Silke Wingen kämpft um Fundtierverträge mit Kommunen - Von Dennis Bartz

„Erhalten wütende Anrufe“

Silke Wingen sucht das Gespräch mit den Gemeinden.
 ©Foto: Dennis Bartz

Rotenburg. Wie geht es weiter mit dem Tierschutzverein für den Landkreis Rotenburg? Diese Frage beschäftigen Vorsitzende Silke Wingen und ihr Vorstandsteam. Zumindest für das laufende Jahr sei die Finanzierung gesichert, seit die Stadt Rotenburg die Fundtiere mit dem Jahreswechsel wieder im Tierheim in Mulmshorn unterbringt. Und danach? „Wir brauchen die übrigen Gemeinden, um zu überleben“, stellt Wingen klar. Doch dort zeigen sich die Verantwortlichen auf Nachfrage der Rundschau wenig wechselwillig.

4.500 Euro zahlt die Stadt Rotenburg als Vorauszahlung quartalsweise an den Tierschutzverein – unabhängig davon, wie viele Fundtiere tatsächlich abgegeben werden. Denselben Betrag hatte die Stadt zuvor an den Verein Bund gegen Missbrauch der Tiere (BMT) bezahlt, der unter anderem das Tierheim Arche Noah in Brinkum betreibt.

Dort wurden die Rotenburger Fundtiere seit Sommer 2017 betreut. Der BMT war damals kurzfristig eingesprungen, nachdem die ehemalige Vorsitzende Regina Buchhop einen Aufnahmestopp für Fundtiere verhängt hatte.

Der Neustart ist geglückt, berichtet Wingen: „Wir haben fünf Tiere aus dem Tierheim Arche Noah abgeholt.“ Bislang sei die Anzahl an neuen Fundtieren überschaubar, mehr Arbeit machten dagegen Katzen, die aufgenommen werden müssen, weil die Besitzer ins Altenheim kommen oder versterben. „Wir finden dann einen Hof oder eine Wohnung voller Tiere vor, die wir bei uns aufnehmen“, so Wingen. Wer für die Kosten aufkommt, sei zu diesem Zeitpunkt oft unklar. „Es gibt beispielsweise nicht immer einen Erben, der für die Aufnahme aufkommen will oder kann“, so Wingen.

Dasselbe gelte für die Kosten für die Unterbringung und die Behandlung der drei Pitbulls, die der Tierschutzverein kürzlich aus Zwingern in Rotenburg befreit, beziehungsweise in einem Fall in unmittelbarer Nähe eingefangen hat: „Der Besitzer hatte sie dort einfach zurückgelassen. Hätten wir später den Hinweis bekommen, wären die Drei wohl verhungert und verdurstet.“

Mit den zwei Hündinnen und einem Rüden soll intensiv gezüchtet worden sein. „Darauf deuten die hängenden Gesäuge hin“, so Wingen, die möglichst bald einen Platz für die Tiere finden möchte. „Sie sind sehr lieb, aber nicht stubenrein und lernen bei uns gerade erst die Grundkommandos. Erfahrungsgemäß ist es schwer, diese zu vermitteln oder eine geeignete Pflegestelle zu finden.“

Wenn im Tierheim das Telefon klingelt, nehmen die Mitarbeiter das Gespräch inzwischen mit einem mulmigen Gefühl an: „Wir bekommen vermehrt wütende Anrufe von Bürgern aus den übrigen Gemeinden des Landkreises. Sie melden uns Fundtiere und haben kein Verständnis dafür, dass wir diese nicht aufnehmen dürfen. Sie werden dann oft ausfallend oder setzen uns die Pistole auf die Brust und sagen: ,Entweder holen Sie das Tier jetzt ab oder ich setze es wieder aus.‘ Diese Aussagen hören wir leider sehr oft.“

Doch Wingen glaubt nicht daran, dass das Tierheim in Mulmshorn bald Fundtiere aus den Kommunen außerhalb der Stadt Rotenburg aufnehmen darf. Bislang habe sich keine Gemeindevertreter bei ihr gemeldet und niemand das Tierheim nach dem Vorstandswechsel besucht. Wingen geht deshalb selbst in die Offensive und hatte für diese Woche einen Termin mit der Gemeinde Scheeßel vereinbart. Wingen: „Es gab kein definitives Nein, aber zeitnah wird da ganz sicher nichts passieren. Scheeßel will erst dann wechseln, wenn es andere Gemeinden auch tun.“

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Das bestätigt die Rundschau-Anfrage bei den Gemeinden. Der Tenor klingt überall ähnlich, getreu dem Motto: Warum etwas ändern, was gut läuft? „Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem Tierheim in Bremen-Brinkum gibt es nur positive Erfahrungen. Aus diesem Grunde gibt es derzeit auch keine Überlegungen, die Fundtiere wieder in Rotenburg aufnehmen zu lassen“, teilt Matthias Röhrs von der Samtgemeinde Sottrum mit. „Die Fundtierunterbringung funktioniert hervorragend“, betont Bothels Samtgemeindebürgermeister Dirk Eberle.

Auch Mathias Haase von der Stadt Visselhövede sieht keinen Handlungsbedarf: „Die Tiere sind im Tierheim Arche Noah sehr gut untergebracht und werden ordentlich versorgt.“ Und Tobias Krüger, Fintels Samtgemeindebürgermeister, rechnet vor: „Der tatsächliche Fahrtweg von der Samtgemeinde Fintel zum Tierheim in Mulmshorn ist auch nur etwa zehn Minuten kürzer als der Weg in die Tierklinik Posthausen, wo aktuell die tiermedizinische Versorgung der Fundtiere stattfindet.“

Die zusätzlichen Einnahmen in Höhe von 18.000 Euro pro Jahr durch die Stadt Rotenburg spülen zwar dringend benötigtes Geld in die knappen Kassen des Tierschutzvereins, der sich hauptsächlich durch Spenden finanziert. Die Existenz des Tierheims sei damit aber nicht gesichert, macht Wingen deutlich: „Um langfristig zu überleben, brauchen wir noch zwei bis drei weitere Gemeinden – am liebsten hätte ich alle, und das spätestens zum 1. Januar 2020.“

• Weitere Informationen über die Arbeit des Tierschutzvereins erhalten Interessierte im Internet unter www.tierschutzvereinrotenburg.de sowie telefonisch unter 04268/94343 und 0176/46021624 (Notfallhandy).

Kommentar von Dennis Bartz

Im Vertrauen

Die Stadt Rotenburg ist vorgeprescht und hat die Fundtierbetreuung zum 1. Januar wieder an den Tierschutzverein in Rotenburg übertragen – ohne Absprache mit den anderen Kommunen im Landkreis, die von dem Alleingang überrascht waren, wie Dirk Eberle, Samtgemeindebürgermeister in Bothel, moniert. Das ist nachvollziehbar.

Die Stadt schenkt dem neuen Vorstand um Silke Wingen aber das Vertrauen und gibt ihm die finanzielle Unterstützung, die der Verein dringend braucht, um nun den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Im Mulmshorner Tierheim hat sich in den vergangenen Monaten vieles getan: Davon haben sich Rotenburgs Bürgermeister Andreas Weber (SPD) und Ordnungsamtsleiter Frank Rutter genauso überzeugt wie Kreisveterinär Dr. Joachim Wiedner, der das Tierheim geprüft und danach ohne Auflagen die Betriebserlaubnis erteilt hat.

Er hat damit grünes Licht (auch) für die Aufnahme von Fundtieren gegeben – und diesem Signal sollten die Vertreter aus Sottrum, Fintel, Scheeßel, Visselhövede und Bothel bald folgen.

Dass sie sich davor sträuben und auf Nachfrage der Rundschau unisono auf die gute Zusammenarbeit mit dem Bund gegen Missbrauch der Tiere (BMT) und den bestehenden Fundtiervertrag verweisen, ist ebenfalls verständlich – schließlich war das Tierheim noch vor eineinhalb Jahren in einem miserablen Zustand. Dass nach Angaben Wingens aber bisher kein Vertreter der Gemeinden nach dem Vorstandswechsel und den umfangreichen Renovierungs- und Entrümpelungsarbeiten das Tierheim in Mulmshorn besucht hat, ist ein Schlag ins Gesicht der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter und Helfer, die dort viele Stunden ihrer Freizeit opfern, um das Tierheim Stück für Stück auf Vordermann zu bringen.

Dass der BMT gute Arbeit leistet, steht dabei außer Frage. Dass die Fundtierbetreuung bei gleichen Kosten und weniger Aufwand für die Kommunen, zum Beispiel durch den Wegfall des Bereitschaftsdienstes und der Fahrten in die Tierklinik nach Posthausen, unbedingt in den Landkreis gehört, wenn dort ein gutes Angebot vorhanden ist, sollte selbstverständlich sein.

Die Kommunen vergessen bei aller verständlicher Vorsicht offenbar, dass sie auch ohne bestehenden Fundtiervertrag von der Arbeit des Tierschutzvereins profitieren. Die Mitarbeiter bekämpfen landkreisweit Tierquälerei und sind rund um die Uhr erreichbar, wenn ein verletztes Tier gesichtet wird sowie beraten kostenlos Tierhalter.

Der BMT hatte sich bereiterklärt, die Verträge unbürokratisch aufzulösen – und hat im Fall der Stadt Rotenburg bereits Wort gehalten. Mittelfristig sollten auch die übrigen Kommunen den Schritt prüfen und für den Anfang zumindest einmal im Tierheim vorbeischauen – zum Beispiel zu den Öffnungszeiten montags, mittwochs, donnerstags, freitags und samstag zwischen 15 und 17 Uhr. 

Leserbrief von Werner Fredebohm aus Rotenburg

Standort des Tierschutzvereins sichern 

Der Alleingang der Stadt Rotenburg zur Fundtierbetreuung wieder in Rotenburg mag den anderen Verwaltungseinheiten im Südkreis aufstoßen, ich finde die Entscheidung der Stadt lobenswert, total richtig und unbürokratisch. Diesem Vorgehen sollten die übrigen Gemeinden im Südkreis beispielhaft sein. 

Bei Hilfen jeglicher Art wenden sich die Verantwortlichen der übrigen Gemeinden auch nicht an die Behörden der Nachbarlandkreise, sondern sind froh, wenn ihnen in der Kreisstadt durch Fachbehörden oder dem Landkreis (Veterinäramt) geholfen wird. 

Das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb des Landkreises Rotenburg ist ein wichtiger Faktor seit der Kreisreform und sollte auch gerade beim Tierschutz beachtet werden. Im Notfall  wird immer zuerst der örtliche Tierschutzverein bei Tierquälerei, bei Verletzungen, bei Beratungen und so weiter aufgesucht. Aber anstatt den Wunsch und der Bitte des Tierschutzvereins nachzukommen, auch wieder Fundtiere aus dem ganzen Südkreis aufzunehmen, überschreitet man lieber weiter die Kreisgrenzen und wird Grenzgänger.

Was müssen jetzt die Tiere erdulden, bevor sie in Brinkum landen? Zuerst auf den Bauhof, dann nach Posthausen und dann nach Brinkum. Warum so umständlich, wenn es auch einfacher geht? 

Der neue Vorstand hat sich um alles sehr bemüht und jetzt soll das Ganze umsonst gewesen sein? Freie Kapazitäten werden hier in Rotenburg nicht genutzt, das ist ein Unding!

Im Übrigen kann ich den Bürgern der weiteren Verwaltungseinrichtungen nur raten, rufen Sie bei Ihrer Gemeinde wegen der Unterbringung von Fundtieren an und bringen Sie dort Ihren Unmut zum Ausdruck. Sie sollen Ihnen erklären, warum Sie Ihre Tiere nicht in Rotenburg unterbringen können.

Im empfinde es als Trauerspiel, dass bislang kein Politiker und Verwaltungsverantwortlicher der übrigen Gemeinden sich im Rotenburger Tierheim umgesehen und Kontaktgespräche geführt hat. Wenn das Tierheim vor eineinhalb Jahren nicht den besten Zustand gezeigt hatte, so möchte ich dennoch die Arbeit von Regina Buchhop insbesondere bei der Tierpflege loben. Sie ist jedem Anruf gerecht geworden und hat viel Arbeit im Außenbereich geleistet. Ich habe es in einigen Fällen selbst erlebt. 

Ich bewundere den Mut von Silke Wingen, trotz der schlechten finanziellen Lage Verantwortung für den Tierschutzverein zu übernehmen und bitte die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung aller Südkreisgemeinden, schnell umzudenken. Rechtlich gibt es bekanntlich keine Schwierigkeiten.

Leserbriefe stellen keine redaktionellen Meinungsäußerungen dar. Sie geben die persönlichen Ansichten ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen.

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