Rotenburger Ärzte kritisieren Termin- und Versorgegesetz - Von Sünje Loës

„Für das Patientenwohl“

Das neue Gesetz bereitet den Rotenburger Ärzten Sorgen.
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Rotenburg. Das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn initiierte Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) stößt bei der Ärtzeschaft auf Widerstand. Für Mittwoch hatte ein Bündnis verschiedener Ärzteverbände zu bundesweitem Protest aufgerufen – auch in Rotenburg beteiligten sich viele niedergelassene Ärzte und demonstrierten in der Innenstadt. Dabei standen sie Interessierten auch für einen Dialog zur Verfügung.

Die Reformen sollen, so der Gesundheitsminister, die Wartezeit der Patienten auf Termine bei Ärzten, speziell bei Fachärzten, verkürzen. Zudem soll sich die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum spürbar verbessern. Allein im Landkreis Rotenburg gibt es zur Zeit 7,5 unbesetzte Hausarztsitze, die Wartezeiten für Patienten sind oft enorm lang. Schaut man auf die Versorgung mit Fachärzten, sieht die Lage nicht besser aus. Betroffene müssen lange Wartezeiten und Anfahrtswege in Kauf nehmen. Diesem Missstand will Spahn mit einer Ausweitung der Pflicht zu offenen Sprechstunden entgegentreten, 25 Stunden sollen Ärzte pro Woche anbieten statt wie bisher 20. Diese zusätzliche Arbeitszeit soll extra vergütet werden.

Die Ärzte zeigen sich wenig begeistert von dem Vorstoß der Politik. Sie weisen darauf hin, dass sie auch heute bereits mehr als 25 Stunden arbeiten, im Schnitt 54 Stunden pro Woche. Neben in der Regel mehr als 25 Stunden Sprechzeit fallen darunter eben auch Hausbesuche, Terminbehandlungen und Verwaltungsarbeiten. „Wir haben ein Nachwuchsproblem, kein Problem mit Faulheit“, sagt Alexander Kirchhoff, Vorsitzender der Ärztevereinigung Kreis Rotenburg. „Wir brauchen nicht mehr Geld, wir brauchen mehr Kollegen.“ Damit sich die jungen Nachwuchsärzte dann auch auf dem Land niederlassen brauche es keine finanziellen Anreize, so Clemens Herkert, Augenarzt in Oyten, sondern einfach genug Ärzte und ein positives Bild vom Beruf sowie ein passendes Umfeld auf dem Land. Denn auch das Thema der Work-Life-Balance ist wichtiger als zuvor.

Das gerade Letzteres auch als Landarzt möglich ist, trotz anders lautender Gerüchte, betont Kirchhoff ausdrücklich. „Dafür wurde durch die Abschaffung der Präsenzpflicht und auch mit der Zusammenlegung der Notdienstkreise in den jüngsten Jahren bereits eine Menge getan“, betont der Mediziner. Das nun auch noch weiter in die Strukturierung des Arbeitsalltages eingegriffen werden soll, ist nur der letzte Tropfen, der das Fass für viele Ärzte zum Überlaufen bringt.

Eingreifen in das Praxisgeschehen wird sicherlich auch die Einführung der digitalen Patientenakte, die ebenfalls im Rahmen des TSVG vorangetrieben werden soll. Dazu äußern die Ärzte klare Bedenken, was die Sicherheit der Daten angeht. Denn bei einer Übermittlung über das Internet ist nicht klar wie die Sicherheit gewährleistet werden kann, so die Befürchtung. Die Ärzte weisen zudem darauf hin, dass auch die Krankenkassen keinerlei Verpflichtungen eingehen wollten, die Daten ihrer Versicherten nicht zu verkaufen. An dieser Stelle fordern sie klare Regeln.

Sorgen bereiten den Teilnehmern des Protests auch die weiteren Inhalte des Gesetzes, das dank zahlreicher weiterer Änderungsanträgen längst über die reine Terminvergabe hinausgeht. Demnach will Gesundheitsminister Spahn beispielsweise die Möglichkeit schaffen, am Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vorbei, Medikamente oder medizinische Eingriffe in den Kanon der Kassenleistungen aufnehmen zu lassen. Dort sehen die Ärzte das paritätische Prinzip bedroht, welches bisher sicherte, dass die Entscheidung welche Therapie von der Allgemeinheit bezahlt wird, auf Grundlage medizinischer Forschung und Kompromisse zwischen Ländern, Ärzten, Krankenkassen und Patientenvertretern traf. Ein System mit Vorbildcharakter, wie Kirchhoff hervorhebt, das man seiner Meinung nach keinesfalls gefährden darf.

Weitere Kritikpunkte an dem Gesetzesentwurf betreffen die Regelungen zum Zugang zu Psychotherapien. Dort sollen Gutachter dem Besuch beim Therapeuten vorgeschaltet werden, die entscheiden, ob man tatsächlich einer psychotherapeutischen Behandlung bedarf. Eine Regelung, die bei Betroffenenverbänden und Therapeuten gleichermaßen zu heftigem Protest geführt hat, unterstellt er doch einerseits, dass die Psychotherapeuten Menschen behandeln die ihrer Hilfe gar nicht bedürfen, Spahn unterstrich diesen Aspekt in dem er darauf verwiese, dass dort, wo viele Therapeuten ansässig seien, auch mehr psychische Erkrankungen vorkämen. Auf der anderen Seite erhöht er aus Sicht der Betroffenen die Hürden auf dem Weg, sich Hilfe zu suchen.

Wichtige, langfristige Investitionen würden nicht getätigt, dafür aber Geld und Zeit an Stellen gebunden, die keinerlei Besserung der Situation versprechen und um Grunde nur gut klängen, kritisieren die Rotenburger Ärzte. „Wir stehen hier heute für das Wohl der Patienten, nicht für uns“ betont Kirchhoff. „Es geht darum, dass Patienten auch in Zukunft von Ärzten in ihrer Nähe gut versorgt werden können.“

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