Wissenswertes über artenreiche Feuchtwiesen - Von Christiane Looks

Wiesenschaumkraut im Salat

Feuchtwiese südwestlich vom Hassendorfer Wehr bei Ahausen. Foto: Joachim Looks
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Hassendorf. Die Banknachbarin in den ersten vier Volksschuljahren kam aus einer Fischerfamilie. Keine Geburtstagsfeier bei ihr ohne Heringssalat. Zum ersten Mal eingeladen, überraschte der aus eigenem Heringsfang bereitete Salat dadurch, dass sein Aussehen unbeeinflusst von roter Beete war, wie ich es sonst kannte. Auch nicht Weiß trat der Geburtstagsheringssalat auf, wie bei der Vari-ante, die nur am Silvesterabend mit Mayonnaise in meinem Zuhause gereicht wurde. Dieser Vertreter war grüner.

Da es damals zum selbstverständlichen Bestand kindlicher Erziehung gehörte, dass gegessen wurde, was auf den Tisch kam, und auf dem Teller auch nichts zurückgelassen werden durfte, ließ ich mir nur zurückhaltend auffüllen. Meine Freundin und die ebenfalls eingeladenen Nachbarskinder aus der Fischersiedlung waren dagegen erst mit einer „ordentlichen“ Portion zufrieden. Mir ist noch sehr bewusst, wie mühsam die Bestimmung der Salatzutaten ausfiel, da bloß niemand die Skepsis angesichts des Gerichts bemerken sollte. Hering, Kartoffel, Apfel und Gewürzgurke waren leicht zu erkennen. Aber das klein geschnittene Grünzeug? Die anderen schienen kein Problem zu haben und aßen bereits, während ich noch zögerte. Ein vorsichtiger Versuch, das unbekannte Grün zu probieren, überraschte. Es schmeckte ein wenig wie die klein geschnittenen Blätter der Kapuzinerkresse, die im Sommer zum Würzen des heimischen Kartoffelsalats verwendet wurden.

Die Mutter des Geburtstagskindes musste mein Herumstochern wohl bemerkt haben, denn sie erklärte freundlich, dass so früh im Jahr Wiesenschaumkrautblätter als Würzbeigabe genutzt würden. Wiesenschaumkraut? Im Frühjahr bestimmte diese Pflanze mit ihren weißen bis zart violetten Blüten die Feuchtwiese gegenüber meinem Elternhaus und signalisierte unübersehbar: Es ist Frühling! Aber als Küchenzutat?

Die Liste der Wildkräuter ist beachtlich, die früher als selbstverständliche Zutat in der Küche eingesetzt wurden und Gerichten individuelle Noten verliehen. Wiesenschaumkrautquark, mit fein gehackter Brennnessel, Löwenzahn und Winterkresse gewürzt und zu Pellkartoffeln serviert, mag ein einfaches Essen gewesen sein, verstecken müsste sich dieses Gericht aber selbst heute nicht, wäre die Hauptzutat nicht so rar geworden, dass sie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern als gefährdet eingestuft wird. Zur Blume des Jahres 2006 gewählt, sollte sie auf eine zunehmende Gefährdung von Feuchtwiesen hinweisen.

Selbstverständlich sind Wiesen wie jene vor meinem Elternhaus nicht. Während des Mittelalters wurde mit wachsender Bevölkerung die vorhandene Urlandschaft Zug um Zug in Kulturlandschaft umgewandelt. In nicht ackerfähigen Bereichen entstanden weitläufige Flächen, die als Weiden oder Wiesen dienten. Bedingt durch fortfallende Heiratsbeschränkungen im 19. Jahrhundert und unter dem Eindruck der sich daraus ergebenden Bevölkerungsexplosion führte der Hunger nach bewirtschaftungsfähigem Land dazu, dass Landwirtschaft mit wachsendem Fortschritt auch zunächst nicht ackerfähigen Grund und Boden durch entsprechende Maßnahmen nutzte. Damit einher ging schon damals der Verlust wertvoller Lebensräume. Dies traf vor allem Feuchtwiesen, die in Mitteleuropa zu den artenreichsten Biotopen zählen. Extensiv nur zweimal im Jahr gemäht, fanden sich bei entsprechenden Untersuchungen in einem Bereich von 20 Quadratmetern zwischen 40 und 60 höhere Pflanzenarten. Viel? Wenig? Georg Grabherr, ein österreichischer Ökologe, stellte hierzu 2015 fest: „Auf Intensiv-Grünland wachsen oft nur fünf bis sieben Pflanzenarten – vor allem Gräser, die viel Dünger und häufige Mahd vertragen.“

Spannend wird es bei Tierarten: bis zu 1.900 Arten wurden in nordwestdeutschen Feuchtwiesen nachgewiesen – welch eine Zählarbeit, allein schon bei den Grashüpfer-Arten! Neben ihnen gehört eine große Zahl an Wiesenvögeln dazu, wie Bekassine, Brachvogel, Kiebitz, Weißstorch, Wiesenweihe. Mit dem Schwinden von Feuchtwiesen verlieren sie in teilweise dramatischer Weise ihre Lebensgrundlage. Dabei zeigt ein behutsamer Umgang, dass sich sensibler Einsatz für diesen Lebensraum lohnt: Zum ersten Mal seit Jahren hat sich die Zahl der im Altkreis Rotenburg brütenden Storchenpaare deutlich erhöht!

Neugierig geworden auf eine artenreiche Feuchtwiese? In Hassendorf von der Bahnhofstraße nach Süden abbiegen in den „Wümmeweg“, dem ganz bis zum Ende unmittelbar vor der Wümmeniederung gefolgt wird. Hier dem Weg Vor der Wümme nach links entlang einer Wochenhaussiedlung folgen. Am Ende dieser idyllischen Siedlung gibt es rechts einen Abzweig nach Ahausen über das Hassendorfer Wehr. Dem Weg folgen. Gleich nach der Wümme-Querung über das Wehr erstreckt sich rechts bis zum Waldrand eine Feuchtwiese, die von dem am Fluss entlang führenden Wanderweg gut betrachtet werden kann. Sie ist Tummelfeld für all jene, die dort ihren Lebensraum haben. Andere dürfen von außen zuschauen.

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