Tagesmütter gründen Regionalgruppe im Landkreis Rotenburg - Von Dennis Bartz

„Gemeinden kochen ihr Süppchen“

Sandra Biendara-Klindworth (links) und Kirsi Lindemann sind die Sprecherinnen der Regionalgruppe der Berufsvereinigung der Kindertagespflegepersonen.
 ©Foto: Dennis Bartz

Landkreis Rotenburg. Geschäftsführerin, Büroleiterin, Kassenprüferin, Einkaufsleiterin, Köchin und Reinigungskraft auf der einen, Animateurin, Erzieherin, Seelsorgerin und Pädagogin auf der anderen Seite. Die Liste der Jobs, die eine Kindertagespflegeperson täglich ausübt, ist lang, eine 50-Stunden-Woche der Normalfall, der Verdienst und die gesellschaftliche Anerkennung dagegen ausbaufähig. Trotzdem gibt es im Landkreis Rotenburg 85 Tagesmütter und einen -vater „Ohne Leidenschaft für die Aufgabe übt niemand diesen Beruf aus“, sagen Kirsi Lindemann aus Sottrum und Sandra Biendara-Klindworth aus Weertzen. Die beiden haben kürzlich mit zehn weiteren Tagesmüttern eine Regionalgruppe der Berufsvereinigung der Kindertagespflegepersonen (BvK) gegründet: „Unser gemeinsames Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen in der Kindertagespflege im Landkreis Rotenburg zu verbessern und das Angebot bekannter zu machen.“

Besonderes der Werbeaspekt sei wichtig, weil viele Eltern noch nicht wüssten, dass es das Angebot gibt und wie sie es nutzen können, erklären Regionalsprecherin Lindemann und ihre Stellvertreterin Biendara-Klindworth im Gespräch mit der Rundschau. Laut SGB VIII (Sozialgesetzbuch) müssen Eltern über alle Betreuungsmöglichkeiten informiert werden. „Wir hören aber immer wieder, dass das nicht der Fall ist“, berichtet Lindemann und gibt als Hauptgrund an, dass verschiedene Stellen zuständig sind. „Die Kindertagespflege wird vom Landkreis geregelt, die Betreuung in Krippen und Kindergärten aber von den Städten und Gemeinden. Da besteht natürlich ein Interessenskonflikt. Die Kommunen wollen zuerst ihre eigenen Plätze belegen. Die Kindertagespflegestellen sind da eher so etwas wie ein Dorn im Auge und werden mitunter als Konkurrenz gesehen. Dabei greifen die Kommunen gerne auf uns zurück, weil wir Plätze bereitstellen, die der Gemeinde zum Teil fehlen.“

Immer wieder passiere es, dass Eltern falsch informiert werden: „Ihnen wird gesagt, dass sie keinen Anspruch auf einen Platz im Kindergarten haben, wenn sie ihr Kind nicht mit spätestens zwei Jahren in die Krippe der Einrichtung geben. Dann ist natürlich die Angst bei den Eltern groß“, so Biendara-Klindworth. Lindemann stellt klar: „Die Aussage ist schlicht falsch, denn es entspricht nicht dem gültigen Gesetz. Es ist ganz klar geregelt, dass Kinder ab einem Jahr einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben. Bis zum Wechsel in den Kindergarten mit drei Jahren können Eltern frei entscheiden, für welche Art der Betreuung sie sich entscheiden. Erst danach hat der Kindergarten Vorrang vor der Kindertagespflege.“ Eltern hätten demnach einen Rechtsanspruch darauf, innerhalb von sechs Monaten einen Kindergartenplatz zu bekommen.

In einigen Kommunen wie beispielsweise Sottrum sei das derzeit kein Problem, weil dort genügend Plätze zur Verfügung stehen. „In anderen Gemeinden lassen die Eltern ihre Kinder aber oft ganz bewusst nur für ein Jahr bei der Tagesmutter. Sie wechseln dann bereits im Alter von zwei in die Krippe, weil die Eltern den Anschluss nicht verpassen wollen“, so Lindemann.

Biendara-Klindworth kritisiert, dass die Gemeinden die Eltern oft zu lange im Ungewissen lassen: „Ich hatte in den vergangenen drei Jahren einige Eltern, die bis zwei Wochen vor dem Kindergartenstart noch keinen Bescheid darüber bekommen hatten, ob sie einen Platz haben. Das ist ein echtes Problem, auch für mich als Tagesmutter. Denn das macht es für alle Beteiligten schwer, zu planen. Ich habe beispielsweise Eltern auf der Warteliste, die ich nicht frühzeitig informieren kann.“

Bereits nach einem Jahr die Kindertagespflege zu verlassen, sei zudem oft nicht sinnvoll für die Entwicklung des Kindes: „Bei Einjährigen kann die Eingewöhnung auch mal länger dauern. Wenn sie dann so richtig angekommen sind und Freundschaften geschlossen haben, müssen wir dann schon wieder mit der Ausgewöhnung beginnen“, erklärt Lindemann.

Werde plötzlich ein Kindergartenplatz frei, so würden sich daraus verschiedene Probleme ergeben: „Einerseits muss beim Wechsel an die Bedürfnisse des Kindes gedacht werden, und anderseits reißt ein freier Platz eine große finanzielle Lücke in unsere Kasse. Ich kann mir den ,Luxus‘ eines freien Platzes für eine Übergangszeit nur deswegen leisten, weil ich einen Mann habe, der selbst einen festen Job hat. Es gibt aber auch Tagesmütter, die alleinerziehend sind. Für die kann das existenziell sein“, warnt Lindemann.

Zwar gebe es derzeit mehr Anfragen als freie Plätze, Planungssicherheit gebe es deshalb aber langfristig nicht. „Wir wissen nicht, was in fünf oder zehn Jahren ist, weil wir gar nicht einschätzen können, wie viele Kinder dann geboren werden. Wir kennen auch die Pläne der Gemeinde nicht. Was ist, wenn es irgendwann ein Überangebot an Krippenplätzen gibt?“, so Lindemann. Unter diesen schwierigen Voraussetzungen sei es beispielsweise fast unmöglich, einen Kredit für einen Hauskauf, Umbauten, eine neues Auto oder andere Anschaffungen zu bekommen.

Lindemann und Biendara-Klindworth hoffen darauf, dass sich immer mehr Tagesmütter und -väter der Regionalgruppe anschließen. „Wir treffen uns viermal im Jahr zum Austausch. Zusätzlich führen wir weiterhin monatlich unseren offenen Stammtisch durch“, lädt Lindemann alle Interessierten ein. Es sei wichtig, sich noch besser zu vernetzen: „Leider gibt der Landkreis uns die Kontaktdaten zu den anderen Tagesmüttern nicht heraus, angeblich aus Datenschutzgründen. Das ist unsinnig, weil alle interessierte Eltern die Informationen erhalten und wir alle obendrein eine Einwilligung unterschrieben haben.“

Dass der Austausch mit anderen Kindertagespflegestellen wichtig ist, habe sich bereits gezeigt: „Wir waren überrascht darüber, dass selbst innerhalb des Landkreises von den Kommunen viele Dinge unterschiedlich gehandhabt werden. Da wünschen wir uns einheitliche und faire Regelungen“, so Lindemann. Der Landkreis habe zwar eine Satzung, „aber jede Kommune kocht so ein wenig ihr eigenes Süppchen“.

In Sottrum sei es beispielsweise so geregelt, dass die Eingewöhnung voll abgerechnet wird, obwohl das Kind zum Start nur stundenweise da ist. Das sei berechtigt, findet Lindemann: „Der Platz ist ja weg und der Mehraufwand unter anderem durch Elterngespräche in dieser Zeit zudem sehr groß.“ In Heeslingen dürfen dagegen nur die Stunden abgerechnet werden, in denen das Kind tatsächlich betreut wird. „Wenn mehrere Kinder neu in die Gruppe kommen, müssen diese nacheinander eingewöhnt werden. So muss ich über mehrere Monate immense finanzielle Einbußen hinnehmen, die ich irgendwie wieder ausgleichen muss. Meine Kosten laufen ja weiter und auch wir müssen wirtschaftlich arbeiten“, betont Biendara-Klindworth.

Beim ersten Regionalgruppen-Treffen habe es einen Aha-Effekt für alle gegeben: „Uns war vorher gar nicht klar, wie groß die Unterschiede tatsächlich sind.“ Dies gelte auch für die bürokratischen Anforderungen. Nicht in allen Teilen des Landkreises müssen demnach detaillierte Stundenzettel geführt werden. „Ich dagegen habe Berge von Zettel in Ordner abgeheftet, ein großer Aufwand“, so Biendara-Klindworth, die seit sieben Jahren Tagesmutter ist.

In dieser Zeit hätten sich die Arbeitsbedingungen durchaus verbessert, erklärt sie. So sei beispielsweise der Stundensatz um immerhin 20 Cent auf 4,10 Euro erhöht worden, „aber die ständig wachsenden Anforderungen machen es für uns trotzdem insgesamt immer schwerer“.

Erst kürzlich hätten alle Tagespflegestellen Post bekommen, berichtet Lindemann: „Die Spielgeräte im Garten müssen künftig ähnliche Kriterien erfüllen wie die Schaukeln und Rutschen, die auf Spielplätze stehen. Ein Kletterturm im Fachhandel kostet aber dann keine 1.000 Euro wie normalen Handel, sondern schnell mal 5.000 Euro und mehr. Dafür muss ich ein Jahr arbeiten und mir bleibt endgültig nichts übrig, um etwas für die Versorgung im Alter zu tun oder Ausfallzeiten abzudecken.“ Die Versorgung mit Tagespflegestellen sei künftig gefährdet, weil für die, die aufhören, zu wenig nachrückten. „Interessierten wird der Start schwer gemacht. Wer im Landkreis Rotenburg wohnt und Tagespflegeperson werden möchte, der muss sich an andere Landkreise wenden, um die Qualifizierung machen zu können. Das Angebot gibt es hier im Moment nämlich nicht, weil das Interesse daran nicht groß genug sein soll. Unserer Meinung nach wird deutlich zu wenig Werbung gemacht. Es gibt nicht einmal Infoveranstaltungen“, ergänzt Biendara-Klindworth.

Interessierte verweise der Landkreis an Verden: „Der Kurs dort kostet auswärtige Teilnehmer etwa 1.000 Euro, und die müssen ausgelegt werden. Nur ein Teil davon wird später erstattet, wenn die Tagespflegepersonen ihre Arbeit hier tatsächlich aufnehmen“, so Lindemann, die mit Biendara-Klindworth einen Blick in die Zukunft wirft: „Langfristig ist es unser Ziel in der Regionalgruppe, dass die Kindertagespflege als Berufsbild voll anerkannt wird. Damit würde der Grundstein für eine angemessene Bezahlung und professionelle Ausbildung gelegt werden.“ Es spreche aber wenig für eine schnelle Lösung: „Unsere Berufsvereinigung fordert die Novellierung des SGB VIII. Tagesmutter Jennifer Hartmann aus Bayern hat eine Petition beim zuständigen Ausschuss eingereicht – allerdings ist das schon ein paar Jahre her ...“

• Weitere Infos bei Kirsi Lindemann, telefonisch unter 04264/399583 und per E-Mail an momos-wiestekids@gmx.de.

Info

Die Berufsvereinigung der Kindertagespflegepersonen (BvK) ist eine unabhängige Organisation von Kindertagespflegepersonen für Kindertagespflegepersonen (KTPP) und wurde 2009 gegründet, um die Interessen der KTPP in der Öffentlichkeit und auf politischer Ebene bundesweit zu vertreten. Die BvK engagiert sich für bessere Arbeitsbedingungen und die Schaffung eines anerkannten Berufsbildes. Sie arbeitet von der Basis aus und ist direkt an die praktische berufliche Arbeit der Kindertagespflegepersonen gekoppelt. Kindertagespflegepersonen sind meist selbstständig tätig, sie werden vom Jugendamt des Landkreises Rotenburg geprüft, vermittelt und ihre Arbeit gefördert. Weitere Infos gibt es unter www.berufsvereinigung.de.

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