NATUR-LOOKS Folge 189: Landschaft als Kulturgut

Idealisierte Natur – Traum oder Wirklichkeit?

"Im Knick" u2013 Landschaftsbereich mit weiten Blickachsen Foto: Joachim Looks
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VON CHRISTIANE LOOKS

Im Gegensatz zur restlichen Familie fuhr mein Vater nicht gerne Fahrrad. Als Grund gab er an, dass ihm diese Fortbewgung während seiner Junglehrerzeit gründlich verdorben wurde, weil er in diesem Zeitraum länger einen erkrankten Kollegen mehrere Dörfer weiter vertreten musste, der eine einklassige Dorfschule betreute. Um dorthin zu kommen, blieb ihm in Ermangelung eines öffentlichen Personennahverkehrs nach 1945 und eines eigenen motorisierten Fahrzeugs nichts anderes übrig, als bei Sturm, Regen und Schnee mit dem Rad die Viertelstunde zu dem abseits gelegenen Dorf zu bewältigen. Unglücklicherweise lag der Ort nordwestlich unserer Dorfschule, sodass es in unserem durch Westwindlagen geprägten Gebiet gefühlt ausgerechnet immer zum Vertretungsunterrichtsbeginn gegen Wind und Wetter ging. Da mein Vater kein Frühaufsteher war und die Schule am Ende des Straßendorfes lag, war er schon gezwungen, ordentlich in die Pedale zu treten, um nicht unter den kritischen Augen der Dorfbewohner zu spät den wartenden Schulkindern aufschließen zu müssen. Registrieren wir heute dagegen bei geeignetem Fahrradfahrwetter einen steifen Nordwestwind, fahren wir gerne gegen den Wind mit dem Zug nach Bremen und genießen auf der Heimfahrt Rückenwind. Außerdem muss keine Schule rechtzeitig unter dem strengen Blick anderer aufgeschlossen werden.

Ein touristisches Highlight bei dieser radfreundlichen Streckenführung trotz Westwindlage ist der Bremer Bürgerpark. Er wurde im 19. Jahrhundert als Volkspark mit abwechslungsreichen Parkbildern für die wachsende Bevölkerung Bremens angelegt. Die Haupt-Sichtachse verläuft über die breite Parkwiesenschneise einmal quer durch die Anlage vom Park Hotel, große Parkwiese, Meiereiweide zur 1881 im Schweizer Stil erbauten Meierei, damals eine Musterwirtschaft mit Stallungen und Garten, die Stadtbewohnern, wenn auch idealisiert, ländliches Leben zeigen sollte – schon damals wussten Städter und Landbevölkerung wenig über das Leben der anderen.

Volksgärten entstanden Ende des 18. Jahrhunderts zur Erholung und Bildung städtischer Bevölkerung. Diese öffentlichen Gärten orientierten sich an Prinzipien der damals praktizierten Gartenkunst und dienten der Erziehung des Menschen durch Denkmäler, Sammlungen ausgefallener Gehölze, botanische Abteilungen oder Tiergärten. Ein Jahrhundert später entwickelte sich daraus die Idee des Volksparks. Die stark an ästhetischen Kriterien orientierte Volksgartengestaltung wurde abgelehnt zugunsten einer nutzerbezogenen Freiraumgestaltung und Landschaftsplanung. Eines der anschaulichsten Beispiele hierfür ist der Bremer Bürgerpark. In Teilen folgt er noch geometrisch-regelmäßigen Prinzipien des alten Volksgartenprinzips, wird aber wesentlicher geprägt durch landschaftliche Partien, mit denen die beiden großen Grünflächen von Parkwiese und Meiereiweide durch unterschiedlich große Baumgruppen und wie zufällig hingestreute Einzelgehölze gegliedert werden. Wer darauf achtet, entdeckt, dass sich der Wiese und Weide begleitende Wald in unregelmäßig geformte Bereiche mit Nadel- und Laubgehölzen gliedert, in denen Hauptbaumarten wie Buchen, Eichen oder Kiefern Gruppen bilden. Wasserzüge mit sanft modellierten Uferlinien lockern die Parkanlage zusätzlich auf, und geschwungene Parkwege führen zu einer Vielzahl malerischer Ansichten. Der Bremer Bürgerpark ist nicht ohne Grund eins der interessantesten Gartenbeispiele für idealisierte Landschaftsgestaltung.

In Niedersachsen ist auf Kreisebene der Landschaftsrahmenplan das zentrale Planungsinstrument des Naturschutzes. Er liefert wesentliche Beiträge für Raumordnung und Regionalplanung, Arten- und Biotopschutz, Schutzgebietsausweisungen, Eingriffsregelungen und vieles mehr. 2013 wurde er im Landkreis Rotenburg (Wümme) fortgeschrieben und liegt seit März 2016 in der aktuell gültigen Fassung vor. In ihm finden sich auch Hinweise auf Bereiche, die einen besonders hohen Erlebniswert haben, beispielsweise aufgrund weiter Blickachsen.

Dazu zählt „Im Knick“ zwischen Westerwalsede und Kirchwalsede. Das Gebiet liegt in der Nähe des Ahauser Baches, der in einigen Karten im Oberlauf auch als Fuhlbach bezeichnet wird. Wer von der B215 aus Rotenburg (Wümme) kommend nach dem Überqueren der Eisenbahnstrecke Rotenburg/Verden einen Kilometer weiter bei der „Bünte“ an einer Kreuzung nach links auf die K205 Richtung Westerwalsede abbiegt, quert nach etwa 1,3 Kilometern im Bereich der Siedlung „Auf dem Adel“ erneut die Eisenbahn und 400 Meter weiter den Ahauser Bach/Fuhlbach. Nach 750 Metern zweigt links ein befestigter Weg ab. Ihm folgen. 200 Meter weiter verläuft er linkerhand entlang des Flurstücks „Im Knick“. In Blickweite des NSG „Großes und Weißes Moor“ sowie des Ahauser Bachs/Fuhlbachs, wird ein Landschaftsbereich durchquert, der niemals so durchgeplant wurde, dass es einem Volks- oder Bürgerpark vergangener Zeit entsprechen würde. Entstanden ist eine wirtschaftlich genutzte, sehenswerte Landschaft.

Vor zweihundert Jahren wünschten Bremer Parkväter im Sinne der Volksparkbewegung, der Bremer Bürgerpark möge „edle Empfindungen“ bei Menschen auslösen. Auch wenn heute der Sprachstil des 19. Jahrhunderts amüsiert, lässt einer der Kernpunkte dieser Äußerung grübeln: eine ländliche Musterwirtschaft als Bestandteil eines bewusst geplanten Parks zu betrachten, überrascht angesichts mancher Schlammschlacht über den Stellenwert von Landwirtschaft heute.

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