Silke Wingen, Vorsitzende des Rotenburger Tierschutzvereins, wehrt sich gegen Anschuldigungen - Von Dennis Bartz

„Haltlose Vorwürfe“

Vorsitzende Silke Wingen und Kater Paul richten den Blick nach vorne.
 ©Foto: Dennis Bartz

Rotenburg. Monatelang hatte Silke Wingen, Vorsitzende des Tierschutzvereins, geschwiegen und sich nicht öffentlich zu den Vorwürfen gegen sie geäußert. Dabei hatte es in ihr gebrodelt, wenn sie in der Tageszeitung und bei Facebook von ehemaligen Vorstandskollegen beschuldigt wurde, das wenige Geld des Vereins mit vollen Händen auszugeben. Sie soll für Unruhe im Verein sorgen und sich persönlich damit bereichern, mit ihrem Mann in die Tierheimwohnung eingezogen zu sein. „Ich wusste, dass die Vorwürfe haltlos sind und hätte mich gerne früher dazu geäußert. Aber ich wollte zunächst den Mitgliedern auf unserer Versammlung Rede und Antwort stehen und dann an die Öffentlichkeit gehen“, so Wingen.

Sie berichtet von guten und konstruktiven Gesprächen. Die wenigen kritischen Fragen einzelner Mitglieder habe sie schnell klären können. „Ich spüre einen großen Rückhalt, genauso der gesamte Vorstand“, so Wingen, die von Ramona Hachtmeister als Stellvertreterin, Kassenwart Martin Patzwald sowie den weiteren Vorstandsmitgliedern Maike Körting und Imke Toll unterstützt wird. „Wir arbeiten sehr eng zusammen und jeder bringt sich voll ein“, lobt Wingen, die damit beschäftigt ist, dem Verein eine neue Struktur zu geben und das verwahrloste Tierheimgelände zu entrümpeln.

Dort herrschten unter der langjährigen Vorsitzenden Regina Buchhop zuletzt schlimme Zustände, berichtet Rastherr Frank Westermann (CDU), der den Tierschutzverein beim Neuaufbau unterstützt. „Was wir hier vorgefunden haben, war menschen- und tierunwürdig. Es geht nicht darum, Frau Buchhop vor das Schienbein zu treten. Sie ist ein unglaublich tierlieber Mensch, aber ihr war die Situation hier offensichtlich über den Kopf gewachsen.“

Zwei Entrümpelungswochenenden, eines im Juni und eines im Oktober, haben inzwischen etwas Licht ins Dickicht gebracht. Container voller Schrott, Altholz und anderweitigem Müll sind gesammelt und abtransportiert worden. Marode Schuppen wurden abgerissen und Bäume, die drohten, den nächsten Sturm nicht zu überstehen, gefällt.

Besonders viel Arbeit machte es, den Futter-Container, der zuvor ein Eldorado für Ratten war, wieder herzurichten. „Irgendwann waren dort so viele Tiere, dass sich die Mitarbeiter gar nicht mehr hineingetraut haben. Sie haben eimerweise Rattengift hineingekippt, um Herr der Situation zu werden“, berichtet Wingen von dem, was ehemalige Mitarbeiter ihr erzählt haben sollen.

Die „schlimmsten Ecken“ hat sie mit Fotos dokumentiert. Darauf zu sehen sind Erdhügel, aus denen spitze Metallgegenstände herausragen („eine große Verletzungsgefahr für die Tiere“), ein Teich voller Unrat und das stark bewachsene Grundstück, das nach den beiden Aufräumaktionen kaum mehr wiederzuerkennen ist.

Besonders hart habe sie der Vorwurf getroffen, dem Verein durch den Einzug in die Wohnung, die sie „das Loch“ nennt, finanziell zu schaden. Die letzten Bewohner dort waren Hunde und Nager. „Das war gar nicht zulässig. Laut Auskunft des Veterinäramts wäre das sogar ein Grund gewesen, das Tierheim zu schließen“, so Wingen.

Fotos, die vor den Renovierungsarbeiten entstanden sind, beweisen, dass die Wohnung in einem unbewohnbaren Zustand war. Die Holzfenster zerfressen, der Putz bröckelte von den Wänden, Löcher in den Decken und Schimmel an vielen Stellen. „Waschbecken und Badewanne waren noch nicht einmal angeschlossen. Die Rohre führten ins Nirgendwo“, berichtet Westermann. Für einen geringen finanziellen Aufwand von 763 Euro für Materialkosten bei 150 kostenlosen Helferstunden sind bislang zumindest ein Teil der Schäden behoben worden. Für die 80 Quadratmeter große Wohnung zahlt das Ehepaar Wingen eine Kaltmiete in Höhe von 350 Euro pro Monat – 4.200 Euro zusätzlich, mit denen der Verein nun fest planen kann. „Bislang hatte der Verein durch Veranstaltungen in den Räumen nur ein paar hundert Euro verdient“, stellt Wingen klar. Es ist Geld, auf das er auch künftig nicht verzichten muss. „Ich stelle dem Verein für Veranstaltungen wie dem Gabentisch der Tiere am 9. Dezember gerne mein Veranstaltungszelt zur Verfügung“, so Westermann.

Weit mehr hat der Verein in die Räumung des Außengeländes investiert. Mehr als 800 unbezahlte Helferstunden stehen dort Gesamtkosten in Höhe von überschaubaren 4.800 Euro gegenüber. Den größten Batzen, knapp 2.500 Euro, kostete die Abfuhr von Altholz, Müll und Schrott in mehreren Containern. Weitere große Posten waren der neue Boden des Futtermittelcontainers (869 Euro), die Kosten für das Beseitigen mehrerer Bäume (1.300 Euro) und kleinere Maurerarbeiten (130 Euro). „Für alles andere hatten wir Sponsoren und Helfer“, bedankt sich Wingen und zählt beispielhaft die Entfernung der Baumstubben, die Verkleidung der Schornsteine sowie das Errichten eines Zauns auf dem vorderen Grundstück auf.

Wingen informierte die Mitglieder auf der Versammlung auch über die prekäre finanzielle Situation des Vereins und legte dabei alle Zahlen auf den Tisch.

Pro Monat kosten allein der Betrieb des Tierheims sowie die Abzahlung eines Darlehens etwa 8.000 bis 9.000 Euro. Auf dem Vereinskonto liegen derzeit 68.600 Euro, abzüglich des noch ausstehenden Darlehens in Höhe von 30.500 Euro bleiben nur noch 38.100 Euro – Geld, das nur noch für wenige Monate reicht. „Wir sind weiterhin dringend auf Sponsoren und Spenden angewiesen“, so Wingen, die den Posten als Vereinsvorsitzende und Tierheimleiterin ehrenamtlich ausübt. Ihr Mann Marco ist als Alleinverdiener der Familie in Vollzeit im Tierheim angestellt – für den Mindestlohn. „Wir müssen uns privat einschränken, anders kann der Tierschutzverein nicht überleben“, stellt Wingen klar.

Immerhin etwas Entlastung bringt der Verkauf der Tieroase in Minstedt, der nun in trockenen Tüchern ist. Wegen eines bestehenden Nießbrauchs fällt der Gewinn aber gering aus: Von dem Verkaufspreis in Höhe von 95.000 Euro bleiben nur 7.100 Euro, die übrige Summe erhält die ehemalige Eigentümerin.

Mit dem Verkauf verliert der Verein aber zusätzlich einen schweren finanziellen Klotz am Bein: Denn die Tieroase, die als Gnadenhof agierte, verschlang Jahr für Jahr viel Geld und ist laut Auskunft von Wingen maßgeblich dafür verantwortlich, dass es dem Verein finanziell so schlecht geht.

Das beweist beispielhaft ein Blick in die Abrechnung der vergangenen Jahre: So standen 2016 Einnahmen in Höhe von 1.483 Euro Ausgaben in Höhe von 72.000 Euro gegenüber – ein Jahresdefizit von mehr als 70.000 Euro. Auch 2017 (minus 49.000 Euro) und bis zum Verkauf 2018 (minus 17.000 Euro) schrieb die Tieroase rote Zahlen. „Da ist es nicht verwunderlich, dass von der Erbschaft über 800.000 Euro nicht mehr viel übrig ist“, so Wingen. Das Geld hätte der Verein für den geplanten Neubau gut gebrauchen können – so aber bleiben die Pläne wohl auf weite Sicht eine Träumerei. Um zusätzliches Geld einzunehmen, soll das Ferienhaus im Eurostrand Fintel, das der Verein geerbt hat, verkauft werden. Große Einnahmen erwartet Wingen aber nicht: „Wir reden da vom Grundstückspreis abzüglich der Abrisskosten.“

Um den Verein zu retten und langfristig auf sichere Füße zu stellen, möchte Wingen schnellstmöglich die Annahme von Fundtieren übernehmen. Diese werden nach dem verhängten Aufnahmestopp von Vorgängerin Regina Buchhop seit Sommer 2017 im Tierheim Arche Noah in Brinkum versorgt. Als Türöffner für die weiteren Kommunen im Landkreis soll die Stadt Rotenburg dienen, bestätigt Wingen: „Wir haben bereits zwei Gespräche mit Bürgermeister Andreas Weber und dem Ordnungsamtsleiter Frank Rütter geführt. Am liebsten würden wir schon zum 1. Januar 2019 starten.“ Der neue Kassenwart Martin Patzwald erarbeitet dafür ein finanzielles Konzept. Wingen hoffnungsvoll: „Herr Weber hat uns seine Unterstützung zugesagt.“ Westermann hält die Pläne für richtig: „Ich gehe davon aus, dass alle Fraktionen im Stadtrat dahinter stehen werden.“

Um den Tieren besser gerecht zu werden, möchte der Tierschutzverein ein Pflegestellennetz aufbauen. Die Tiere sollen bei Privatleuten unterkommen, der Verein übernimmt die Tierarztkosten. „Damit wollen wir ermöglichen, dass Katzen oder Hunde nicht bis zu ihrem Lebensende im Tierheim bleiben müssen. Wir suchen Menschen, die sie lieb haben und kuscheln.“

• Weitere Infos über den Verein erhalten Interessierte auf der Internetseite www.tierschutzvereinrotenburg.de.

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