Im Interview: Eberhard Thamm über die Entwicklung der Lindenschule - Von Sünje Loës

Kontinuität im Wandel

Eberhard Thamm blickt auf drei Jahrzehnte des Wirkens an der Lindenschule zurück. Foto: Sünje Lou00ebs
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Rotenburg. Seit 34 Jahren leitet Eberhard Thamm die Lindenschule auf dem Gelände der Diakonie in Rotenburg. Mehr als drei Jahrzehnte Kontinuität an der Spitze einer Schule – das schafft kaum weder eine Einrichtung noch eine Leitung. Thamm hat es nicht nur geschafft, er hat all den Jahren an der Lindenschule auch einen grundsätzlichen Wandel in der Förderschullandschaft mit erlebt und mitgestaltet. Mit der Rundschau sprach er anlässlich seiner Pensionierung über die Entwicklung der Schule.

Herr Thamm, mit der Lindenschule sind Sie seit mehr als 30 Jahren mitten im Thema: Wie weit ist die Inklusion in unserer Gesellschaft entwickelt?

Eberhard Thamm: Schule ist ja nur ein ganz kleiner Teil der Inklusion, nur der erste Schritt. Da braucht es ja dann noch ganz viel, im Bereich der Ausbildungen und auf dem Arbeitsmarkt. Da geht es nicht nur darum die Förderschulen abzuschaffen und gut, da braucht es das Gesamtpaket für Inklusion. Ich finde ja schon das Wort Inklusion an sich problematisch, weil es irgendwie doch wieder einzelne Gruppen schafft, die inkludiert werden müssen, wofür man sie aber vorher in Schubladen stecken muss. Überhaupt fußt das ganze System an Jugendhilfe, Krankenkassen und so weiter sehr auf Schubladen, in die Kinder einsortiert werden. Diese Schubladen sind genau das Gegenteil von Inklusion.

Aber es hat sich doch schon eine Menge geändert seit ihren Anfängen hier, oder?

Thamm: Oh ja, ganz sicher. Das System hat sich deutlich weiter entwickelt, und wenn man das heute Erreichte mit den Widerständen vom Anfang vergleicht, wurde schon viel geschafft. Früher lag der Fokus stark darauf, was die Schüler können müssen, und es ging darum, zu versuchen, den Schülern das irgendwie beizubringen. Heute liegt der Fokus sehr viel stärker auf den Kompetenzen und Fähigkeiten, die der einzelne Schüler schon mitbringt, und wie man das weiter entwickeln kann. Da steht er heute viel mehr im Mittelpunkt.

Der Einzelne ist heute also wichtiger für die Arbeit?

Thamm: Deutlich. Wir sind da weg von einem „du sollst“, hin zu einem „Was möchtest du und wie können wir dich unterstützten?“ Das Formulieren und Erarbeiten gemeinsamer Ziele macht heute einen großen Teil unserer Arbeit aus. Da geht es um Teilhabe.

Was musste sich ändern, um diesen geänderten Ansätzen gerecht zu werden?

Thamm: Wir bieten hier heute praxisorientierten Unterricht an, und da gibt es eine große Bandbreite. Nicht nur im Angebot, gerade auch bei den Schülern und ihren Möglichkeiten. Wir haben hier Schüler mit mehrfacher Schwerbehinderung und solche, die weitestgehend selbstständig den Alltag meistern und nur punktuelle Unterstützung brauchen. Diese Bandbreite ist es, die den Reiz ausmacht, die Lindenschule und ihr Personal aber auch fordert.

Von wie vielen Klassen sprechen wir denn?

Thamm: Zur Zeit hat die Lindenschule 20 Klassen, es ist also sicherlich keine kleine Schule mehr. Wobei unsere Klassen natürlich deutlich kleiner sind, als die Klassen in Regelschulen. Wir haben hier sowie auch an unseren Kooperationsschulen jeweils Klassen- und Differenzierungsräume, die uns viel Spielraum ermöglichen. Besonders die Kooperationsschulen sind in den vergangenen Jahren sehr wichtige Partner geworden. Gerade in den Primarstufen ist Inklusion heute weitestgehend flächendeckend umgesetzt. Mit unserer Partnerschule in Hemslingen arbeiten wir schon mehr als zehn Jahre zusammen. Bei älteren Schulen sind unsere Erfahrungen gemischt. Wir sammeln da noch Erkenntnisse und lernen mit jedem neuen Projekt dazu. Es ist immer wieder ein Herantasten, das eine große Offenheit erfordert.

Was müssen die Partnerschulen so mitbringen?

Thamm: Offenheit und die Bereitschaft, etwas Neues zu versuchen. Dazu natürlich genug Platz und die nötige Infrastruktur im Gebäude – beispielsweise für Rollstühle. Die Schulform hingegen ist gleichgültig. Da sondieren wir immer in umfassenden Gesprächen im Vorfeld, was sich realisieren lässt und was nicht. Wir sind da immer wieder auf der Suche, alles ist ja ständig in Bewegung und im Wandel, durch den Wechsel von Personal an den jeweiligen Schulen, und deshalb ergeben sich immer wieder neue Chancen, während andere Optionen dann erst mal für eine Weile wieder keine Rolle spielen. Da sind wir immer mit verschiedenen möglichen Partnern im Gespräch und offen für alles.

Wie läuft die Arbeit in den Kooperationsklassen?

Thamm: Je nachdem, wie die Kooperation aussieht, wie die Bedingungen vor Ort sind und wie die Schülergruppe sich so zusammensetzt. Die längste Kooperation haben wir mit Hemslingen, da gehören wir fest dazu. Meistens haben die Schüler der Lindenschule da gemeinsam mit der Regelklasse Unterricht, beispielsweise in Deutsch, und danach dann eine Stunde getrennt, in der unsere Schüler Inhalte noch einmal erarbeiten oder sich auch einfach erholen, ganz wie es gebraucht wird. Im Grunde lernen da alle Schüler dasselbe, nur in unterschiedlichem Tempo. Wir haben da auch schon die Erfahrung gemacht, dass Schüler der anderen Klassen zum Arbeiten zu uns kommen, weil es da beispielsweise einfach ruhiger ist. Es profitieren in jedem Fall alle von dem gemeinsamen Unterricht. In den weiterführenden Schulen ist das natürlich teilweise komplizierter, weil die Inhalte abstrakter werden. Da geht es immer wieder um die Frage, was da eigentlich gelernt werden soll und wie man die Inhalte eventuell anders vermitteln kann. Das hat natürlich Grenzen, die sind allerdings je nach Fach anders gelagert. Wie gesagt, es ist immer wieder ein Versuch.

Und wo sehen Sie die Grenzen inklusiven Unterrichts?

Thamm: Die Grenzen setzt neben der Kreativität der Beteiligten vor allem die Personalsituation. Der Fachkräftemangel macht auch vor der Lindenschule nicht Halt, und der Markt ist leer gefegt. Sonderpädagogen bekommt man gerade einfach keine mehr.

Wie wird es nun an der Schule weitergehen? Und wie bei Ihnen?

Thamm: Wir haben einen Nachfolger, der die Schule bereits kennt, aber nicht von innen kommt. Das ist, denke ich, eine gute Mischung, um neue Impulse zu bekommen und dennoch Kontinuität zu gewährleisten. Themen, wie Digitalisierung, werden auch an der Lindenschule in Zukunft immer wichtiger werden. Ich werde den Prozess beobachten und mich sicherlich noch hin und wieder an der Schule blicken lassen, bin aber auch froh, dass nun die Kollegen übernehmen.

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