Wilhelm Kranz (70) ist seit seiner Kindheit leidenschaftlicher Familienforscher - Von Thomas Hartmann

Ein Hobby der kleinen Erfolgserlebnisse

Wilhelm Kranz (links) und Wittorfs Ortsbürgermeister Willi Bargfrede arbeiten für die Ortschronik eng zusammen. Der Harburger erstellte für das Werk ein Ortsfamilienbuch mit 3.100 Namen Foto: Hartmann
 ©Rotenburger Rundschau

. Als Zwölfjähriger verlebte Wilhelm Kranz aus Bretel die Sommerferien bei seiner Oma in Rotenburg. Es regnete in Strömen und ihm war langweilig. Da holte seine Großmutter einen unausgefüllten Ahnenpass (Opa war Beamter gewesen) und ein ledernes Täschchen mit Urkunden und Kirchenbuchauszügen aus einer Schublade und sagte: "Kannst Du ja mal ausfüllen!“ Das war 1951. Was als eine Art Beschäftigungstherapie begann entwickelte sich fast bis zur Besessenheit und ließ den Jungen nicht mehr los – bis heute. Kranz ist inzwischen passionierter Ahnenforscher und arbeitet derzeit mit dem Wittorfer Ortsbürgermeister Willi Bargfrede an einem Namensregister für die geplante Ortschronik.

Eigentlich ist Ahnenforschung eine ganz einfache und logische Sache: Jeder Mensch hat einen Vater und eine Mutter und die gilt es samt den zugehörigen Daten zu finden. In der Elterngeneration sind es zwei Personen, dazu gibt es vier Großeltern und acht Urgroßeltern. Mit jeder weiteren Ahnengeneration verdoppelt sich die Zahl der Personen. Für die Bezeichnung der Menschen in einer Ahnentafel oder –liste gibt es ein narrensicheres Ziffernsystem. Die Eltern der Person, für die die Ahnentafel erstellt wird und die die Nummer 1 bekommt, haben die Zahlen zwei und drei. Die Männer erhalten im weiteren Fortlauf immer die gerade Ziffer und begonnen wird mit der väterlichen Linie. So steht in der vierten Generation für den Urgroßvater väterlicherseits die Zahl acht, die Urgroßmutter mütterlicherseits die 15. Wenn mal eine Frau den Namen des Vaters ihres Kindes nicht genannt hat, sitzt der Genealoge in der Sackgasse. "Das ist Pech“, sagt Kranz. "Aber man kann schließlich keine Eltern aus dem Hut zaubern.“ Aller Anfang ist schwer, und so ist es auch bei der Ahnen- und Familienforschung, weiß Kranz. Ob mit Papier und Bleistift, Karteikarten oder einem der zahlreichen Genealogieprogramme im PC – zunächst sollte all das aufgeschrieben werden, was bekannt oder von noch lebenden Verwandten in Erfahrung zu bringen ist. Kranz: "Dann kommen die Schubladen und Truhen dran, denn in vielen Haushalten werden eigene Urkunden und die der Eltern, Groß- und Urgroßeltern aufbewahrt und mit Glück stößt man auf eine vor langen Jahren begonnene Forschung oder auf den Ahnenpass des Urgroßvaters.“ Die eigentliche Forschung beginnt in den Standesämtern, die alle Personenstandsdaten bis 1875 zurück registriert haben. "Die Urkunden, die man dort bekommt, sind bezahlbar und ihr Geld wert, denn sie sind mit ihren weiterführenden Hinweisen eine unerlässliche Hilfe“, erklärt der Genealoge. "Dort findet man vielleicht den Namen von Eltern oder Geburtsdaten und damit Anhaltspunkte, an denen man weiter forschen kann.“ Anfangs nahm jede Gemeinde auch die standesamtlichen Aufgaben wahr, aber die Zentralisierung begann schon vor vielen Jahrzehnten. So ist beispielsweise das Standesamt Wittorf ein kleiner Bestand innerhalb der Registerbände des Standesamtes Visselhövede geworden. Die Geburten, Heiraten und Sterbefälle vor 1875 wurden in den Kirchenbüchern dokumentiert. (Nach 1875 bekamen die Kirchenbücher den Charakter von Amtshandlungsbüchern, die man wegen der nun sehr knappen Angaben als abgespeckte Version der Standesamtsregister bezeichnen könnte - wer nicht getauft oder kirchlich getraut wurde, erschien in diesen Büchern überhaupt nicht mehr.) Kirchenbücher wurden in jedem Kirchspiel geführt. Erhalten sind die von Ahausen ab 1698, von Brockel ab 1667, von Kirchwalsede ab 1682, von Rotenburg ab 1681, von Scheeßel ab 1655, von Sottrum ab 1654 und von Visselhövede ab 1795. Die älteren Kirchenbücher von Visselhövede sind dem Stadtbrand von 1794 zum Opfer gefallen. Für die Jahrgänge 1715 bis 1726, 1746, 1751 bis 1752, 1759 bis 1763 und 1765 bis 1852 mussten am Anfang des nachfolgenden Jahres Zweitschriften an die Regierung in Stade eingesandt werden und können im dortigen Staatsarchiv eingesehen werden. An gleicher Stelle befinden sich auch die verschiedensten Register über steuer- oder militärpflichtige Einwohner, nach Kirchspielen und innerhalb der Kirchspiele nach Orten geordnet. Älteste Liste für Visselhövede ist der unvollständige Land- und 16-Pfennig-Schatz von "um 1550“. Die Kirchenbuchzweitschriften des Zeitraums 1853 bis 1875 mussten an die Ämter abgegeben werden und befinden sich für die Region in Rotenburg, Stade oder Bremervörde. Hindernisse für Forschungsanfänger sind oft die knappen Öffnungszeiten der Kirchenbüros. Das Kopieren und Fotografieren von Kirchenbuchseiten ist aus konservatorischen Gründen eigentlich verboten. Darum hat Kranz auch ein komplettes Kirchenbuch von Hand abgeschrieben, um die Daten im Zugriff zu haben. Das größte Problem jedoch ist die bis 1942 übliche deutsche Schrift Sütterlin. Selbst Senioren sind oft nicht mehr in der Lage, das Geschriebene zu entziffern und das Gerücht, die Pastoren könnten das, entbehrt leider jeder Grundlage: Im Theologiestudium gibt es nur eine einzige Vorlesung darüber. Kranz: "Als Anfänger muss man sich einen Schriftkundigen suchen. Speziell zum Gebiet Visselhövede ist zu sagen, dass die archivalische Lage als gut zu bezeichnen ist. Die Überlieferungslücke 1727 bis 1758 (mit Ausnahme der Jahrgänge 1746, 1751 und 1752) ist durch das Einwohnerverzeichnis des Amts Rotenburg von 1740 teilweise zu überbrücken, leider sind in dieser Archivalie außer den Namen keine weiteren Angaben gemacht. Unsere Ahnen haben sich nicht immer an die Kirchspielgrenzen gehalten und so verlagert sich die Forschung oft auch auf die Nachbarkirchspiele Brockel, Neuenkirchen, Walsrode, Düshorn, Kirchboitzen, Kirchlinteln und Kirchwalsede, wo aber auch das zu Visselhövede Gesagte gilt.“ Nach etwa 25 Jahren Forschung, gebremst durch Berufstätigkeit und Familie, war Kranz bei allen Linien seiner Familie am Ende der Fahnenstange angekommen. "Und das, obwohl meine Leute aus der Eifel (bis 1440 zurück), der Wesermarsch (1570) und aus Ostholstein (1660) stammten.“ Seitdem ergaben sich nur ab und zu kleine Glückstreffer als Ergänzung zu den eigenen Ahnen: "Bei den Mormonen in Salt Lake City habe ich tatsächlich noch Unterlagen entdecken können, die mir fehlten.“ Von der persönlichen ging Kranz auf flächendeckende Forschung über. Durch Kopieren und Abschreiben erarbeitete er sich ein eigenes Archiv mit Schwerpunkt ehemaliges Amt Rotenburg, Kreis Verden, Kreis Osterholz, Kreis Stade Süd und Kreis Harburg und kaufte alle erreichbaren Ortschroniken. Daraus entwickelte sich eine Sammlung von 150 Trauregistern (1759 bis 1852) aus dem Elbe-Weser-Dreieck (ehemaliger Regierungsbezirk Stade). "Ich habe in 60 Jahren Ahnenforschung einen Bestand zusammenegtragen, der zwei Räume füllt“, erklärt der frühere Bahnbeamte. Zurzeit arbeitet Kranz am Ortsfamilienbuch für Wittorf mit Nebenorten (1550 bis 1875), das parallel zu der von Willi Bargfrede geschriebenen und fast fertigen Ortschronik im Frühjahr 2010 fertig wird. Dieses Werk wird es nur auf Wunsch in gedruckter Form geben, denn wer kauft schon 500 oder mehr Seiten Namen und Daten? Gedacht ist an eine preisgünstige CD oder DVD, dann kann jeder Interessent seine Familien gezielt heraussuchen und sich die Listen ausdrucken. Kranz ist glücklich mit seinem Hobby, das ihm inzwischen Hilfeersuche von vielen Seiten einbringt. Zwischenzeitlich war er 22 Jahre offizieller Forscher für das Kirchenkreisamt Harburg, wo er mit seiner Familie seit seinem Wegzug aus Bretel lebt. Der 70-Jährige ist für zwei Jahre ausgebucht und bezeichnet seine Leidenschaft als "Hobby der Erfolgserlebnisse“. Und was tut er, wenn er nicht nach Vorfahren forscht? "Essen oder schlafen“, sagt er spontan. Seine Frau hat sich längst mit dem Spleen ihres Mannes arrangiert. "Sie hat selbst gar kein Interesse daran“, verrät der Pensionär. Und für das abendliche Kartenspiel mit ihr muss er sich förmlich von seinen Akten losreißen.

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