In der Alten Apotheke haben sich schon merkwürdige Dinge zugetragen - VON WIELAND BONATH

Das Rezept auf der Stubentür

Matthias Gutermann vor seiner traditionsreichen "Alten Apotheke" in Visselhövede.
 ©Wieters

Visselhövede – „Sachen gibt’s“ – und besonders oft in Visselhövede. Und darum erinnert Apotheker Matthias Gutermann auch gern an das größte Rezept, das wohl jemals in seinem Haus oder auch in anderen Apotheken angenommen worden ist – nämlich aufgeschrieben auf einer Wohnungstür und dem damaligen Chef der Alten Apotheke an der Schäferstraße überreicht.

Die Zeit mag dieses und jenes hinzugedichtet haben, der Kern ist wahr, den Bürger und Besucher der kleinen Stadt auf einer Infotafel an der Fachwerk-Hauswand der Apotheke mit ungläubigem Blick lesen: „In dieser Apotheke wurde das wohl größte Rezept Deutschlands eingereicht. Es soll sich dabei um eine ganze Wohnungstür gehandelt haben.“

Apotheker Matthias Gutermann (61), seit April 1995 Eigentümer des Hauses und neben der Pharmazie der Heimathistorie besonders zugewandt, blättert in seinen wohlgeordneten Unterlagen aus der Vergangenheit und stößt auf diesen Text, der die Sache mit dem Rezept auf der Stubentür beschreibt.

„Ein Doktor Förtsch, so erzählt uns der Bürgermeister von Walsrode, wollte einst in Kettenburg ein Rezept schreiben, fand jedoch weder Papier noch Tinte und Feder vor. Er schrieb daher, da die Sache dringend war, das Rezept mit Kreide recht deutlich auf die Stubentür und befahl, dasselbe von dem – auch gerade abwesenden – Schulmeister abschreiben zu lassen, sobald der zurückkomme. Da der Zustand des Kranken sich verschlimmerte, der Schulmeister aber immer noch nicht zurückkam, nahm der Sohn des Kranken die Stubentür und ging nach Visselhövede zur Apotheke.“

Der Dialog zwischen dem Bauernsohn und dem Apotheker wird in dem Text, der Matthias Gutermann vorliegt, so kolportiert: „Ick hew hier en Rezept“, sagte er. „Schön“, sagte der Apotheker, „gebe er’s mal her.“ - „Tja“, antwortete der Bauer, „so lichtförig geit dat man nich, denn mut he erst sein ganze Fenster apenmaken.“ „Warum denn dat“, meinte der Apotheker, indem er das Fenster öffnete und neugierig herausguckte. Aber er fuhr erschreckt zurück, als ihm der Bauer die Stubentür durchs Fenster steckte, denn solch ein Rezept hatte er noch nie gesehen.“

Der Kern der unglaublichen Geschichte, davon ist Apotheker Matthias Gutermann überzeugt, ist wahr. Manches, was sich um das Ganze ranke, das sich vermutlich Anfang des 19. Jahrhunderts abgespielt habe, müsse jedoch Spekulation bleiben: Warum hat der Sohn des schwerkranken Bauern nicht selbst dafür gesorgt, dass das Rezept von Doktor Förtsch auf ein handliches Stück Papier übertragen wurde – konnte der junge Mann nicht schreiben?

Wie hat der Bauernsohn die etwa vier Kilometer von Kettenburg nach Visselhövede bewältigt? Die Stubentür wird er kaum selbst getragen haben. Ein von einem Pferd gezogener Leiterwagen ist die wahrscheinlich richtige Antwort.

Zu tiefes Bohren tue der originellen Geschichte um das größte Rezept, die bei keiner Visselhöveder Stadtführung ausgelassen wird, aber auch nicht gut, so Gutermann.

Die Alte Apotheke wurde 1824 von dem Rotenburger Friedrich Adolf Wattenberg als Filialapotheke und zweite Apotheke im Altkreis Rotenburg gegründet. Geführt wurde das Geschäft anfänglich von wechselnden Administratoren und bisher acht Apothekern.

Zu denen, die in der Visselstadt besonders Spuren hinterließen, gehört Carl Kuhlig, der die Apotheke 1893 gekauft und bis zu seinem Tod 1919 geführt hat. Kuhligs Frau war die Tochter des Schriftstellers und Weltenbummlers Friedrich Gerstäcker.

Der war Autor spannender Abenteuerromane und Erzählungen. Friedrich Gerstäcker hatte große Teile der Welt bereist. Speere, Pfeil und Bogen, Masken und andere Mitbringsel aus aller Herren Länder brachte er mit nach Deutschland, und sie waren in der Alten Apotheke bis vor wenigen Jahren zu sehen. Apotheker Matthias Gutermann, der aus dem Münsterland stammt, wollte mit seiner Frau Gabriele ursprünglich auf die Nordseeinsel Amrum ziehen, entschied sich 1995 nach dem Tipp eines Bekannten für Visselhövede. Eine Wahl, die für die Familie zum Glückstreffer werden sollte.

Gutermann sorgte in Zusammenarbeit mit sinnverwandten Fachleuten dafür, dass die traditionsreiche Alte Apotheke, in der heute zehn Mitarbeiter beschäftigt sind, das Flair früherer Jahrzehnte atmet und mit modernen Ansprüchen stilvoll verbindet.

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