Carsten Konrad über Depressionen und Vorurteile - Von Nina Baucke

Auch die Harten und Starken

Foto: Dennis Bartz
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Rotenburg. Es sind etwa 20 Menschen von 100, die im Laufe ihres Lebens an Depression erkranken – aber wer offen darüber spricht, gilt oft noch immer als „Schwächling“. Damit sich das ändert, hat sich im Mai das Bündnis gegen Depressionen im Landkreis Rotenburg gegründet. Am heutigen Samstag markiert ein Kabarettabend im Heimathaus den Auftakt zu einer Veranstaltungsreihe, mit der das Bündnis über diese Krankheit aufklären will. Die Rundschau sprach mit dem Vereinsvorsitzenden Carsten Konrad, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Diakonieklinikum, über Stigmatisierung, Vorurteile und Nachholbedarf.

Der Kabarettist Tobi Katze bestreitet den Auftakt: Darf man über Depressionen lachen?

Carsten Konrad: Tobi Katze war selbst von einer Depression betroffen. Aber er zieht das so auf, dass man darüber lachen kann. Und damit zeigt er, dass diese Krankheit behandelbar ist und dass man nach einer depressiven Episode auch als Künstler weiterarbeiten und darüber lachen kann.

Was ist an weiteren Veranstaltungen geplant?

Konrad: Auf Bundesebene hat sich gezeigt, dass man mit ganz einfachen Mitteln wie Öffentlichkeitsarbeit, Informationen über die Erkrankung und Destigmatisierung der Kranken die Suizidrate senken kann, und zwar deutlich. Wir wollen daher ein buntes Programm aus Informationsveranstaltungen organisieren, darunter aber auch die ein oder andere Kulturveranstaltung – wenn das jetzt mit dem Kabarett gut ankommt. Die Krankheit ist dabei unser roter Faden, denn wir wollen sie von Vorurteilen befreien.

Also raus aus der Klischeefalle?

Konrad: Es ist ja immer ein Thema, das mit ganz viel Ernsthaftigkeit betrieben wird, und es ist auch eine ganz unschöne Erkrankung. Aber dadurch, dass wir das beispielsweise mit Kabarett verknüpfen, verdeutlichen wir, dass man Hoffnung haben kann. Das ist eine Kernbotschaft des Bündnisses: Depression ist behandelbar.

Haben die Betroffenen noch immer viel mit Klischees zu kämpfen?

Konrad: Es gibt Zahlen, die erschreckend sind. Depression ist eine Volkserkrankung, und diejenigen, die am Ende in einer fachlich angemessenen Behandlung landen, sind nur ein geringer Anteil von denen, die sie eigentlich benötigen. Und dieser riesige Abstand hat verschiedene Gründe. Einer ist, dass psychische Erkrankungen immer noch stigmatisiert sind. Beispielsweise, dass die Betroffenen „Weicheier“ und „Schwächlinge“ seien. Aber das ist ein falsches Vorurteil, und eine weitere Botschaft unseres Bündnisses ist: Es kann jeden treffen – und manchmal sind das die besonders Harten und Starken, ganz unerwartet. Und gegen solche Vorurteile müssen wir vorgehen, damit sich mehr Menschen trauen, ihre Symptome zu benennen und Hilfe zu suchen. In der nächsten Stufe möchten wir, dass Primärversorger wie Hausärzte besser geschult sind.

Sehen Sie da Nachholbedarf?

Konrad: Was heißt Nachholbedarf, die Psychatrie hat sich in den vergangenen 20 Jahren rasant weiterentwickelt. Wir haben es hier im Landkreis mit einem eklatanten Mangel an Fachärzten für Psychiatrie zu tun. Die Hausärzte übernehmen in vielerlei Hinsicht die Aufgaben von Fachärzten. Wir müssen sie daher stärken und unterstützen.

Lassen sich Gruppen ausmachen, die stärker betroffen sind – Männer oder Frauen, Alte oder Junge?

Konrad: Es gibt einen starken Geschlechterunterschied. Männer haben ein Risiko von neun Prozent, im Laufe ihres Lebens eine depressive Episode zu erleiden, bei Frauen ist das Risiko doppelt so hoch.

Woran liegt das?

Konrad: Es gibt viele verschiedene Erklärungen dafür. Das kann mit biologischen, als auch mit sozialen Faktoren zusammenhängen. Was es dann letztlich ist, weiß man nicht, ganz oft ist es eine Mischung aus beidem. Depressionen können Menschen in jeder Altersgruppe treffen, manche sogar schon im Kindesalter, manchmal treten sie erst im hohen Alter auf. Bei den Suizidraten beobachten wir einen starken Anstieg mit zunehmendem Alter und Einsamkeit.

Das Bündnis plant auch Projekte in Schulen. Sind Jugendliche also auch eine Gruppe, die Sie verstärkt im Auge behalten?

Konrad: Die Menschen, die wirklich schwer erkrankt sind, kommen oft erst nach vielen Jahren Leidensgeschichte in die richtige Behandlung. Und je früher wir informieren, umso früher zeigen wir, wie sie den richtigen Weg einschlagen können und desto eher ersparen wir ihnen viel Leid.

Welche Rolle spielt das Umfeld – Freunde, Verwandte, Kollegen, Familie? Wie können sie helfen?

Konrad: Für viele Erkrankte selbst steht im Vordergrund, dass sie auf einmal nicht mehr so viel leisten können. Sie können ihre Stimmungslage schlecht einschätzen und auch andere Symptome nicht gut benennen. Menschen aus ihrem Umfeld sind dann am ehesten in der Lage, festzustellen, ob sich jemand zurückzieht und Kontakt zu anderen Menschen meidet, oder ob er freudlos ist. Sie können den Betroffenen ansprechen, damit die Veränderungen in seinem Verhalten nicht einfach so unter den Teppich gekehrt werden.

Wie wichtig ist das Umfeld im Heilungsprozess?

Konrad: Das ist eine große Stütze. In den allermeisten Fällen sind es die Familien, die Sicherheit bieten.

Wo sieht es heute mit der Gewichtung der Krankheit aus – auch im Vergleich zu der Situation vor zehn und mehr Jahren?

Konrad: Es wird zum Glück immer akzeptierter, dass man so eine depressive Phase durchleiden kann – und dass das trotzdem keinen anderen, keinen schlechteren Menschen aus einem macht. Die Depression ist klassischerweise eine episodenhaft verlaufende Krankheit – mit einem Anfang und einem Ende. Ziel ist die Rückkehr in einen normalen Zustand. Jeder kann morgen, nächste Woche eine depressive Episode haben.

Entsteht eine Depression nur durch das Umfeld oder gibt es auch eine biologische Veranlagung dazu?

Konrad: Ja, auf jeden Fall. Heutzutage gehen wir von einem sogenannten Fassmodell aus: In das Fass fließt immer mehr Wasser, also Stress und Belastung. Und irgendwann läuft dieses Fass über. Doch die Wände sind bei jedem unterschiedlich hoch. Es gibt eine starke biologische und lebensgeschichtliche Veranlagung, wie gut wir mit Stress und negativen Ereignissen umgehen können. Auch eine erbliche Veranlagung zu dieser Krankheit ist zu einem gewissen Prozentsatz bereits nachgewiesen.

Sie sagen, dass anhand der Zahlen Depressionen heute eine Volkserkrankung sind. Hat sich das im Laufe der vergangenen Jahre entwickelt, sind die Menschen anfälliger geworden oder war die Verbreitung schon früher auf einem hohen Level und ist nur nicht erfasst worden?

Konrad: Es wird immer der Eindruck vermittelt, die Krankheit sei häufiger geworden, davon werden Hypothesen abgeleitet, das liege am Stress, am Arbeitsleben. Depression ist tatsächlich immer mehr Grund für Krankschreibungen und Verrentungen. Aber wissenschaftlich konnte nicht belegt werden, dass die Krankheit an sich häufiger wird. Wir gehen eher davon aus, dass es eine relativ konstante Häufigkeit in der Bevölkerung gibt, aber dass die Menschen sich zunehmend trauen, sich zu äußern, Hilfe zu suchen und Depressionen als Krankheit zu sehen. Überhaupt das Gefühl zu haben, dass es eine Erkrankung ist. Ich habe Patienten, die sich selbst als „plötzlich faul geworden“ bezeichnen, bevor wir im Laufe der Untersuchung erkennen, dass es die Krankheit ist und wir den Menschen erklären müssen, dass sie gar nichts dafür können. Dass sie im Moment nicht so leistungsfähig sind und dass das mit Faulheit nichts zu tun hat.

Wo wir wieder bei den Tabus sind. Fallen langsam die Klischees unter den Tisch?

Konrad: Ja, zum Glück. Es gibt sie zwar immernoch, aber vor allem hier in Niedersachsen ist der Tod von Robert Enke noch gut in Erinnerung. Das war ja ein Ereignis, wodurch Menschen erst richtig auf dieses Leiden aufmerksam geworden sind.

Hat der Fall Enke damals etwas ausgelöst?

Konrad: Ja. In der Folge haben sich immer mehr Fußballspieler, die ansonsten als „harte Männer“ gelten, geoutet, dass sie auch mal so eine depressive Phase hatten. Auch sonst trauen sich immer mehr Prominente, ihre Erkrankung öffentlich zu machen. Sie sind wichtige Vorbilder.

Das bundesweite Bündnis gegen Depression ist vor vielen Jahren aus einem Forschungsprojekt zur Suizidprävention entstanden, daraufhin gründeten sich mehr und mehr lokale Vereine, die sich dem Bündnis anschlossen. Carsten Konrad stieß bereits während seiner Arbeit in Marburg die Gründung des dortigen Bündnisses an, als er vor eineinhalb Jahren nach Rotenburg kam, brachte er auch dort den Stein ins Rollen. Im Mai gründete er mit weiteren Interessierten dann den Verein für den Landkreis Rotenburg. Der Vorstand setzt sich dabei nicht nur aus Fachärzten aus dem Bereich Psychiatrie und Psychotherapie zusammen, sondern auch aus der Kinderheilkunde sowie allen relevanten Bereichen – Kirche, Rotenburger Werke, aus dem Bereich der psychosozialen Betreuung sowie aus der Wirtschaft.

Das Bündnis gegen Depression im Landkreis Rotenburg

Das bundesweite Bündnis gegen Depression ist vor vielen Jahren aus einem Forschungsprojekt zur Suizidprävention entstanden, daraufhin gründeten sich mehr und mehr lokale Vereine, die sich dem Bündnis anschlossen. Carsten Konrad stieß bereits während seiner Arbeit in Marburg die Gründung des dortigen Bündnisses an, als er vor eineinhalb Jahren nach Rotenburg kam, brachte er auch dort den Stein ins Rollen. Im Mai gründete er mit weiteren Interessierten dann den Verein für den Landkreis Rotenburg. Der Vorstand setzt sich dabei nicht nur aus Fachärzten aus dem Bereich Psychiatrie und Psychotherapie zusammen, sondern auch aus der Kinderheilkunde sowie allen relevanten Bereichen – Kirche, Rotenburger Werke, aus dem Bereich der psychosozialen Betreuung sowie aus der Wirtschaft. Jeder der lokalen Vereine definiert seine Ziele selbst, erhält aber vom bundesweiten Bündnis Unterstützung in Form von Materialien und Kampagnen. Gleichzeitig setzt der Verein eigene Projekte um. Dazu gehört eine Fotoausstellung, die ab 2017 an verschiedenen Orten im Landkreis zu sehen sein wird. Ebenso plant das Bündnis eine Reihe von Filmvorführungen, in denen psychische Erkrankungen Thema sind und in deren Anschluss die Zuschauer mit Fachleuten über die Darstellung sprechen und sich austauschen. Dazu kommen Informationsveranstaltungen in Schulen und Fortbildungen in Wirtschaftsbetrieben. „Wir möchten über Früherkennung und Behandlungsmöglichkeiten sowie über Anpassungsmöglichkeiten des Arbeitsplatzes informieren“, erklärt Konrad. „Viele Arbeitgeber sind total unsicher, wie viel sie einem Betroffenen zumuten dürfen.“

Für die Auftaktveranstaltung mit Tobi Katze heute, 22. Oktober, ab 19 Uhr im Heimathaus Rotenburg gibt es noch Karten an der Abendkasse.

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