Gesundheitsamt und Toxikologe mahnen vor frühen Schlüssen - Von Nina Baucke

Fehlende Bausteine

Hermann Kruse (links) und Volker Meyer beantworteten die Fragen der Botheler.
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Hemslingen. Zwei Stunden hatte Bothels Samtgemeindebürgermeister Dirk Eberle für die Informationsveranstaltung zu den Themen Krebsbefragung und Reststoffbehandlungsanlage in Bellen veranschlagt, aber dass diese Zeit nicht einzuhalten ist, dürfte vermutlich jedem Teilnehmer am Mittwochabend im Hemslinger Gasthaus Meyer von Anfang an klar gewesen sein. Am Ende waren es gut dreieinhalb Stunden, die rund 70 Bürger, Ratsmitglieder und eingeladene Experten miteinander diskutierten – „sehr sachlich und informationsorientiert“, wie Eberle am Ende bilanzierte.

Da das Unternehmen Exxon als Bauherr der Reststoffbehandlungsanlage die Teilnahme abgesagt hatte, war es dann an Klaus Söntgerath vom Landesbergamt (LBEG), Fragen aus dem Plenum nach Messanlagen, Filtersystemen und Abfackelprozessen zu beantworten. Fragen, die beim Verursacher besser aufgehoben gewesen wären. Er stellte die Ergebnisse einer Immissionsmessung vor, die das LBEG von Juli vergangenen Jahres bis April im Erdgasfeld Söhlingen vorgenommen hatte. „Die gemessenen Werte liegen unterhalb der Grenzwerte“, so Söntgerath. Er betonte jedoch, dass man nun die Ergebnisse habe, aber noch keine Auswertung, aus der sich weitere Schlüsse ziehen ließen. Damit verpasste der Mann vom LBEG zugleich einer Äußerung Exxons einen Dämpfer: Das Unternehmen hatte im Vorfeld der Diskussionsrunde in einer Pressemitteilung verlauten lassen, die Zahlen des LBEG sprächen eine positive Sprache, zeigten sie doch, dass es keine bedenklichen Luftbelastungen durch die Erdgasförderung und Fackelarbeiten gäbe.

„Was tatsächlich in so einer Fahne drin ist, wäre eine wissenschaftliche Arbeit“, meinte dagegen Söntgerath. „Wir können uns durch das genormte Verfahren nur auf wesentliche Werte konzentrieren.“ Auf die Frage nach frühreren Werten blieb Söntegrath eine klare Antwort schuldig. Ratsfrau Carolin Muschter (WWH) kritisierte, bei der Entscheidung, eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) sei nicht notwendig, habe man die Gemeinde ausgebootet. „Wenn die Gemeinde betroffen ist, dann muss sie beteiligt werden. Das kann man nicht aushebeln“, versichterte dagegen Söntgerath. Und überhaupt: Wenn keine UVP gemacht werde, bedeute das nicht, die Umwelt ad acta zu legen. Kathrin Otte vom Gemeinnützigen Netzwerks für Umweltkranke (Genuk) verlangte derweil einen Mentalitätswechsel und mehr Einbeziehung der Bürger, während Eberle erneut die Notwendigkeit einer dauerhaften Präsenz des LBEG in der Region betonte – „gerade bei der Dichte an kritischen Punkten“. Aber es war vor allem der Toxikologe Hermann Kruse aus Kiel, der deutliche Worte fand: Er mahnte in Richtung LBEG, vor der Auswertung keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Und er kritisierte die Messmethode: „Ich erwarte da ein Messnetz mit drei bis vier Standorten. Nur einer ist aus Sicht einer Umweltverträglichkeitsprüfung ungenügend.“ Ein weiteres Manko: das Fehlen der Staubmessung in dem Programm. „Kadmium und Arsen hängen beispielsweise an Stäuben“, so der Toxikologe. „Gerade die Staubbelastung kann ein Problem sein.“ Auch das Bodenschutzgesetz helfe nicht weiter: „Da sind die Grenzwerte dermaßen hoch, da kommen Sie nie dran“, bemerkte er in Richtung Söntgerath. „Und dann voreilige Schlüsse? Das geht nicht!“ Dagegen warnte Michael Hoopmann vom Landesgesundheitsamt in Bezug auf die Krebszahlen davor, einfache Erklärungen zu suchen: „Der Zusammenhang mag naheliegend sein – es kann sich aber auch um einen Fehlschluss handeln. Dafür fehlen zu diesem Zeitpunkt zu viele Bausteine.“ Doch auch er wies die Argumente zurück, mit denen Exxon kürzlich jedweden Zusammenhang bestritten hatte. „Die Argumente stimmen nicht. So ist beim Multiplen Myelom auch Benzol als Risikofaktor anerkannt.“ Zudem sei die Tatsache, dass es keinen qualitativen Hinweis auf krebserregende Stoffe gäbe, noch nicht aussagekräftig. „Bei Benzol gibt es keinen Toleranzwert, schon geringe Dosen können Leukämie auslösen“, so Kruse. Er sah zudem Probleme in der Größenordnung der Befragung: „Das Gesamtkollektiv ist sehr klein, das reicht nicht aus, um Auffälligkeiten im Zusammenhang zu sehen. Außerdem kann es sein, dass da Stoffe sind, die noch gar nicht beachtet wurden.“ Während Volker Meyer vom Wasserverband im weiteren Verlauf des Abends die Bedeutung der Rotenburger Rinne und die Notwendigkeit, alle potentiellen Gefahren im Auge zu behalten, betonte, kam Umweltmediziner Matthias Bantz aus Rotenburg nur wenig zu Wort. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil musste aufgrund anderer Termine die Runde vorzeitig verlassen, ohne sich zum Fracking-Gesetz geäußert zu haben. Reichlich Stoff für mehr Abende dieser Art also: Eberle kann sich zumindest weitere Veranstaltungen in diesem Stil vorstellen, „denn das Thema ist ja noch lange nicht abgeschlossen“, so der Verwaltungschef. „Spätestens in einem halben Jahr.“ Nicht ohne Grund: Dann erwarten die Bürger der Samtgemeinde erste Erkenntnisse aus der Krebsbefragung. „Das, was wir jetzt brauchen, ist das Schwierigste: Geduld.“

Kommentar:

Das leise „Pfui“ aus dem Plenum, als Dirk Eberle die Absage Exxons erwähnte, sollte dem Konzern eine weitere Wasserstandsmeldung zu seinem Ansehen in der Region sein. Gerade, weil die Unternehmenssprecher nicht müde werden, zu betonen, wie sehr ihnen an guter Nachbarschaft gelegen ist. Das Fernbleiben von Veranstaltungen wie der am Mittwoch, dürfte das in ein anderes Licht setzen.

Exxon verkündet Transparenz – aber bitte nur auf eigenem Terrain: Der Regionaldialog ist dem Unternehmen Plattform genug. Damit verpasst es eine Chance, seine Einschätzungen mit denen unabhänger Experten zu vergleichen. Wie nötig das ist, zeigte sich, als Umweltepidemiologe Hoopmann zwar zur Zurückhaltung bei der Suche nach einfachen Lösungen mahnte, gleichzeitig aber auch Exxons Vorpreschen, es gäbe keinen Zusammenhang, abstrafte – und obendrein die Argumente des Konzerns als falsch bezeichnete. Offenheit sieht anders aus und darf sich nicht in Pressemitteilungen erschöpfen. Es erfordert den Blick über den Tellerrand hinaus.

Nina Baucke

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