Rotenburger Diakonie will Verbrechen der NS-Zeit im Gedächtnis halten - VON ANDREAS SCHULTZ

Ein Preis mit dunkler Geschichte

Lars Wißmann (l.), Sabine Ulrich und Matthias Richter wollen die Erinnerung an Rotenburger Geschichte lebendig halten u2013 und zwar an die Verbrechen in der Diakonie während der Zeit des Nationalsozialismus.
 ©Schultz

Rotenburg – Die Nationalsozialistische Gewaltherrschaft hat auch in Rotenburg ihre Spuren hinterlassen. Damalige Akteure der Diakonie wie Dr. Walter Mecke und Pastor Johann Buhrfeind regten in jüngster Vergangenheit zu Diskussionen über Straßennamen an. Nicht zuletzt, weil die Rotenburger Werke, das Diakonissen-Mutterhaus und das Diakonieklinikum ihre Vergangenheit aufarbeiten. Nun treibt die Geschichtsarbeit zwei weitere Blüten: Einerseits machen die drei Einrichtungen die Dauerausstellung „Rotenburger Diakonie im Nationalsozialismus“ für die Öffentlichkeit zugänglich, andererseits vergeben sie nun alle zwei Jahre den „Rotenburger Preis für Erinnerung und Zukunft“, der mit 10 000 Euro dotiert ist.

Wer wollte, konnte sich die Schau bereits seit einiger Zeit anschauen. Etwa seit Beginn der Pandemie hängen die großen Tafeln im Flur des Buhrfeindhauses an der Elise-Averdieck-Straße. Corona machte bislang der öffentlichen Vorstellung einen Strich durch die Rechnung, erklärt Mutterhaus-Vorstand Matthias Richter. Jetzt können Mutterhaus, Diakonieklinikum und Werke zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn mit der ersten Verleihung des Erinnerungspreises soll die Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Die Tafeln greifen das auf, was Uwe Kaminsky in seiner Studie erarbeitet hat. Bis zur Veröffentlichung 2016 setzte sich der Historiker ein Jahr lang in Vollzeit damit auseinander, welche Rolle Diakonissen-Mutterhaus, Rotenburger Anstalten und die jeweiligen Vorsteher 1905 bis 1955 gespielt haben. So geht es unter anderem um die 162 Sterilisationen, die es seit 1934 in Rotenburg gegeben hat, um medizinisches Personal wie SA-Sturmbann-Arzt Dr. Walter Mecke, um Rotenburger Opfer der sogenannten Euthanasie. Auch Buhrfeind, der die drei Einrichtungen bis 1942 unter einem Dach geleitet hat, und seine ambivalenten Aussagen über sein Mitwissen zu den Verbrechen finden Erwähnung. „Er war kein Anhänger der Nationalsozialisten, aber heute würde man sich wünschen, er wäre widerständiger gewesen“, fasst Richter zusammen. „Er war passiv“, fügt Lars Wißmann, Theologischer Direktor des Diakonieklinikums hinzu. Wissen wie dieses soll nicht wieder in Vergessenheit geraten. Regelmäßig erinnern soll der frisch ins Leben gerufene Preis. In der Jury sitzt neben Richter und Wißmann Sabine Ulrich, Geschäftsführerin der Rotenburger Werke qua Amt. Die beiden Gastplätze besetzen in diesem Jahr Bürgermeister Torsten Oestmann und Dr. Michael Schulte. Nicht nur um die Vergangenheit soll sich der Preis drehen – „auch wie sich Zukunft gestalten lässt“, macht Ulrich deutlich. Demnach gelten etwa auch Engagement für Demokratie und Antifaschismus als preiswürdig. Inge Hansen-Schaberg und Beate Geike stellen als erste Preisträgerinnen noch die Ausnahme dar, beide haben sich in der Erinnerungskultur engagiert, sind vorgeschlagen und daraufhin von der Jury zu Siegerinnen gekürt worden. Bei der großen Preisverleihung werden sie eine 15-Zentimeter-Version des Mahnmals vor dem Rotenburger Rathaus erhalten. Die Bronze von Matthias Bantz erinnert an die Opfer der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die Gäste der Preisverleihung am 25. April werden passend zum Thema die Autorin und Journalistin Katharina Nocun hören. Der Titel ihres Vortrags: „Wehrhafte Demokratie und Menschenrechte – Was es heute braucht“. Sie beschäftige sich mit gefährlichen Tendenzen dieser Zeit, erklärt Ulrich, etwa Rechtsruck, „Fake News“, antisemitische Verschwörungsmythen, aber auch Hetze gegen Minderheiten. Alles schon einmal da gewesen – und so haben die Organisatoren ihr Ziel erreicht: Die Begleiterscheinungen des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte bleiben im Gespräch. Die Preisverleihung Die Festveranstaltung zur erstmaligen Verleihung des „Rotenburger Preises für Erinnerung und Zukunft“ startet am Dienstag, 25. April, um 19 Uhr im Buhrfeindsaal an der Elise-Averdieck-Straße 17 in Rotenburg. Der Eintritt ist frei. Zeitgleich soll die Ausstellung im Buhrfeindhaus der Öffentlichkeit übergeben werden. Die ersten Preisträgerinnen Der Rotenburger Preis für Erinnerung und Zukunft geht in seiner Erstauflage an die Rotenburgerin Dr. Inge Hansen-Schaberg und die aus Thalau an der Rhön stammende Beate Geike. Der Preis ist mit insgesamt 10 000 Euro dotiert.  Das Preisgeld von der 69-jährigen Hansen-Schaberg, die stellvertretend für den Förderverein Cohn-Scheune ausgezeichnet wird, beträgt 6 000 Euro. „Ihr sind zahlreiche Impulse, Veröffentlichungen und insbesondere Veranstaltungen zu danken, die auf höchstem Niveau anschaulich, bewegend und facettenreich Anknüpfungspunkte an die Geschichte bieten“, heißt es aus der Jury. Beate Geicke hat sich mehr als 20 Jahre und gegen großen Widerstände in ihrem Heimatort Thalau für ein öffentliches Gedenken an Wilm Hosenfeld eingesetzt – vor dessen Bekanntwerden durch den Film „Der Pianist“. Hosenfeld, der zwischenzeitlich in Thalau gelebt hatte, rettete als Wehrmachtsoffizier neben anderen auch dem jüdischen Pianisten Wladyslaw Szpilman in den letzten Tagen des Warschauer Aufstandes im Jahr 1944 das Leben. Das Preisgeld der 60-jährigen Geike beträgt 4 000 Euro.  as/epd

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