Ein Stück Obst bedeutet die Welt: Der Apfel aus historischer und kultureller Sicht

Vom Holz zum Reich

Die biblische Ursünde beginnt mit einem Apfel: Satan als Schlange verführt Eva dazu, eine Frucht vom Baum der Erkenntnis zu nehmen. Quelle: Lonitzer Kräuterbuch der Uni Regensburg
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Rotenburg. Äpfel – kaum ein Obst ist selbstverständlicher im Leben vieler Menschen. Die Früchte sind mittlerweile rund um das Jahr zu haben und gelten als besonders gesund. Letzteres gilt mittlerweile als medizinisch erwiesen. Sie sind außerdem ein fester Bestandteil unserer Kulturgeschichte. Die Schlange führte Adam und Eva im Paradies mit einem Apfel in Versuchung, der Reichsapfel symbolisierte schon zu Zeiten Karls des Großen einen die Welt umspannenden Machtanspruch, und unsere Landschaft wurde über Jahrhunderte geprägt von Streuobstwiesen, auf denen zahlreiche Apfelsorten um die Wette blühten und Früchte trugen.

Auch heute noch ist der Apfelanbau im sogenannten „Alten Land“ vor Hamburg mehr als nur eine Einnahmequelle. Er ist ein Teil der Tradition, ein Teil der DNA des Landstriches, auch wenn der Klimawandel ihm in den letzten Jahren zunehmend zu schaffen macht. Doch wie kam es, dass der Apfel zu dem Obst schlechthin wurde?

Archäologische Untersuchungen bestätigen, dass Menschen schon seit rund 10.000 Jahren Äpfel essen. Kerne in den Ascheresten beweisen, dass sie fester Bestandteil des steinzeitlichen Speiseplanes waren. Das dürfte daran gelegen haben, dass Äpfel gewissermaßen dafür gemacht waren, von großen Tieren gegessen zu werden. Groß, saftig und süß dürften die Früchte schon Millionen von Jahre gewesen sein, bevor der Mensch begann, den Apfel zu domestizieren, wie eine Studie des Max-Planck-Instituts Jena nachwies.

Allerdings machte die Eiszeit den Äpfeln einen Strich durch die Rechnung, die großen Apfelfresser starben weitgehend aus, und so war die Samenausbreitung danach für einige Zeit sehr begrenzt, und durch den mangelnden genetischen Austausch bildeten sich regionale Sorten aus. Hier im Norden waren das vor allem die kleinen und ziemlich sauren Holzäpfel, deren Gehölze ziemlich unempfindlich gegenüber Frost und schlechtem Wetter sind. Für einen sehr langen Zeitraum bildeten diese Holzäpfel den Grundbestand dessen, was der durchschnittliche Bewohner dieses Landstriches so kannte.

Schon in der Jungsteinzeit wurden die Äpfel auch kultiviert, in Pfahlbausiedlungen des heutigen Süddeutschlandes fanden Archäologen einige Äpfel, die wohl einstmals halbiert und getrocknet zu den Lagerbeständen der Siedler gehörten. Allerdings handelte es sich dabei wohl in erster Linie um nicht so süße Verwandte des Holzapfels. Wer einmal in solch einen wilden Holzapfel gebissen hat, kann sich vorstellen, dass Äpfel als rohes Obst bei den Kelten und Germanen daher wenig Verwendung fand. Lieber vergoren sie die Früchte mit Honig zu Met, kochten Mus daraus oder pressten Most.

Dennoch spielte der Apfelbaum in der paganen Welt der Germanen eine große Rolle. Goldene Äpfel, gehütet von der Göttin Idun, sorgten für die ewige Jugend der Götter und sicherten damit ihre Unsterblichkeit. Während dieser Zeit waren im Süden der bekannten Welt bereits weit süßere Früchte zu haben. Viel deutet darauf hin, dass die Menschen die breitere Verteilung der Samen übernahmen und über die Seidenstraße neben anderen luxuriösen Gütern auch Apfel- und Nussbäume handelten. Vielleicht mehr zufällig bildeten sich hierbei Mischungen der Apfelsorten heraus, sogenannte Hybriden, die viel größere Früchte hervorbrachten, als ihre reinsortigen Kollegen.

So dürfte der Grundstock heutiger Äpfel in mindestens vier verschiedenen Sorten liegen. Und wieder einmal waren es die Römer, die eine Innovation aufgriffen und für Europa verfügbar machten. Sie kultivierten und veredelten bewusst und gaben ihr Wissen weiter. Die Germanen erlernten die Technik des „Aufpfropfens“ mit der sich die Vorteile eines robusten Stammes mit der reichen Ernte einer empfindlicheren Sorte kombinieren lassen.

Nach dem Fall des Römischen Reiches trugen christliche Einrichtungen die Tradition weiter. Gerade in Stiften und Klöstern wurden Äpfel angebaut und veredelt, Streuobstwiesen entstanden, die Flora und Fauna für eine lange Zeit bereichern sollten. Doch bis zum endgültigen Durchbruch sollte es noch eine ganze Weile dauern. Zwar war der Apfelbaum oft in Bauerngärten vertreten, sie gehörten zum Speiseplan so gut wie aller Menschen des Mittelalters, doch weil Kulturäpfel vergleichsweise witterungsempfindlich waren und sind, handelte es sich hierbei zumeist um sehr robuste, oft nicht sehr süße Früchte. Besondere Exemplare, rund und rot und schön, galten im Mittelalter als ausgesprochen wertvoll. Solche Exemplare waren Minnegeschenke, mit denen man seine Hochachtung und Verehrung ausdrücken wollte, und besonders schöne Exemplare wurden poliert und als Tischdekoration verwendet, oft von den Adeligen nur gemietet um ihren Reichtum zur Schau zu stellen.

Im 19 Jahrhundert dann erlebte der Apfel einen Durchbruch. Große Anpflanzungen wurden vorgenommen, es wurden, je nach Schätzung, bis zu eintausend verschiedene Sorten angepflanzt. Die gigantischen Streuobstwiesen waren eigene Biotope, die vielen Tierarten einen idealen Wohnraum boten. Dieser Boom hing sicherlich auch mit den neuen Transportmöglichkeiten zusammen. Ließen sich die vergleichsweise empfindlichen Äpfel vorher schwer über weitere Strecken transportieren, so sorgten die Neuerungen des Industriezeitalters für ganz neue Möglichkeiten.

Immer mit im Gepäck hatte der Apfel auch mythologische beziehungsweise religiöse Vorstellungswelten. Macht und Sex waren mit dem Apfel schon seit der Antike fest verbunden. So kannten schon die Perser den Reichsapfel als Zeichen eines die Welt umspannenden Machtanspruches, und die Chinesen betrachteten ihn, seiner Form wegen, als Zeichen von Frieden und Einheit. Bei den Griechen war der Fruchtbarkeitsgott Dionysos für die Erfindung des Apfelbaumes verantwortlich, und er widmete diese Frucht niemand geringerem als der Göttin Aphrodite, als Sinnbild der Liebe und Schönheit.

Erst das Christentum ergänzte das Bild des Apfels um die Aspekte der Versuchung, Verführung, des Sündenfalles, möglicherweise gerade weil der Apfel in den Religionen, die das Christentum überwinden wollte, so hoch in Ehren stand. Dies führte im Mittelalter zu zahlreichen Darstellungen des Apfels in seinen verschiedenen Rollen. Als Reichsapfel stand er für die Macht und die Einheit des Kaisers seit Karl dem Großen, im Paradiesspiel, einer Art religiösem Theater, war der Apfel das Zeichen des Teufels. Als Geschenk der Minne ein Zeichen der Verehrung des Schönen und der Liebe und in Schneewittchen als Giftfalle – der Apfel hatte viele Gesichter.

Und heute? Heute ist der Apfel weitgehend bar jeder mythologischen Aufladung, doch dafür wird er mehr und mehr zum Symbol für den Streit um die Landwirtschaft der Zukunft. Lauter und lauter werden die Stimmen, die beklagen, dass immer weniger der zahlreichen Apfelsorten sich im Supermarkt wieder finden. Die genetische Vielfalt sei bedroht von einer Auswahl, die vor allem darauf fußt, welche Sorten sich im Rahmen der industriellen Landwirtschaft besonders gut anpflanzen, ernten und lagern lassen.

Auch der Klimawandel wird immer wieder an schweren Problemen beim Apfelanbau sichtbar. Nicht umsonst haben Apfelbauern aus dem Alten Land für mehr Klimaschutz vor deutschen Gerichten gestritten, weil sonst ihre Existenz bedroht sehen. Und auch im Rahmen der Debatte um die Biodiversität fällt immer wieder der Begriff „Streuobstwiesen“. In Rotenburg hat sich unter anderem die „Biologische Schutzgemeinschaft Wümmeniederung und Nebenflüsse“ dieses Themas angenommen und Streuobstwiesen angelegt, und auch viele Bio-Bauern des Landkreises greifen noch oder wieder zu den alten, oft viel robusteren heimischen Sorten.

Und auch in immer mehr privaten Gärten finden sich zunehmend wieder alte Apfelsorten. Bis hin zum inzwischen vom Aussterben bedrohten Holzapfel, werden wieder mehr Äpfel geerntet, die nicht dem Industriestandard entsprechen. Und mit jedem Baum wird ein Stück Jahrtausende alte Tradition fortgesetzt und am Leben gehalten.

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