Auch wer wenig Zeit hat, kann sich auf viele Arten für Menschenrechte engagieren

Weihnachtskarten in die Todeszelle

(af). Eine kleine Gruppe von Frauen im Kreis Rotenburg investiert einen Teil ihrer Freizeit in Menschenrechtsarbeit für Amnesty International. Ihre Motivation: der Wunsch, zu helfen und die Abneigung, Missstände als gegeben hinzunehmen.

An diesem Abend sind es nur vier, die am Amnesty-Treffen teilnehmen: Elisabeth Isermann, Andrea Wintjen, Stefanie Viets-Millert und Brigitte Gerlach-Ulbrich sind alle schon mehrere Jahre dabei. Was den Zulauf zu ihrer Gruppe angeht, haben sie bessere Zeiten erlebt, zum Beispiel, als auch einige Schüler sich noch an den Aktionen beteiligten. "Es ist wirklich schade, dass keine jungen Leute nachgerückt sind, nachdem der betreffende Jahrgang Abitur gemacht hat. Die hatten viel Engagement und tolle Ideen", meint Viets-Millert. Mit nur sieben Aktivistinnen und einigen Sympatisanten kann die einzige Amnesty-Gruppe in den Kreisen Rotenburg und Verden ihre Arbeit kaum mehr bewältigen. Schließlich kommt einiges zusammen. Das internationale Sekretariat in London hat den Rotenburger Menschenrechtlern gerade eine neue Aufgabe zugewiesen: den Fall des pakistanischen Chefredakteurs Rehmat Shah Afridi, der wegen seiner regierungskritischen Berichterstattung eingesperrt wurde. Zusätzlich organisierten die Aktivistinnen jüngst ein Benefiz-Konzert im Zevener Rathaus, dessen Erlös der Organisation zu Gute kommt. Außerdem versuchen sie, zu den jeweils aktuellen Kampagnen ihrer Organisation einen Beitrag zu leisten: So gibt es die sogenannten "urgent actions", bei denen durch besonders schnelles Handeln einem Menschen geholfen werden soll, dem die Hinrichtung droht oder dessen Gesundheitszustand dramatisch ist. Und schließlich ist da noch das Schreiben von Briefen: In der Amnesty-Zeitschrift, die einmal im Monat erscheint, werden jeweils drei exemplarische Fälle von Menschenrechtsverletzungen angeführt. Für diese Menschen werden Schreiben verfaßt. Viets-Millert erklärt das Prinzip: "Wir verteilen die Briefe an Leute, die unsere Arbeit unterstützen. Diese unterschreiben sie und senden sie an zum Beispiel an Botschafter des Landes, in dem das Unrecht geschieht, an Staatsoberhäupter oder Justizminister, die Einfluss auf den Fall haben. Allein bei uns kommen 40 Briefe pro Aktion zusammen." Diese "Briefe gegen das Vergessen" werden gleichzeitig von ai-Gruppen aus der ganzen Welt verschickt. "Sie können für einen Gefangen tatsächlich Hafterleichterungen erreichen", sagt Elisabeth Isermann. "Es macht Eindruck auf ein Regime, wenn körbeweise Post für jemanden eintrifft. Auf jeden Fall bedeuten solche Aktionen eine unschätzbare moralische Unterstützung für die Inhaftierten, wenn sie davon erfahren." Mit den regelmäßigen "Briefen gegen das Vergessen", darin ist die Rotenburger ai-Gruppe sich einig, können auch alle gegen Menschenrechtsverletzungen aktiv werden, die ansonsten wenig Zeit für ehrenamliches Engagement hätten. Feedback über Erfolge von ai-Aktionen gibt es auch. Das kommt meistens über das Organ der Organisation, das ai-journal. In einigen Fällen kann aber auch ein persönlicher Kontakt zu demjenigen entstehen, für den eine Ortsgruppe sich eingesetzt hat. Viets-Millert: "Von einem ukrainischen Zeugen Jehova, der wegen Kriegsdienstverweigerung eingesperrt worden war, haben wir erfahren, dass ihn unsere Bemühungen seelisch sehr unterstützt haben." Zu Weihnachten läuft bei ai noch eine besondere Aktion: Die Aktivisten verfassen Postkarten an die Todeskandidaten in amerikanischen Gefängnissen. Für Andrea Wintjen hat sich aus einer solchen Weihnachtskarte einmal ein Briefkontakt ergeben, den sie bis zumTod des Betreffenden durchgehalten hat. "Das war sehr belastend", gibt sie zu. Außer den Ortsgruppen sind noch verschiedene Arbeitskreise für die Organisation aktiv. Brigitte Gerlach-Ulbrich gehört einem Zusammenschluss von Leuten aus dem medizinischen Umfeld an. Sie kümmern sich speziell um Leute aus der gleichen Berufsgruppe, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind. Das Verständnis für die Kampagnen von Amnesty International in Rotenburg sei sehr gering, kritisiert Elisabeth Isermann. "Wenn wir in der Geschäftsstraße stehen und Flugblätter verteilen oder Unterschriften sammeln, betrachten uns die Leute geradezu, als ob wir etwas Unanständiges tun." Dabei müsse sich jeder bewusst sein, dass es ein großes Glück sei, in Deutschland wohnen zu können, wo Menschenrechtsverletzungen nicht an der Tagesordnung seien, ergänzt Viets-Millert. Die junge Frau muss ihre ehrenamtliche Tätigkeit mit Familie und Beruf unter einen Hut bekommen. "Wenn andere ins Fitnessstudio gehen, telefoniere ich zum Beispiel mit dem Anwalt von Shah Afridi", sagt sie. "Aber es ist mir wichtig, nicht nur immer alles zu schlucken, was in der Welt an Unrecht vor sich geht." Möglichkeiten zu helfen, gibt es viele. Auch durch finanzielle Unterstützung kann der guten Sache ein Dienst erwiesen werden. Wer Kontakt mit der Rotenburger Amnesty-International-Gruppe aufnehmen möchte, kann sich unter Telefon 04269/5246 mit Lydia Marwede in Verbindung setzen. (Text und Bild: Annette Freudling)

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