Natur-Looks, Folge 188: Überleben im Moor

Dem Ersten den Tod, dem Zweiten die Not

Was übrig blieb: aufgegebener Moorhof im Cuxland am Rande des NSG "Langes Moor". Foto: Joachim Looks
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VON CHRISTINE LOOKS

Johann G. Kohl war im 19. Jahrhundert ein bekannter Reiseschriftsteller, der Mitte des Jahrhunderts die Leitung der Bremer Stadtbibliothek übernahm. 1864 wurde ein Sammelband seiner „Nordwestdeutsche Skizzen“ herausgegeben, in dem er seine Eindrücke zur Urbarmachung des Teufelsmoores im 18. und 19. Jahrhundert umfassend wiedergibt. So berichtet er von weitläufigen Gehöften, mannshohem Getreide und Wiesen voller zufrieden wiederkäuendem Milchvieh. Arme Bauern sah er nach eigenem Bekunden selten, dafür wohlhabende Moorbauern, die erzählten, wie mühselig der Großvater begonnen hatte und auch der Vater noch hart arbeiten musste.

Kohl greift hier indirekt den weithin bekannten niederdeutschen Spruch auf „Den Eersten sien Dod, den Tweeten sien Not, den Drütten sien Brod.“ Bekannt geworden war der Spruch mit der Fehnkultur, die Ende des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden im Zusammenhang mit Torfabbau und Kanalbau entwickelt wurde. Nicht jeder konnte sich vorstellen in einer Fehnkolonie zu siedeln. Im Emsland wird erzählt, dass Graf Dietrich von Velen große Schwierigkeiten hatte, eine Fehnkolonie nach holländischem Vorbild aufzubauen. Sein Angebot an möglicherweise Interessierte, ungenutztes Moorland bereit zu stellen, lockte niemanden. Moorlandschaften galten als gefährlich. Auch ein zweiter Versuch mit einem lebenslangen Fischereirecht in der Ems brachte keine Kolonisten. Erst im dritten Versuch klappte es, denn jetzt wurde zugesagt, dass kein Siedler in den 30-jährigen Krieg ziehen müsste. So entstand 1630 mit Papenburg die erste Fehnkolonie Deutschlands.

Als entscheidend für den Erfolg von Kolonisierungsbestrebungen in Moorgebieten erwies sich eine sorgfältige, der Wirklichkeit vor Ort entsprechenden Planung, wie sie der hannoversche Moorkolonisator Jürgen Christian Findorff im 18. Jahrhunderts im Elbe-Weser-Dreieck betrieben hatte. Er ging bei seiner Planung von Höfen einer Größe von 50 bis 80 Morgen aus, überlebensfähig bewirtschaftet von einer sechsköpfigen Familie.

Als überlebensfähig galt ein Hof seit dem Mittelalter, wenn er eine Grundgröße von 1 Hufe hatte. Eine Größe, bei der davon ausgegangen wurde, dass diese von einer Familie alleine bewirtschaftet werden konnte und sie auch ernährte. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war es üblich, dafür ungefähr 30 Morgen zu veranschlagen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass John Seymour, 2004 in Irland verstorben und weltweit einer der Pioniere moderner Selbstversorgung, für die Eigenversorgung einer sechsköpfigen Familie nur fünf Morgen gut drainiertes Land veranschlagte. Moorhöfe gehörten bei seinen Überlegungen nicht dazu, denn er sprach von „gut drainiertem Land“.

Kolonisierungsversuche scheiterten, weil Kolonisten Bedingungen vorfanden, die ohne Hilfe nicht zu bewältigen waren. Während Findorff sich verantwortlich dafür sah, dass Siedlungsgebiete mit einer geeigneten Infrastruktur ausgestattet wurden und Siedler eine Grundausstattung erhielten, hielten sich andere staatliche Stellen nicht an Versprechungen oder überließen Kolonisten sich weitgehend selbst. So warb der dänische Staat im 18. Jahrhundert in Süddeutschland Siedler für Moor- und Heidegebiete im schleswigschen Teil Dänemarks an, denen mit allem Notwendigem ausgestattete Häuser versprochen wurde, die bei der Ankunft aber nicht vorhanden waren. Außerdem erwiesen sich die nicht kultivierten Siedlungsstellen von knapp fünf Morgen als nicht kultivierbar. Selbst Dünger wurde nicht bereit gestellt. Von der ursprünglich einmal vorgesehenen Einrichtung von 4000 Neu-Siedlerstellen konnten letzten Endes nur 600 Stellen besetzt werden, von denen sich bis heute nur 500 Höfe dauerhaft hielten: 12,5 Prozent der ursprünglich vorgesehenen Siedlerstellen!

Nicht weniger erfreulich erging es jenen Kolonisten, die sich nach dem Tod des letzten ostfriesischen Fürsten für eine Siedlungsstelle in ostfriesischen Mooren bewarben. Nach dem Urbarmachungsedikt Friedrichs des Großen waren die Gebiete an die preußische Krone gefallen, die Kolonisten wünschte, sich aber nicht gewillt zeigte, staatliche Hilfe zu geben und es den Siedler überließ, sich eine von der vorgegebenen Größe viel zu kleine Siedlungsstelle in einem seitens des Staates ausgewählten Siedlungsbereichs zu suchen und dort einzurichten. Hier führte zusätzlich die problematische, den Boden auslaugende Bewirtschaftungsmethode der Moorbrandkultur dazu, dass die so entstandenen Moorkolonien anders als in dem von Johann G. Kohl beschriebenem Teufelsmoorbereich zu Notstandsgebieten wurden.

Auch wenn damals im Elbe-Weser-Dreieck dank Findorffs wegweisender Vorgehensweise bei Moorkolonisationen vieles richtig gemacht wurde, blieb es auch hier nicht aus, dass Siedlerstellen aufgegeben wurden. Manche verfielen, andere verschwanden komplett – lost places. Übrig bleiben Siedlungsflächen, die keiner mehr will, und die, in Ruhe gelassen, nach einiger Zeit Sekundärbiotope werden, aus denen, zielgerichtet nachgeholfen, interessante Moorgebiete entstehen. Ein Rückschritt? Für lebendige, klimafreundliche Moore nicht!

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