Thema Integration: Klingbeil lud zur Diskussion ins Rathaus - Von Wibke Woyke

"Ein Geben und Nehmen“

Auf dem Podium zum Thema Integration (von links): Herbert Neumann vom Jugendmigrationsdienst des Diakonischen Werks, Streetworker Eduard Hermann, MdB Lars Klingbeil, die integrationspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Aydan Özoguz sowie Hartmut Schaarschmidt als Konrektor der Theodor-Heuss-Schule Foto: Woyke
 ©Rotenburger Rundschau

Eins vorweg: Patentlösungen gab es keine. Die waren jedoch auch nicht zu erwarten. Schließlich ist das Thema Integration so umfang- und facettenreich, dass es an einem Abend lediglich angeschnitten werden kann. Der SPD-Bundestagsabge-ordnete Lars Klingbeil hatte ins Rotenburger Rathaus eingeladen, um mit Podiumsgästen und Besuchern über Integration zu sprechen. Immerhin wurden dabei interessante Ansichten ausgetauscht und Denkanstöße gegeben.

Hintergrund des Termins: Klingbeil rückt das Thema Integration auch in der Region stärker in den Mittelpunkt. Nach den zugespitzten und aufgeheizten Debatten im vergangenen Jahr (Stichwort Sarrazin) will er mithelfen, die Diskussion auf eine sachliche Ebene zu führen, erklärte er im Vorfeld der Veranstaltung. Wichtig sei, die vielen positiven Beispiele zu verdeutlichen. Erfreulich: Auch wenn Klingbeil als Sozialdemokrat eingeladen hatte, so war das Publikum im Rathaus durchaus gemischt. Mitglieder anderer Parteien waren genauso anwesend wie beispielsweise Vertreter von Vereinen, Verbänden, Institutionen, Kirchen und Schulen sowie natürlich interessierte Privatpersonen. Aufs Podium hatte der 32-Jährige unter anderem die integrationspolitische Sprecherin der SPD-Bundestags-fraktion, Aydan Özoguz, gebeten. Neben ihr nahmen der Rotenburger Streetworker Eduard Hermann, Herbert Neumann vom Jugendmigrationsdienst des Diakonischen Werks sowie Hartmut Schaarschmidt als Konrektor der Theodor-Heuss-Schule Platz. Gemeinsam bemühte sich die Runde um einen Erfahrungsaustausch und nannte sowohl Beispiele für gute Integrationsarbeit als auch für Schwierigkeiten, die es gilt, aus dem Weg zu räumen. Den Anfang machte Aydan Özoguz, 1967 als Kind türkischer Kaufleute in Hamburg geboren, 1989 eingebürgert, seit 2009 Mitglied des Bundestags. Gerade beim Thema Integration, erklärte sie, habe Jeder seine ganz eigene Meinung, Gefühle seien denkbar unterschiedlich. Und frage man eine Reihe von Menschen, was denn der Begriff Integration überhaupt bedeute, kämen verschiedenste Definitionen zustande. Deutlicher sei da schon der Blick auf nackte Zahlen. In der Bundesrepublik lebten rund sieben Millionen Menschen ohne deutschen Pass. Interessant ist die Entwicklung der Asylantragszahlen. Waren es laut Aydan Özoguz im Jahr 2000 noch etwa 118.000, seien 2009 nur rund 33.000 zu verzeichnen gewesen. Und: Von den 33.000 Anträgen 2009 habe es gerade einmal 452 Anerkennungen gegeben. Eine äußerst niedrige Zahl. "Da gibt es ganz andere Herausforderungen“, erklärte Özoguz. Zudem sei zu bedenken: Viele Ausländer verlassen Deutschland auch wieder. "In der 80ern und 90ern hat es sogar Jahre gegeben, in denen der Saldo im Minus lag.“ Eine Herausforderung für Deutschland sei es jedoch, gut ausgebildete Kräfte zu halten. "Denn wir brauchen sie.“ Özoguz betonte die Wichtigkeit des Wir-Gefühls in einer Gesellschaft, zudem von guter Förderarbeit schon in Krippen und Kindergärten sowie in Schulen. Dabei gelte unbedingt, die Eltern früh mit ins Boot zu holen. Ein Problem: "Es gibt viele Ausländer in Deutschland, beispielsweise aus Osteuropa, die durchaus gut ausgebildet sind, deren Ausbildung jedoch hier nicht anerkannt wird“, so Özoguz. In der Statistik würden die als "ohne Ausbildung“ geführt. "Das ist aber falsch“, meint die SPD-Bundestagsabgeordnete. In diesem Bereich gelte es, zu handeln und passende Mechanismen für eine Überprüfung zu entwickeln. Schwierigkeiten gebe es zudem bei Deutschkursen. Denn dass viele Ausländer diese einfach nicht in Anspruch nehmen wollten, sei pauschal natürlich eben nicht der Fall. Vielmehr existierten verschiedene Hürden – sei es die oft lange Zeit bis zur Bewilligung, sei es die unglaublich lange Warteliste. Zurzeit warteten tausende auf einen Platz in den wenigen Kursen. Özoguz schnitt zum Schluss die Aspekte Jugendkriminalität sowie die Wichtigkeit aufsuchender Sozialarbeit an, bevor Herbert Neumann vom Jugendmigrationsdienst des Diakonischen Werks das Wort übernahm. Ausländische Jugendliche hätten es, meint er, bei gleichem Schulabschluss und gleichen Noten trotzdem meist schwerer auf dem Arbeitsmarkt. Benachteiligungen seien real messbar. Neumann betonte, dass die Gesellschaft Integration auch möglich machen muss – sie müsse sich dazu selbst bewegen, nicht nur die Ausländer. In Rotenburg sei die Integrationsarbeit auf einem guten Weg. Das glaubt auch Streetworker Eduard Hermann, der das in der Wümmestadt bereits bestens bekannte offene Sportprojekt als Beispiel ins Feld führte. Wöchentlich treffen sich dort 150 Jugendliche – keineswegs nur ausländische, sondern mehr und mehr auch einheimische. Darüber hinaus kommen die Teilnehmer aus unterschiedlichen Bildungsschichten. "Es spielt keine Rolle, von welcher Schule jemand kommt oder welche Nationalität er hat – bei uns sind alle Rotenburger“, erklärt Hermann. "Das ist unsere Philosophie.“ Hartmut Schaarschmidt – seit rund 40 Jahren im Schuldienst, davon 30 Jahre Konrektor – berichtete über den Alltag an der Theodor-Heuss-Schule. Die ist seit 2003 Ganztagseinrichtung. Ein hochmotiviertes Kollegium, unterstützt durch Sozialpädagogen, kümmere sich um die Schüler und stelle sich den Herausforderungen. Allgemein gilt nach Schaarschmidts Ansicht: "Integration ist dort besonders erfolgreich, wo die Basis möglichst breit ist.“ Und das spreche für ein integratives Schulsystem. Aus dem Plenum gab es schließlich einige Fragen und Bemerkungen. Nicht alle waren rundum zufrieden mit dem Abend, da naturgemäß in zwei Stunden bei weitem nicht alle Aspekte Berücksichtigung finden konnten. Besucherin Susanne Kuppler (TuS Rotenburg) betonte, dass Erwachsene von Kindern lernen sollten – denn die gingen unbedarft miteinander um, ohne Angst und Scheu und stellten auch Fragen. Und Gilberto Gori - gebürtiger Italiener, seit 1974 in Deutschland, aktueller Ratsherr und Vorsitzender des Sportausschusses - brachte das Thema Integration zum Schluss so auf den Punkt, wie man es besser nicht machen könnte: "Das Ganze ist ein Geben und Nehmen.“

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