Aaron Kruse spricht über chinesische Mentalität

In fremden Federn

Aaron Kruse (links) und sein Mitreisender Jona genießen den Ausblick auf das Naturschutzgebiet entlang einer alten Handelsroute.
 ©Rotenburger Rundschau

Rotenburg/Wenxian (db). Der 18-jährige Rotenburger Aaron Kruse tauscht die Schulbank gegen das Lehrerpult. Der frisch gebackene Abiturient unterrichtet elf Monate im Rahmen des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes Weltwärts Englisch an der No. 1 Senior High School in Wenxian (China). In der Rundschau berichtet Kruse alle zwei Wochen über das, was er dort erlebt.

Die vergangenen Monate habe ich nicht nur viel erleben dürfen, nein, ich hatte auch viele Momente für mich. In solchen Zeiten fällt mir hier in China dann auf, wie anders ich doch an mancher Stelle bin und entdecke teils ganz neue Seiten an mir. Ich lege gemeinhin viel Wert auf abgesprochene Uhrzeiten, Termine und vernünftige Planung – nenne ich es einfach „typisch deutsche Tugenden“. Leider stimmen diese Werte nicht immer mit denen der Chinesen überein, die oftmals etwas spontaner und lockerer an vieles herangehen.

So wie Anfang November: Am Montagabend erfuhr ich, dass ich ab Mittwochmorgen bis zum Sonntag aufgrund halbjährlicher Prüfungen Urlaub habe. „Großartig“, denke ich, „da bin ich ja sehr früh dran mit Planungen.“ Auf den netten Rat einer Kollegin hin, wähle ich die fünf Stunden entfernte Großstadt „Guangyuan“ als Reiseziel.

Da ein Kollege den Busfahrer nach Guangyuan kennt, ist ein Platz für die Hinfahrt schnell gesichert, denn wenn hier eines gut funktioniert, dann Vetternwirtschaft. Nur eine Unterkunft fehlt noch. Für mich ein guter Anlass, zum ersten Mal „Couchsurfing“ auszuprobieren. Dieses Couchsurfing ist eine Plattform im Internet, über die Menschen auf der ganzen Welt ihr Gästezimmer oder eben ihre „Couch“ (Sofa) für fremde Reisende anbieten.

Es geht dabei aber nicht nur um das bloße Übernachten. Oft ist es ein Geben und Nehmen: man verbringt gemeinsam Zeit und lernt neue Menschen kennen. In Deutschland ist dieser Trend weit verbreitet, zu meiner Überraschung aber auch ebenso im nicht wirklich touristischen Westen Chinas. So finde ich auf meiner Suche schnell einige Gastgeber. Schließlich entscheide ich mich für eine junge Chinesin (29), die mir anbietet, dass mein Kollege Jona und ich bei ihr im Gästezimmer schlafen können. Ohne von ihr viel mehr zu wissen als ihren Vornamen und ihre Handynummer steigen wir in den Bus und starten unser kleines „Ferien-Abenteuer“.

Abends sind wir mit unserer Gastgeberin Jessy an einem großen Einkaufszentrum verabredet. Bevor wir sie schließlich treffen, verbringen wir den Tag in der Stadt. Dort besuchen wir neben „Walmart“ auch den örtlichen McDonalds und genießen die westliche Markenpalette. So bedenklich es auch klingen mag: Seit ich in China bin, genieße ich fast schon den „Käse“ bei McDonalds, weil dieser in China Mangelware ist. Wohl auch deshalb gehört McDonalds zu den ersten Anlaufstellen, wenn ich in eine größere Stadt komme. Da weiß ich, was ich bekomme.

Abends treffen wir dann unsere Gastgeberin – die, wie sich schnell herausstellt, eine sehr nette und aufgeschlossene Frau ist. Sie holt uns mit ihrem Auto ab und fährt uns zu ihrer großen Wohnung im 19. Stock eines modernen Hochhauses. Wir erfahren, dass sie in der Tourismusbranche arbeitet und am liebsten die Realverfilmung von Heidi mit chinesischem Untertitel schaut. Kurz gesagt: Ein „Jackpot“ für uns.

Da sie tagsüber arbeitet, erkunden wir die nähere Umgebung und die Innenstadt auf eigene Faust. Wir besuchen alte, wunderschöne Tempel und den Stadtpark. Am zweiten Tag fahren wir in eine nahe gelegene „Ancient Town“, wovon es in China seit einiger Zeit ziemlich viele gibt – ähnlich wie in Freilichtmuseen versucht man mit nachgebauten Altstädten das Leben früherer Zeiten erlebbar zu machen. Einen wesentlichen Unterschied gibt es zum deutschen Freilicht-Pendant: Zwar sind einige Hauptgebäude über die Siedlung verteilt, die vom Staat finanziert werden, die restlichen Gebäude jedoch sind Wohnhäuser. Unter strikten Auflagen können Leute dort ein Haus in der Stadt im alten Stil errichten. In der von mir besuchten „Ancient Town“ leben knapp 4.000 Menschen, die nur vom Tourismus leben und billigste Souvenirs anbieten. Was ich mir zunächst nicht vorstellen kann, funktioniert aber aufgrund unglaublicher Touristenzahlen. So sind trotz Regen und Werktag viele Rentner mit Schirmen und Kameras in der „alten“ Stadt unterwegs. Aufgrund eines horrenden Ticketpreises will ich zunächst auch gar nicht dorthin. Allerdings organisiert uns unserer Gastgeberin kostenlose Karten und eine englische Führung, somit fällt ein Ausschlagen sehr schwer. Zwar sind die Hauptgebäude schön anzusehen, die Atmosphäre wurde aber sehr von der kommerziellen Atmosphäre gestört, sodass wir froh sind, als die Führung ein Ende hat.

Höhepunkt unserer Ausflüge ist dann aber ein Nationalpark in der Nähe. Inmitten riesiger Berge führt eine uralte Handelsroute durch dieses Gebiet und wir genießen die atemberaubende Landschaft und Natur.

An den Abenden treffen wir dann immer Jessy und gehen gemeinsam essen, oder treffen ihre Freunde in einer Bar. Ich verbringe alles in allem vier unglaublich schöne Tage und lerne viele spannende Leute kennen. Umso trauriger sind wir, als wir Samstagnachmittag wieder den Rückweg antreten. Aber ich nehme auch eine Gewissheit mit: „Couchsurfing habe ich nicht zum letzten Mal gemacht!“

Zuhause angekommen, beginnt unmittelbar der Alltag. Da die Temperaturen nach wie vor bei zehn bis 15 Grad Celsius liegen, treibe ich viel Sport und habe großen Gefallen am Kung-Fu gefunden. Zusammen mit drei Sport-Leistungskurs-Schülern bekomme ich dreimal pro Woche Unterricht von einem Sportlehrer. Das ständige Dehnen beansprucht den Körper zwar sehr, bereitet mir aber auch viel Spaß.

Um aber auch noch einmal auf die Spontanität der Chinesen zurückzukommen: Letzte Woche wurde ich vormittags für den Nachmittag auf eine Hochzeit eingeladen, und auch nächstes Wochenende steht eine an. Zwar kenne ich die Hochzeitspaare nicht wirklich, allerdings scheinen ausländische Gäste wohl etwas sehr Spektakuläres zu sein. Dazu aber ein anderes Mal mehr.

Seit zwei Tagen darf ich mit Beginn der Adventszeit offiziell Weihnachtslieder summen. So ganz in Stimmung komme ich allerdings irgendwie nicht ohne Kekse und Weihnachtsmärkte. Dafür steigt nun aber die Vorfreude auf meine lange China-Reise ab Mitte Januar umso mehr und ich stecke mitten in der Planung.

• Wer Weltwärts unterstützen will, meldet sich per E-Mail an aaron.kruse@yahoo.com oder telefonisch bei Vater Niels Kruse unter 0170/2227356. Spender erhalten auf Wunsch eine Spendenbescheinigung.

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