„Corona-Opfer“ ziehen um: Rotenburger Hebammen geben Praxis auf - Von Andreas Schultz

Zu wenig Platz und eine Lücke

Beim Familienzentrum des Simbav haben sie einen neuen Wirkungsraum gefunden: die Hebammen Astrid Steinberg (v.l.), Ruth Meyer, Antje Jäger und Birgit Groß. Foto: Schultz
 ©Schultz

Rotenburg – Es gibt sie noch, die Hebammen der nun geschlossenen Hebammen-Praxis Rotenburg. Das ist die gute Nachricht, die für Astrid Steinberg, Ruth Meyer, Antje Jäger, Ulli Müller und Birgit Groß die eigentlich wichtige ist. Die fünf Kolleginnen haben nach 24 Jahren in eigenen Räumen die Praxis an der Goethestraße 3 ein letztes Mal abgeschlossen und hinter sich gelassen. Stattdessen nutzen Sie nun in Absprache mit dem Verein Simbav in Rotenburg das Familienzentrum im ehemaligen Bürgersaal für ihre Tätigkeiten. Der Weg dahin ist für sie kein leichter: „Im Endeffekt sind wir Corona-Opfer“, sagt Jäger mit bitterem Unterton.

Dass sich die Türen der Praxis ein letztes Mal schließen, kommt nicht von ungefähr. Nach zwei Jahren Pandemie ziehen die fünf Hebammen aufgrund der Hygienevorgaben für ihre Kurse einen Schlussstrich: Zehn Quadratmeter Fläche pro Kursteilnehmer vorzuhalten, würde für zu kleine Kurse sorgen. Dafür gibt es dort zu wenig Platz. „Wir waren sehr gerne in der alten Praxis. Aber was soll man tun? Man kann ja nicht einfach ein Fußballfeld anschrauben“, formuliert Jäger, gleichzeitig Vorsitzende von Simbav.

Wesentlich mehr Platz – und damit einen passenden Ersatz – bietet das Familienzentrum. Im Saal sowie in anliegenden Räumen können sich die Hebammen ausbreiten und das gesamte bisherige Angebot vorhalten: Es gibt Geburtsvorbereitung für Frauen beziehungsweise für Paare, Babygruppen, den Stilltreff und zwei Mal pro Woche die Rückbildungsgymnastik für die jungen Mütter. Die Frauen machen aus der Situation das Beste, man nimmt es optimistisch: „Im Grunde ist es eine Win-win-Situation“, sagt Ruth Meyer. Sie können weiter ihrer freiberuflichen Beschäftigung nachgehen und auf der anderen Seite betrachtet man bei Simbav die Kurse als Ergänzung zum Angebot für Familien.

Etwa ein Jahr lang steuern die Frauen das Familienzentrum für diese Tätigkeiten nun an. Das Fazit: „Es funktioniert gut“, sagt Jäger. „Wir bekommen ganz oft die Rückmeldung: Oh, ist das schön hier“, fügt Meyer hinzu. „Aber es ist auch eine andere Organisation nötig. Früher waren wir Chef über unsere eigenen Räume. Jetzt sprechen wir uns mit dem Verein ab.“

Alles andere als schön war die Pandemiezeit für die Fünf aus beruflicher Perspektive. Die Raumfestsetzung über zehn Quadratmeter pro Kursteilnehmer ist nur die Spitze des Eisbergs der Beschwerden. Wesentlichen Anteil daran hätten politische Entscheidungsträger gehabt. „Wir sind unterm Radar, uns außerklinischen Hebammen hat man einfach vergessen“, ist Astrid Steinberg überzeugt. Einerseits habe es keine große Hilfe, kein Material zum Management in der Krise gegeben, andererseits hat man den Hebammen mit zusätzlichen Auflagen die Arbeit erschwert. „Wir haben die Rückbildungskurse aber trotzdem gegeben, zum Teil dann auch nur mit fünf Teilnehmern. Uns war es wichtig, das in Präsenz zu machen“, so Meyer. In Zeiten des Lockdowns hätten die Frauen regelmäßig erlebt, wie die Isolation an den Menschen genagt habe. „In der aufsuchenden Hebammenarbeit waren wir dann immer der Höhepunkt des Tages. Wir waren die Einzigen, die dann in die Häuser kamen“, blickt Steinberg zurück. Aus Angst, sich in Arztpraxen anzustecken, hätten sich auch viele werdende Mütter die Hebammen für Vorsorgeuntersuchungen nach Hause kommen lassen. Mehr Hausbesuche, mehr Hausgeburten: Unter anderem das habe dazu geführt, dass die Nachfrage nach Hebammenleistungen in der Corona-Zeit noch einmal angezogen hat – gleichzeitig ist der Berufsstand einer, der mit dem Rückgang seiner Anhänger zu kämpfen hat. Auch jetzt, wo es in Richtung Normalität gehe und „alles wieder sozialer“ werde, wie Groß zusammenfasst, könnten die Hebammen im Kreis Rotenburg die große Nachfrage nach wie vor nicht decken. Mittlerweile sei es so weit, dass werdende Mütter sich bereits mit dem positiven Schwangerschaftstest melden müssten, um die Chancen deutlich zu erhöhen, von einer Hebamme betreut zu werden.

Die Versorgung sei vor Ort schon prekär, in anderen Regionen sei sie aber „eine Katastrophe“, so Jäger. In Verden klafften beispielsweise große Lücken. Da Krankenhäuser inzwischen schon nach dem dritten Tag nach dem Kaiserschnitt entließen, falle durch die zusätzliche Nachsorge mehr Arbeit für die Freiberuflerinnen an. „Das ist so krank, das System ist einfach nicht in Ordnung“, sagt Jäger.

Und wie sieht es in Zukunft aus? Eine Hoffnung, dass man dem Hebammenmangel mit mehr Berufseinsteigern entgegenwirken könnte, haben die Frauen nicht. Der Nachwuchs bleibe aus und die Tendenz könne sich verschlechtern: Während Aktive sich in die Rente verabschiedeten, sorge die Akademisierung des Berufs seit 2020 für einen Flaschenhals in der Nachwuchsgewinnung: Die Studenten müssten ja erst mal zum Abschluss kommen. „Dadurch fehlen uns Jahre an Kollegen, das haut eine riesige Lücke rein. Denn der Bedarf ist auf der anderen Seite riesig“, sagt Groß.

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