Gas & Bremse: Sollte McLaren beim Titelkampf zwischen Lando Norris und Oscar Piastri jetzt handeln? Unsere Formel-1-Experten debattieren.
Woking – Schon vor dieser Saison war für die meisten Experten klar, dass der WM-Titel in der Formel 1 nur über McLaren gehen würde. Diese Einschätzung hat sich in den ersten zehn Rennen des Jahres bewahrheitet. Dass es aber der Australier Oscar Piastri sein würde, der die Fahrerwertung mit 22 Punkten auf seinen Teamkollegen Lando Norris anführt, hätten nur die wenigsten gedacht.
Doch Norris, der im letzten Jahr hinter Red-Bull-Star Max Verstappen zum Vizeweltmeister wurde, fällt bislang vor allem durch Fehler auf, die ihm wichtige Punkte kosten – etwa sein Crash in Saudi-Arabien oder die jüngste Kollision mit Teamkollege Piastri in Montreal. Der ehemalige Haas-Teamchef Günther Steiner empfahl McLaren daher eine Teamorder. Ein Gedanke, der auch unter unseren Formel-1-Redakteuren kontrovers diskutiert wird.
Gas: McLaren muss jetzt handeln, bevor es zu spät ist
von Sönke Brederlow
Die Kollision zwischen Oscar Piastri und Lando Norris in Montreal sollte McLaren endgültig die Augen geöffnet haben. Zwar führt der Australier die Fahrer-WM mittlerweile recht deutlich an, doch das Rennen in Kanada hat eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sich das Blatt in der Formel 1 wenden kann. Wären die beiden McLaren-Piloten im Kampf um den Sieg kollidiert und ausgefallen, hätte Max Verstappen womöglich die vollen 25 Punkte geholt – ein Szenario, das das WM-Bild drastisch verändert hätte.
So ist McLaren am Sonntag mit einem blauen Auge davongekommen. Doch der Vorfall macht unmissverständlich klar: Die Teamführung am Kommandostand ist jetzt gefordert. Das bedeutet nicht, dass Piastri künftig kampflos an Norris vorbei gewinkt werden muss. Aber klare Absprachen und rechtzeitige Ansagen während des Rennens sind unerlässlich, um für Sicherheit zu sorgen – und zu verhindern, dass Verstappen in der zweiten Saisonhälfte doch noch zu seinem fünften WM-Titel fährt.
Wäre eine Teamorder unfair? Lando Norris hatte seine Chance auf den WM-Titel, doch er hat sie mit einer Reihe eigener Fehler in den ersten zehn Rennen weitgehend verspielt. Das berühmte Fass ist inzwischen nahezu voll, weshalb McLaren jetzt eingreifen muss, um den begehrten Fahrer-Titel nicht zu verlieren. Dazu kommt: Oscar Piastri agiert bislang mit bemerkenswerter Konstanz, fährt reif und fokussiert – und hätte den Titel schon jetzt mehr als verdient. (SoBre)
Bremse: McLaren ist dominant genug und braucht keine Teamorder
von Simon Mones
Natürlich würde eine Teamorder McLaren das Leben leichter machen. Letztlich nimmt das Team aber so aktiv Einfluss auf das Rennen. In jedem anderen Sport würde man von einer Manipulation sprechen. Die FIA hatte die Stallorder nicht ohne Grund 2003 verboten und erst wieder aufgehoben, nachdem Ferrari 2010 beim Großen Preis von Deutschland Fernando Alonso dennoch an Felipe Massa vorbei gefunkt hatte. Aus meiner Sicht war es ein Fehler, das Verbot aufzuheben. So reicht oftmals ein Funkspruch, wenn man am Teamkollegen nicht vorbeikommt.
Congrats Mercedes & Kimi on that first podium
— Zak Brown (@ZBrownCEO) June 15, 2025
Great stops from the team, with fast cars and drivers.
And so, it happened.
Appreciate the candor, Lando. Solid race Oscar.
We learn. We go again together pic.twitter.com/QpPY8fWHW2
Hinzu kommt, dass McLaren mit den „Papaya Rules“ eindeutige Regeln für die beiden Piloten festgelegt hat. „Die Papaya-Regeln lauten: Es ist dein Teamkollege. Fahre gegen ihn hart, sauber und berühre ihn nicht“, betonte McLaren-Boss Zak Brown in einem Interview mit Sky Sports F1 in der vergangenen Saison. Warum diese Regeln wegen eines Vorfalles gleich über den Haufen werfen? Ja, die Kollision hat McLaren wichtige Punkte gekostet, doch wie Teamchef Andrea Stella berechtigterweise betont: Es war keine böse Absicht und hätte auch mit einem anderen Fahrer passieren können. Und in Woking hatte man ohnehin damit gerechnet, dass es früher oder später krachen würde.
Hinzu kommt, McLaren ist in diesem Jahr das dominante Team in der Formel 1. Ja, in Montreal sah man nicht so gut aus, aber ähnliche Rennen hatten Mercedes und Red Bull in den vergangenen Jahren auch. Piastri hat mit 43 Punkten einen komfortablen Vorsprung auf Verstapen. Zwischen dem Australier und George Russell liegen sogar 63 Punkte. Norris liegt nur 22 Punkte hinter seinem Teamkollegen. Zwei Siege in Spielberg und Silverstone und der Brite ist wieder mitten im WM-Kampf. Eine Teamorder käme nach zehn Rennen viel zu früh. Dafür ist der Abstand zwischen den beiden noch zu knapp. McLaren tut also gut daran, sie weiter unter den Papaya-Rules frei fahren zu lassen – so wie es Andrea Stella nach der Kollision bereits angekündigt hatte. (smo)