Die Vier-Tage-Woche als Arbeitsmodell – VON NADINE EISELE

Eine neue Zeitrechnung

Vier Tage arbeiten, dafür am Freitag frei? Dieses Modell scheint attraktiv, ist aber nicht in jedem Fall umsetzbar. Und es birgt gewisse Probleme.
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Rotenburg – Für jeden Arbeitnehmer klingt das erst einmal ziemlich verlockend. Einen Tag weniger arbeiten und das bei gleichem Gehalt. Genau das verspricht das Modell der Vier-Tage-Woche: ein Arbeitszeitenmodell, das sich aktuell immer größer Beleibtheit erfreut – nicht nur bei Arbeitnehmern. Ein Rotenburger Unternehmen geht voran.



Die Beschäftigten können ihre Wochenarbeitszeit von 40 Stunden auch an vier Tagen leisten bei gleichem Gehalt. Arbeitgeber können sich grundsätzlich aber auch mit ihren Arbeitnehmern darauf einigen, dass diese nur vier Tage pro Woche mit geringerer Wochenstundenzahl arbeiten, was dann allerdings auch ein Teilzeit-Gehalt mit sich zieht. In Spanien wurde die Vier-Tage-Woche 2021 für ein Jahr getestet. In Großbritannien gab es zuletzt einen ähnlichen Pilotversuch.

In der Regel umfasst hierzulande eine Arbeitswoche 40 Stunden, wobei an fünf Tagen je acht Stunden gearbeitet wird. Nach sechs Stunden muss spätestens eine Pause von 30 Minuten eingelegt werden. Für eine Vier-Tage-Woche reduzieren Beschäftigte in der heutigen Praxis ihre Arbeitszeit meistens auf 80 Prozent und verzichten auf 20 Prozent ihres Gehalts. Für eine Verteilung der Wochenarbeitszeit von 40 Stunden auf vier Tage, also zehn Stunden täglich, müssten die Ausnahmen des Arbeitszeitgesetzes genutzt werden. In Deutschland darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Demnach wäre eine Vier-Tage-Woche mit 32 Arbeitsstunden bei gleichem Gehalt eine Gehaltserhöhung von 20 Prozent.

Kirsten Kronberg von der IHK Stade betrachtet das neue Arbeitszeitmodell noch aus anderer Perspektive „Die Idee zur Umsetzung des Modells entsteht nicht nur aus der Innovation heraus, sondern auch aus der Not. Gestiegene Energiepreise und Betriebskosten machen es vielen kleineren Betrieben nicht möglich, den Betrieb fünf Tage in der Woche am Laufen zu halten.“ Ein ganz großes Problem sei vor allem der Fachkräftemangel. „Der wird nämlich auch in den kommenden zehn Jahren aufgrund des demografischen Wandels nicht besser. Da ist die Vier-Tage-Woche ein gutes Instrument“, so Kirsten Kronberg.

Vor allem für den Nachwuchs soll der Handwerks- und Dienstleistungsbetrieb wieder attraktiv werden. Es gibt aber auch ein paar Bedenken seitens der IHK „Die Arbeitszeitverkürzung darf natürlich nicht dazu führen, dass Auszubildende ihr Pensum nicht erreichen und dadurch die Ausbildung leidet. Die Auszubildenden sind die Fachkräfte von morgen.“ Um im Betrieb zu schauen, ob das Modell umsetzbar ist, ob es die Arbeitnehmer überhaupt wollen, empfiehlt die IHK, in den offenen Dialog mit den Mitarbeitern zu gehen und zu schauen, welche Bedürfnisse es gibt.

Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen und Leitung Politikberatung, wägt ab. „Auf individueller Ebene gibt es Vor- und Nachteile. Wenn beschäftigte flexiblere und kürzere Arbeitszeiten haben, gelingt es ihnen leichter, ihr Privatleben und auch Verpflichtungen außerhalb der Arbeit zu organisieren. Die Voraussetzung ist, dass man von seiner Arbeit weiterhin leben kann.“ Ein Weg zu Work-Life-Balance also? Nicht unbedingt, so Heyduck. „Wer fünf Stunden weniger arbeitet, aber dasselbe leisten soll, gerät womöglich stark unter Druck. Wir haben bereits eine extrem stressige Arbeitswelt – da einfach Stunden rauszunehmen, ohne neue Leute einzustellen, kann nach hinten losgehen.“ Es gibt auch Berufsfelder, in denen die Vier-Tage-Woche nicht oder nur schwierig umsetzbar ist. Heyduck: „Nehmen wir ein Krankenhaus oder Pflegeheim. Für die Beschäftigten in diesen fordernden Berufen – Frauen vor allem – wäre eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ganz sicher angemessen, aber hier haben wir erst mal einen so eklatanten Fachkräftemangel, dass man eine besonders schwierige Aufgabe zu lösen hat: Es müssen gleichzeitig mehr Fachkräfte gewonnen werden, und die Arbeitsbedingungen für die, die noch da sind, müssen sich verbessern. Das geht mit ernst gemeinten Versprechen und verbindlichen Zusagen, was sich bessert, sobald neue Leute dazu kommen. Und dazu kann dann auch eine Arbeitszeitverkürzung kommen. Im Moment haben wir in diesem Feld so viel Teilzeitbeschäftigung, eben weil der Beruf unter den aktuellen Bedingungen zu anstrengend ist. Denen ist ad hoc mit einer Vier-Tage-Woche nicht geholfen.“

Einer der ersten Betriebe in der Region, der das Vier-Tage-Wochenmodell eingeführt hat, war der Verkaufsfahrzeugehersteller Borco Höhns – jedoch vorerst in einer Umstrukturierung der Arbeitszeit als Testphase. Die 250 Mitarbeiter arbeiten seit September viereinhalb Tage in der Woche – was bedeutet, dass sie jeden zweiten Freitag frei haben. Gerrit Volger, kaufmännischer Leiter von Borco Höhns, zieht Bilanz: „Wir sind nach wie vor überzeugt davon, dass das der richtige Weg ist. Das Modell läuft gut. Die Produktion hat sich nicht verschlechtert.“ Aber natürlich hat auch die Automobilbranche mit Fachkräftemangel zu kämpfen „Das Ziel der Arbeitszeitverkürzung in unserem Betrieb ist nicht nur, dass es unseren Angestellten gut geht, sondern natürlich wollen wir uns auch attraktiv machen für den Nachwuchs und zeigen, dass wir ein fortschrittliches Unternehmen sind.“ Begleitet wird das Ganze wissenschaftlich von der international Labour Organisation in Genf. Dort gibt es quartalsweise Mitarbeiter-Befragungen. „Wir sind stolz auf das Projekt“, betont Volger.

Ein weiteres Unternehmen, das nachzieht, ist Dodenhof in Posthausen. Frei dem Motto „Aus vier mach fünf“ reagiert das Unternehmen auf eine Mitarbeiterbefragung mit vielen Benefits: eine Vier-Tage-Woche im Verkauf, Remote-Arbeitsplätze, generelle Arbeitszeitverkürzung auf 38 Stunden für alle, zwei Tage mehr Jahresurlaub, kostenlose Leihfahrräder für die Pendelstrecke vom Bahnhof Ottersberg zum Standort nach Posthausen und Fahrtkostenzuschuss. „Wir sind sehr dankbar, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben, auf deren Einschätzung und Engagement wir uns stets verlassen können“, so Ralph Dodenhof, der das Familienunternehmen in vierter Generation führt. Wie man sieht, hat das Modell Potenzial, ist in der Umsetzung aber noch ausbaufähig.

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