Junge mit Glasknochenkrankheit übt mit taubem Hund - VON ULLA HEYNE

Kommando: Nicht stolpern

Auch beim Hütchenslalom lässt der Cattle Dog Anton nicht aus den Augen.
 ©Heyne

Fintel – Samstagmorgen, in der Hundeschule „Sitz Platz Fuß“ von Susanne Pauly in Fintel: Unter den gestandenen Herrchen und Frauchen, die mit ihren vierbeinigen Zöglingen in einer Reihe stehen, fällt der zarte Junge in der Daunenjacke auf. Gerade mal zwölf Jahre ist Anton alt, und mit zwei erwachsenen Mitstreiterinnen für die nächste Begleithundeprüfung angemeldet.

Doch nicht nur wegen des jungen Alters ist das Duo aus Schüler und „Leih-Hund“ Candice noch ungewöhnlicher, als es auf den ersten Blick scheinen mag – so speziell, dass sogar die erfahrene Hundetrainerin Pauly mit einem Hauch Respekt in der Stimme konstatiert: „So ein Gespann ist mir in meinen 30 Jahren noch nicht untergekommen.“ Der Siebtklässler hat die Glasknochenkrankheit und seine vierbeinige Partnerin, die achtjährige Cattle-Dog-Dame, ist taub.

Zusammengebracht wurden die beiden von Pauly selbst. Ihr war das Faible des Jungen mit den wachen, intelligenten Augen für ihre „taube Nuss“, wie sie die achtjährige Hündin liebevoll nennt, aufgefallen – immer samstags, wenn er seine Mutter Svenja und Familienneuzugang Wilson, einen Welsh Terrier, zur Welpengruppe begleitete. Schon der Kauf des Hundes – sehnlichst erträumt von Anton, seit er im Alter von etwa drei Jahren dem Hund der Oma erste Tricks beibrachte. „Das war damals mein Beschützer“, erzählt der Zwölfjährige.

Die lang erkämpfte Entscheidung löste im Umfeld der Familie Skepsis aus – ein Sturz des Jungen führt nicht zwangsläufig zu einem Knochenbruch, „aber er kann“, meint Mutter Svenja pragmatisch. Eine Handvoll Knochenbrüche hat Anton in seinem jungen Leben schon erlitten; dazu kommen die regelmäßigen Operationen, wenn die Schrauben, die seine Beine stabilisieren, ausgetauscht werden müssen.

Anton also mit einem ungestümen Welpen zu sehen, und dann auch noch auf dem Hundeplatz mit vielen anderen quirligen Fellknäueln – das war zunächst auch seiner Physiotherapeutin, selbst Besucherin der Hundeschule, suspekt. Doch Mr. Wilson, wie der inzwischen einjährige Rüde in der Familie genannt wird, „scheint zu spüren, wann es genug ist“, meint Mutter Svenja. Und in der Hundeschule? Dort machen Anton und Candice eine Pause, wenn es ans Toben geht. Sogar gern, weil der Vierbeiner nicht gern mit anderen Hunden spielt, erklärt Paulys Tochter Melanie.

Als Pauly das Faible des Jungen für den tauben Cattle Dog bemerkte, gab sie ihm Leine und Verantwortung – und als sie merkte, wie schnell der aufgeweckte Siebtklässler die Handzeichen lernte, die ein wenig mit der menschlichen Gebärdensprache vergleichbar sind, schlug sie die Begleithundeprüfung vor. Seitdem übt das Gespann: Samstags in der Hundegruppe, danach in Rotenburg, sonntags manchmal in Tiste, wo die Prüfung im Dezember abgehalten wird.

Die eigentliche Herausforderung bestehe darin, dass die Hündin, die im ständigen Blickkontakt die Kommandos abruft, Antons Signale richtig deutet. Einmal die Brille zurechtrücken oder sich am Kopf kratzen – das verwirrt den Cattle Dog, der versucht, das vermeintliche Signal zu deuten. „Eigentlich läuft es aber schon ganz gut“, ist der Schüler zuversichtlich.

So knapp der Termin im Dezember bemessen ist: Für Anton ist es die einzige und letzte Chance, die Prüfung vor der nächsten großen Operation im März zu absolvieren, bevor er für zwei bis drei Monate nach dem Austausch der mitwachsenden Schrauben außer Gefecht sein wird. Dass er es im Leben nicht immer einfach hat, kann man nur ahnen; mit seiner Krankheit geht der Schneverdinger sehr selbstverständlich und offen um. In der Schule gäbe es kaum Probleme – die Mitschüler nehmen Rücksicht, der beste Freund schon aus Kindergartentagen hilft, etwa bei schweren Türen oder beim Heben des schweren Ranzens.

In seiner Freizeit spielt Anton Tischtennis im Verein. Und er muss üben: Bis Dezember gilt es, sich die genauen Abläufe für die Prüfung mit Sitzübungen, Ableinen, Ablegen und Drehungen – alles ohne Leckerli – einzuprägen. Die 140 Fragen für den Theorieteil hat der wissbegierige junge Hundeliebhaber, der auch Fachbücher liest, an einem Wochenende verinnerlicht; beim Praxisteil wird er den Laufschritt durch schnelles Gehen ersetzen und statt abrupter Kehrtwendungen werden Seitenwendungen ausgeführt – auch auf dem Prüfungsplatz in Tiste ist „nicht stolpern“ oberstes Gebot.

Und was kommt danach? Pauly hat noch einige mögliche Prüfungen in petto; und auch die Begleithundeprüfung mit dem eigenen Vierbeiner steht an, wenn der das Mindestalter von 15 Monaten erreicht hat.

Das Buch seiner Mentorin hat Anton bereits mehrfach gelesen. Wenn er in der neunten Klasse ist, will er bei der Fintelerin ein Betriebspraktikum absolvieren. Sein Berufswunsch? Logo: Hundetrainer.

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