu interviewen, erzählt Gisela Bennecke. "Ausländer, die Japanisch sprechen, das war seinerzeit aufsehenerregend.“ Bis zu seinem 85. Lebensjahr erhielt Bennecke noch täglich die führende Industriezeitung Japans per Luftpost. Für große deutsche Unternehmen wie Siemens behielt der 100-Jährige die Entwicklung Nippons auf wirtschaftlichem und industriellem Gebiet auf freiberuflicher Basis fest im Blick. Erschien ihm etwas interessant für seine Auftraggeber, übersetzte er den Artikel oder Bericht und schickte ihn in die Firmenzentralen. Heute kann er nicht mehr übersetzen: Bennecke leidet seit mehr als 15 Jahren an der Augenkrankheit Makuladegeneration, die seine Sehkraft mittlerweile auf etwa fünf Prozent minimiert hat. Das hindert ihn aber nicht daran, auch weiterhin ein lebensfroher Mensch zu sein, der, wie seine Frau bestätigt, "Gesellschaft liebt.“

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