Bilder, die hängen bleiben

Mit Leistenmustern für die Rahmen im Hintergrund: So begrüßt Jürgen Rinck die Kunden seines Ladengeschäfts an der Fußgängerzone. Foto: Schultz
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VON ANDREAS SCHULTZ

Jürgen Rinck sieht sich als den „letzten Mohikaner“ – zumindest zwischen Bremen und Hamburg. Der selbstständige Kaufmann mit Ladengeschäft in der Rotenburger Fußgängerzone verpasst Bildern und Ausstellungsstücken den richtigen Rahmen. Damit gehört er einer aussterbenden Zunft an.

Rotenburg – Einfach an dem Schaufenster des Rahmengeschäfts in der Rotenburger Fußgängerzone vorbeizugehen, ist fast unmöglich: Mal lädt der großformatige Ausdruck vom Steg am sommerlichen Bullensee zum Reinspringen ein, mal streckt sich auf der Leinwand eine Künstlerin des Straßenzirkusses „La Strada“ im Portal der Stadtkirche. Die Fotos sind echte Hingucker; angefertigt hat sie Jürgen Rinck.

„Entweder ist es viel Arbeit oder aber viel Glück“, fasst der Hobbyfotograf zu den Fotos zusammen. Viel Arbeit in der Welt von „Rahmen Rinck“ gibt es allerdings nicht mehr. Fotos, Gemälde, Stickereien, Eintrittskarten, Werbeposter einrahmen – die Nachfrage habe in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen. „Die Hoch-Zeit war in den 90ern. Da hatte die Branche den höchsten Umsatz. Bis 2012 ist der Markt um 90 Prozent geschrumpft“, sagt Rinck. Zwischen Bremen und Hamburg sei er mit seinem Laden „der letzte Mohikaner“, im Umkreis von 70 Kilometern ist er sowas wie die Insel fürs Rahmen. Das Berufsbild, das unter anderem Elemente des Glasers und des Tischlers vereint, hat sich in die Nische verlagert.

Analog dazu geht die Nachfrage nach besonderen Dienstleistungen zurück: Das Vergolden, wie es lange in dem uralten Familienunternehmen zur Angebotspalette gehörte, ist beispielsweise inzwischen ein Sonderfall geworden – ein bis zweimal pro Jahr werde die Leistung nachgefragt. „Da lohnt es nicht, die vielen Ingredienzien vor Ort zu haben. Außerdem ist die Polimentvergoldung ein sehr aufwendiger Prozess“, sagt Rinck. So müssten Inhaltsstoffe lange köcheln, ehe sie mit dem Blattgold aufgetragen werden. Und: Der gesamte Vorgang dauert Stunden. Das schlägt sich dann je nach Größe auch im Preis nieder: Bei einem Rahmen vom Format, das etwas größer ist als ein DIN A3 Blatt, könnten schon einmal 1 000 Euro zusammenkommen.

Das Geschäft mit den Rahmen hat sich verändert, weiß Rinck. Inzwischen zieht es die meisten potenziellen Kunden zu Online-Shops. Dort ist die Ware simpel und von der Stange – aber für die meisten, die beispielsweise nur ein kleines Familienfoto rahmen wollen, reiche das. „Schlicht ist nicht unbedingt gleich schlecht“, sagt der selbstständige Kaufmann. Gerade bei Fotografien wäre eine pompöse, ablenkende Fassung deplatziert. „Simpel“ ist das Gebot der Stunde, damit der Blick sich von der fotografischen Gestaltung, von Bildaufbau und Linienführung lenken lässt. Ein Passepartout – der breite, weiße Rand zwischen Rahmen und Foto – bietet sich noch an, aber ansonsten solle das Bild eher für sich stehen.

Ein Foto zu rahmen ist daher eher eine leichte Übung für Rinck. Spannender wird es dann schon bei spezielleren Stücken: So mancher Kunde lässt sich auch mal ein Stück Leder hinter Glas setzen. Oder Jahrzehnte alte, getrocknete Kräuter. Für das Botheler Landhaus hat der Handwerker einem alten Suppengeschirr eine Sonderanfertigung verpasst. Es gab auch schon Anfragen für besondere Stücke, „da will man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen“, gesteht Rinck. Mit Rücksicht auf seine Kunden möchte er aber nicht weiter ins Detail gehen.

Seine eigenen Aufnahmen werden regelmäßig Teil des Ladenangebots; erfahrungsgemäß gingen die Großformate „mit Lokalkolorit“ am besten weg: Der Rotenburger meint damit Aufnahmen, die in der Gegend entstanden sind, Fotos, mit denen Kunden aus Rotenburg und Umgebung etwas verbinden können. Der Bullensee in zwei Jahreszeiten-Versionen gehört zu den Bestsellern. Und in seinem eigenen Wohnzimmer hängt inzwischen eine Aufnahme, die ebenfalls schon im Schaufenster viele Blicke auf sich gezogen hat: ein Foto von der ehemaligen Schleuse bei Unterstedt im Sonnenuntergang. „Manchmal habe ich schon Monate, bevor die Aufnahme entsteht, das Bild im Kopf. Dann muss ich nur noch warten“, sagt der 60-Jährige. Warten darauf, dass die Jahreszeit stimmt und die Sonne dann auch an der richtigen Stelle im gewünschten Bildaufbau untergeht. Landschaftsaufnahmen reizen den Fotografen, in Rotenburg und umzu seien die Motive aber schon abgegrast. Zudem sei die Zeit für seine Leidenschaft begrenzt. Wenn welche übrig bleibt, fließt sie auch mal in besondere Projekte der Bildbearbeitung. Beispielsweise eine lustige Montage mit dem Titel „Selbstgespräche“, die den Tisch im alten Wohnzimmer zeigt, an dem sieben Versionen des Fotografen miteinander debattieren. Im Ladengeschäft finden sich solche Experimente allerdings nicht.

Den Familienbetrieb gibt es bereits seit 1790, Rinck ist sicher, er werkele in dem ältesten Ladengeschäft der Stadt. Die Arbeit mache dem 60-Jährigen auch nach 36 Jahren noch Freude, „weil ich etwas herstelle, etwas schaffe. Aber auch weil die Leute sich so über die Ergebnisse freuen. Weil etwas entsteht, was ihnen am Herzen liegt“, sagt Rinck. Sein eigenes Herz schlägt jedes Mal etwas höher, wenn er bei einem Besuch einen Rahmen entdeckt, den er vor Jahren einmal gebaut hat. Oder ein altes Stück, das seine Mutter gefertigt hat.

Sorge macht dem Kaufmann, dass ihm aufgrund des schrumpfenden Marktes irgendwann zu viele Lieferanten wegbrechen. Noch steht die Versorgung mit den Materialien. Solange das noch klappt und die Arbeit Freude macht, möchte Rinck am Ball bleiben. Mit Öffnungszeiten nach Vereinbarung – eine Maßnahme, die seit der Pandemie gilt und sich bewährt hat, da es sowieso keine spontane Laufkundschaft gebe.

Doch Jürgen Rinck weiß auch: Irgendwann ist es vorbei, irgendwann schließt er den Laden in der Großen Straße ein letztes Mal. Und nach ihm wird keiner den Laden mit der Aufschrift „Rinck“ wieder öffnen.

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