Nazi-Zeit: offene Fragen zu Scheeßels „bedeutendem Sohn“

Neuer Umgang mit Fehling

Die Grafiken auf den Scheeßeler Rathaus-Fluren bleiben. Seine ausgehängte Kurzbiografie wird aber überarbeitet. Foto: Heyne
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VON ULLA HEYNE

Scheeßel – Das „Fräulein-Wunder“, die Sinalco-Reklamebilder und das Veedol-Mädchen – Reproduktionen des Werbegrafikers Heinz Fehling zieren die Wände des neu gestalteten Scheeßeler Rathauses und den Scheeßeler Hof; der Heimatverein hat sich die Bewahrung des künstlerischen Erbes eines der beiden oft als „bedeutenden Söhne des Beekeortes“ genannten Künstlers auf die Fahnen geschrieben. Indes: Aus der geplanten Doppelausstellung anlässlich seines 110. Geburtstages wird nichts – der Heimatverein hat den Stecker gezogen. Stattdessen gibt es Fragen zu Fehlings Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus.

Die jüngsten vom NDR-Reportageformat „Strg F“ zusammengetragenen Erkenntnisse zur Vergangenheit von „Stern“-Gründer Henri Nannen, die unlängst zur Umbenennung des gleichnamigen Journalistenpreises führten, ziehen auch in Scheeßel ihre Kreise. Vor einigen Wochen war der „Stern“-Ressortleiter Politik Stefan Schmitz im Beekeort zu Besuch. Er wollte im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Vergangenheit um die „Stern“-Gründerjahre nach der alten Seilschaft aus Nannen, Fehling, Hans Weidemann und Paul Schmidt (der sich später Carrell nannte und maßgeblich in der Genossenschaft der Eichenschule mitwirkte) recherchieren. Damals haben Bürgermeisterin Ulrike Jungemann, ihr Vertreter Stefan Behrens mit Birgit Ricke und dem scheidenden Museumsleiter Nils Meyer sowie dem neuen Gemeindearchivar Heinz Promann die Arbeitsgruppe „Fehling-Biografie“ gegründet. Das Ziel: die Bündelung von Wissen und Erkenntnissen, aber auch ein Diskurs darüber, wie mit dem Erbe eines der bekanntesten Scheeßeler, nach dem sogar eine Straße benannt ist, umzugehen ist.

Fest stand für Birgit Ricke und Nils Meyer, die geplante Doppelausstellung abzusagen: Dem aktuell ausstellenden Illustrator Dieter Braun, dessen Grafiken eigentlich zu denen Fehlings in Bezug gesetzt werden sollten, sei im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang eine Nennung in einem Atemzug mit Fehling nicht zuzumuten gewesen, solange dessen Rolle während der Nazizeit nicht geklärt sei, so die Kuratorin.

Schon vorher kein Geheimnis: Fehling gehörte der Propagandaeinheit „Südstern“ an, für die er gegen Kriegsende Werbegrafiken antisemitischen Inhalts zeichnete und die an der italienischen Front abgeworfen wurden. Dessen Leiter war Hans Weidemann von der Waffen-SS. „Alte Kameraden, die sich in der Gründungsphase des ‚Stern‘ gegenseitig Aufträge zuschusterten“, so Archivar Promann. Das Elternhaus von Fehling in Scheeßel habe eine ideale Möglichkeit zu Treffen geboten. Während Fehlings Mitarbeit beim „Südstern“ durch seine Signatur zweifelsfrei nachzuweisen ist und auch nie von ihm geleugnet wurde, legen die Recherchen von „Strg F“ bei Nannen eine aktivere Beteiligung nahe, als er vor einem Entnazifizierungsausschuss zugegeben hatte. Eine Aussage, die seinerzeit zur Einschätzung als Mitläufer und zum Freispruch beigetragen hatte. Grund genug für die Wochenzeitschrift „Stern“, unlängst auf sechs Seiten diesen Teil der Vergangenheit aufzuarbeiten.

Inzwischen hat die Bertelsmann-Stiftung beim Institut für Zivilgeschichte eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, die Licht in diesen Teil der Geschichte und die Verflechtungen von Nannen, Weidemann und Fehling bringen soll (den zu kennen Nannen später sogar abstritt). Die Hoffnung in Scheeßel: Neue Erkenntnisse über Fehling zu gewinnen. „Uns interessiert natürlich, welche Rolle er 1944/1945 beim ,Südstern’ gespielt hat und ob eine SS-Zugehörigkeit vorlag“, so Meyer.

Denn auch im Rathaus und beim Heimatverein sei man an lückenloser Aufklärung interessiert. „Wir haben kein Interesse daran, irgendetwas etwas zu verschleiern, sondern gehen offen mit der Thematik um“, betont Bürgermeisterin Jungemann. Eine Ergänzung der im Rathaus hängenden Kurzbiografie sei bereits in Arbeit. Darüber hinaus will die Gemeinde eine Anfrage beim Bundesarchiv stellen. Die könne ein halbes bis dreiviertel Jahr dauern, so Promann. Die letzte Beschäftigung mit dem Werk Fehlings im Beekeort liegt bereits zehn Jahre zurück, neue Erkenntnisse sind seit dem 100. Geburtstag nicht hinzugekommen.

Verändert hat sich laut Promann allerdings die allgemeine Wahrnehmung und das Wertesystem: „Kulturschaffende sind sensibler geworden, sei es beim Thema Kolonialismus, dem Frauenbild oder der Genderdiskussion“, darüber hinaus sei zwar die Existenz des Propagandamaterials im Archiv der Berliner Staatsbibliothek bekannt gewesen, „nicht aber dessen bildliche Kraft“.

Von der Ausstellung von Fehlings Werken abrücken möchten Gemeinde und Heimatverein keinesfalls, seine Werke bleiben auch in Zukunft hängen. Promann plädiert dafür, ähnlich wie bei Günter Grass oder Walter Jensen große Werke zu würdigen, „allerdings kontextualisiert und mit den entsprechenden Anmerkungen.“ Behrens warnt vor einer vorschnellen Aburteilung des Künstlers: „Wir können nicht jeden, der im Zweiten Weltkrieg war, verurteilen. Vielmehr müssen wir einordnen, welche Positionen und Handlungen damals ausschlaggebend waren.“ Ricke ergänzt: „Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hört nicht auf, sie ist immer wieder Neubewertungen unterworfen.“ Wie nach Abschluss der Recherchen weiter vorzugehen sei, soll zu gegebener Zeit dem Verwaltungsausschuss vorgelegt werden. Klar sei schon jetzt: „Schwarz-weiß-Denken bringt uns in so komplexen Fragen nicht weiter“, mahnt Promann.

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