Wildfang-Trainerin will junge Menschen schützen - VON MICHAEL KRÜGER

Gegen die Radikalisierung

Sozialarbeiterin Katja Giesbers und Wildfangchef Dirk Precht setzen auf das neue "Blickwechsel"-Programm gegen die Radikalisierung junger Menschen. Foto: Krüger
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Bothel – Ist es nur ein dummer Spruch, Unkenntnis von dem, mit dem der junge Mann prahlt? Oder droht da jemand wirklich abzudriften, sich zu radikalisieren, in einer Gruppe Halt zu finden, von der man sich lieber distanzieren sollte? Um junge Menschen vor politischer oder religiöser Radikalisierung zu schützen, ist in fünf niedersächsischen Städten das bundesweit erprobte Präventionsprogramm „Blickwechsel“ angelaufen. Dafür stehen speziell ausgebildete Trainer bereit – neben Hannover, Hildesheim, Wolfsburg, Gifhorn auch in Bothel. Katja Giesbers von der Jugendhilfeeinrichtung Wildfang ist dort eine der „Blickwechsel“-Trainerinnen. „Wer ein niedriges Selbstwertgefühl hat, könnte sich diesen Gruppen anschließen und sucht dort Bestätigung“, sagt die 31-jährige Sozialarbeiterin. „Das wollen wir verhindern.“

Das Programm „Blickwechsel“ wird für alle Extremismusformen angeboten, etwa Rechtsextremismus und Islamismus. Es soll gefährdete Personen zwischen 13 und 25 Jahren in Einzeltrainings vor einem Einstieg in die extremistische Szene bewahren oder sie beim Ausstieg unterstützen. In den 40-stündigen Einzeltrainings stärken den Angaben zufolge pädagogische Fachkräfte die psychosozialen Fähigkeiten der Betroffenen wie Empathie, Frustrationstoleranz, moralisches Urteilen und Affektkontrolle. „Wir brauchen in der Prävention wirksame Instrumente, um junge Menschen vor einem Einstieg in die extremistische Szene zu bewahren oder sie bei einem Ausstieg zu unterstützen“, sagt Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU).

„Wir arbeiten schon immer mit Systemsprengern“, betont Wildfangchef Dirk Precht. Mit dem „Blickwechsel“ starte man einen neuen Versuch, dann einzugreifen, wenn es noch nicht zu spät ist. Nicht erst im Gefängnis oder in anderen Einrichtungen wolle man wirken, sondern davor – wenn die Gefahr besteht, dass die Radikalisierung einsetzt. Hinweise auf die betroffenen Jugendlichen könnten zum Beispiel von Schulen kommen, allerdings auch von Gerichten, die das Training zur Voraussetzung machen, um eine Haft zu vermeiden. Wichtig: Es ist eine freiwillige Angelegenheit. Wer nicht mitmacht, müsse allerdings andererseits gegebenenfalls mit den entsprechenden Konsequenzen leben. Giesbers: „Entweder es passt oder nicht.“

Dass Bothel in der Liste der niedersächsischen „Blickwechsel“-Standorte auftaucht, hat nichts mit einer besonderen Problemlage in der Region zu tun. Vielmehr gibt es nur wenig Einrichtungen, die mit der entsprechende Expertise aufwarten können. Wildwechsel gehört dazu – und wirkt natürlich weit über die Grenzen der Region hinaus. Rund 100 Mitarbeiter gibt es. Klar sei aber auch, sagen Precht und Giesbers: Die ländlicheren Regionen sind vom Problemfeld der Radikalisierung nicht ausgenommen. Brennpunkte gebe es auch hier.

Eine Gefahr für sich und andere, wenn es Probleme gibt, wird es gewalttätig: Mit zwei jungen Männern ist Giesbers aktuell betreut, um deren Abdriften zu verhindern. In einem Fall zeichne sich ein Abbruch des Programms ab, mit dem anderen komme man schrittweise voran. Und das bedeute: Es geht in erster Linie um die innere Freiheit und Flexibilität, das Selbstwertgefühl und die Erkenntnis, wer man ist. Die Art der radikalen oder extremistischen Gruppe, zu der sich der Betroffene hinwende, spiele gar keine große Rolle: „Häufig sieht man ja einen Wechsel von Gruppen: Erst ist der Jugendliche rechtsextrem, dann schließt er sich einer linken Gruppe an und schließlich vielleicht den Fußball-Ultras. Das zeigt, dass die inneren Gründe maßgeblich sind. Wir arbeiten also gezielt und individuell an den psychosozialen Fähigkeiten, die es dem jungen Menschen überhaupt erst ermöglichen, sich innerlich zu distanzieren. Meistens lösen sie sich dann auch im Außen von der Gruppe.“

Das „Blickwechsel“-Programm ist für Wildfangchef Precht nur eine Methode von vielen, um Heranwachsende aufzufangen oder wieder auf die Spur zu bekommen. „Es ist wichtig, viele Methoden in der Wunderkiste zu haben.“ Man wolle die Jugendlichen wieder gruppenfähig machen und dabei nichts unversucht lassen. Jugendhilfeeinrichtungen aller Art stehen dabei aktuell wie viele andere Bereiche der Gesellschaft vor einem großen Fragezeichen, so Precht. Denn: Welche Folgen hat die Pandemie? Lockdowns und Kontaktbeschränkungen hätten viele Programme auf Eis gelegt. Precht: „Jetzt müssen wir es auffangen – aber wir wissen nicht, was passiert ist.“

Info

Nähere Informationen über das Programm geben die Initiatoren beim Verein „Denkzeit-Gesellschaft“ in Berlin unter Telefon 030/68915666, info@denkzeit.com und auf www.denkzeit.info

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