NATUR-LOOKS Folge 190: Ein bitterböses Lied und sein Hintergrund

Tauben vergiften

Gut Cadenbergs historisches Taubenhaus bei Cuxhaven Foto: Joachim Looks
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VON CHRISTIANE LOOKS

Ahausen – Lieder kommen und gehen. Andere werden dagegen zur Legende. Zu diesen Liedern gehört ein 1956 zum ersten Mal in einer Wiener Bar angekündigtes Frühlingslied des vielseitig aufgestellten österreichisch-amerikanischen Künstlers Georg Kreisler mit einem bitterbösen Text, bei dem bis heute diskutiert wird, ob sich Kreisler nicht durch ein Lied von Tom Lehrer inspirieren ließ. Lehrer ist Amerikaner und lehrte als Mathematiker an verschiedenen Hochschulen, eroberte sich aber ab 1953 unter Kennern auch einen Interessentenkreis als satirischer Singer-Songwriter. Kreisler hatte 1938 mit seinen Eltern als 16jähriger Wien verlassen und war nach 18 Jahren in sein Heimatland als amerikanischer Staatsbürger zurückgekehrt, um zu seiner Enttäuschung zu erfahren, dass er, wie andere vor der nationalsozialistischen Terrorherrschaft Geflohene, die österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr erhielt.

Frühling in Wien weckt Erinnerungen an sogenannte Wienerlieder wie das 1916 entstandene, populäre „Im Prater blüh‘n wieder die Bäume“. Ganz anders Kreislers Frühlingslied, in dem im charmanten Walzertakt ein Picknick mit Grahambrot bei wunderschönstem Frühlingswetter in einem Park vorgeschlagen wird, wo ganz ungeniert Tauben mit aufs Brot gestreutem Arsen und Zyankali vergiftet werden könnten. Das Lied wurde in Österreich verboten: zu provokativ für ein Land, das nach Kriegsende seinen Weg suchte zwischen untergegangener, kaiserlich-königlicher Sissi-Welt und dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland. Tief gekränkt von dem Gefühl auch nach dem, was geschehen war, in seinem Heimatland nicht akzeptiert zu werden, betonte Kreisler später, kein Österreicher mehr zu sein und verbat sich anlässlich seines 75jährigen Geburtstags jegliche offizielle Gratulation Österreichs, da sich die österreichische Republik nach seinem Eindruck noch nie um ihn geschert habe.

Es ist davon auszugehen, dass jene Tauben, die Kreisler vorschlug, einfach mal so im frühlingshaften Park während eines Picknicks zu vergiften, vermutlich Stadttauben gewesen waren, verwilderte Nachfahren von Zuchttauben. Bereits vor tausenden Jahren wurden in Indien Felsentauben zu Haustauben domestiziert. Im Verlauf der langen Zeit wurden dann Masttauben gezüchtet als Fleischlieferanten, Brieftauben zur Nachrichtenübermittlung, Kunstflugtauben und auf Schönheit gezüchtete Rassetauben. Häufig wurde diesen Tieren außerdem eine starke Brutaktivität angezüchtet. Bis zu zwanzig Nachkommen in einem Jahr sind möglich, kein Problem, wenn Besitzer sich kümmern. Finden Brieftauben aber nicht mehr den Weg zurück in einen Taubenschlag, oder eine Ziertaube entsprach nicht dem gewünschten Zuchtziel, fiel beziehungsweise fällt auch heute eine erforderliche Betreuung aus. Die Tiere wurden ausgesetzt und mussten allein zurechtkommen. Sie siedeln sich dort an, wo sie Essensreste fanden: in Städten.

Ein massives Problem mit diesen verwilderten Zuchttauben entstand und entsteht dadurch, dass die mühsam zusammengesuchte Nahrung nicht artgerecht ist, schwer verdaut werden kann und zu flüssigem Hungerkot führt, der manche Stadt verzweifeln lässt. In Ermangelung geeigneter Ruhe- und Nistplätze wird von den Tieren jede Gelegenheit genutzt, sich niederzulassen oder einen geeigneten Nistplatz zu bauen, mit den Folgen einer Beseitigung flüssiger Hinterlassenschaften an unzähligen Tauben-Rast und Nistplätzen – ein Kampf gegen Windmühlenflügel, hier wohl besser Taubenflügel!

Viel wurde probiert: Nagelbretter an Simsen und Vorsprüngen, elektrische Drähte sowie Verschließen von Nischen durch Netze oder Gitter. Früher praktizierte Abschüsse oder Vergiftung von zu groß gewordenen Taubenbeständen erwiesen sich nur vorübergehend als erfolgreich und sind mittlerweile höchstens nach vorliegender Genehmigung seitens zuständiger Behörden durch Fachkräfte möglich. Kreisler hätte heute also Schwierigkeiten, irgendwelche lästig gewordenen Stadttauben mal so eben mit Arsen oder Zyankali auf Grahambrot zu vergiften.

Neben zertifizierten Fachleuten sorgen, sofern vorhanden, auch tierische Spezialkräfte für eine Reduzierung von Taubenbeständen: Habicht, Uhu und Wanderfalken. Vor allem für letztere stellen Tauben die Hauptbeute dar. Dies führt dazu, dass die geschützten Wanderfalken manchem Taubenzüchter ein Dorn im Auge sind und diese mit Hilfe vergifteter Tauben Wanderfalken wiederum zu vergiften suchen: statt Tauben vergiften im Park, Wanderfalken vergiften mit vergifteten Tauben…

Mittlerweile gehen taubengeplagte Städte andere Wege als den gestatteten einer Vergrämung. Sie bauen Taubenhäuser. Diese oft menschlichen Häusern ähnelnde Bauten wurden früher zur Haltung von Zuchttauben errichtet. Tauben sind standorttreu. Haben sie sich für einen Standort entschieden, lässt sich ihre Haltung kontrollieren. Dies wird genutzt, um Stadttauben durch gezielte Fütterung beispielsweise aus einer Bahnhofshalle zu einem betreuten Taubenhaus zu locken, bei gleichzeitig verbotener Fütterung im Bahnhofsgebäude und Umfeld durch andere, durchgesetzt über Kontrolle und Bußgeld. Regelmäßige Kontrolle des Taubenhauses, sachgemäße Reinigung des Gebäudes samt Umgebung, artgemäße Fütterung, Versorgung erkrankter Tiere und Regulierung des Bestandes durch Ersatz gelegter Eier mit Hilfe geeigneter Attrappen. In Stuttgart konnte auf diese Weise innerhalb von vierzehn Jahren der Stadttaubenbestand um mehr als 30.000 Tiere reduziert werden. Elf Taubenhäuser haben dazu beigetragen.

Dort gilt: Tauben vergiften, hilft nicht. Tauben betreuen ist besser.

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