Die Eichenschule wird 65 Jahre alt / Ihr Gründungsrektor hieß Robert Strunck (1903 – 1979) - Von Dr. Günther Dietel

Hans Dampf in allen pädagogischen Gassen

Robert Strunck gründete drei Schulen u2013 eine davon in Scheeßel
 ©Rotenburger Rundschau

2012 wird die Scheeßeler Eichenschule 65 Jahre alt. Vom Vorruhestand war bisher nie die Rede, sie wird auch mit dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze nicht in Rente gehen. Denn sie ist noch jung, rüstig und zukunftsoffen.

Aus elf Schülern im Gründungsjahr wurden rund 1.050; der einen Lehrkraft von einst stehen jetzt 88 gegenüber; dem ersten Bauabschnitt folgten 20 weitere, alle solide finanziert. Der Jahresetat betrug 1950 gerade einmal 9.000 Mark. Inzwischen wuchs er auf 6,18 Millionen Euro. Vor 65 Jahren planten Eltern, Einheimische und Flüchtlinge, ihren Kindern eine gymnasiale Ausbildung zu ermöglichen. Rund um Scheeßel gab es noch keine höheren Schulen, die nächsten Gymnasien befanden sich in Verden, Bremen, Stade sowie Hamburg und waren bei den damaligen Verkehrsverhältnissen nur schwer zu erreichen. Und sie fanden auf dem nahegelegenen Rittergut Veerse einen weltgewandten Oberstudiendirektor, der dort nach Krieg und Gefangenschaft bei seinen sechs Kindern und zwei Frauen untergekommen war: Robert Strunck. Zu Beginn der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts war er Lehrer an der deutschen Schule in Windhuk, der heutigen Haupstadt Namibias. Anschließend leitete Strunck die deutsche Schule im afghanischen Kabul. Verheiratet war er mit Silvia von Basewitz. Dieser fiel in Afghanistan wahrscheinlich die Decke auf den Kopf. Jedenfalls bat sie ihre Freundin Jutta Freiin von Braun – eine Kousine des bekannten Raketenkonstrukteurs Wernher von Braun (1912 – 1977) –, sich um ihren Mann und ihre drei Kinder zu kümmern. Von Braun tat es, heirate Strunck und bekam ebenfalls drei Kinder. Während des Zweiten Weltkrieges lebten sie alle in Ostpreußen, bis sie gemeinsam gen Westen flohen, nach Veerse. Während von Basewitz, von Beruf Lehrerin, einige Kinder aus Veerse, Bartelsdorf und Scheeßel unterrichtete, arbeitete Strunck erst als Knecht auf dem Gut und anschließend in der Gärtnerei Krüger am Kohlhofsweg. Ursula Müller-Scheeßel plante zu dieser Zeit, für ihre und die Kinder von Nachbarn und Bekannten eine Familienschule zu gründen. Und so fragte sie Strunck, ob es nicht besser wäre, statt Möhren zu verziehen, Kinder zu erziehen. Er war einverstanden, zu einem Gehalt, das dem eines Gärtnergehilfen entsprach (300 Reichsmark). Am 1. Mai 1947 begann im Kinderzimmer der Scheeßeler Mühle das pädagogische Abenteuer an der Wümme. Den Namen Eichenschule fanden die Kinder beim Blick aus dem Fenster: Dort steht noch heute eine knorrige Eiche. Die Genehmigung vom Rotenburger Schulrat vom 9. Juni 1947 für die "Familienschule“ schloss mit dem klaren Satz: "Eine weitere Ausdehnung ist nicht statthaft.“ Strunck unterrichtete seine Klasse in allen Fächern, von Mathematik über Englisch und Biologie bis zum Sport inklusive Schwimmen im Mühlenteich. 1949 kam eine zweite Klasse hinzu. Jetzt musste irgendeine Rechtsform für das Unternehmen gefunden werden. Die Scheeßeler Bauern, Handwerker und Kaufleute hatten Erfahrungen mit Genossenschaften. So entstand die Schulgenossenschaft Eichenschule, die einzige Genossenschaft in der Bundesrepublik, die seit mehr als 60 Jahren Trägerin eines Gymnasiums ist. Die Idee wurde tatkräftig unterstützt vom damaligen Sparkassendirektor Karl Born, der gleichzeitig Vater eines der Schüler war. Er lud interessierte Eltern für den 21. November 1948 zu einer Versammlung in den Saal von Thiemanns Hotel (heute Firma Baden) ein. Die Resonanz war groß, der Saal überfüllt. Strunck stellte seinen Plan vor und bot an, nach einer zehnminütigen Unterbrechung Fragen zu beantworten. Nach der kurzen Pause überreichte ihm Born eine Liste mit den Namen von 180 Versammlungsteilnehmern, die spontan bereit waren, Genossenschaftsanteile von jeweils 100 Mark zu übernehmen. Die Währungsreform, bei der jeder Bürger ein Kopfgeld von 40 Mark erhielt, lag genau fünf Monate zurück. Es war eine echte Bürgerinitiative von Leuten, die nicht nach dem Staat riefen, sondern für die Bildung ihrer Kinder selbst aktiv wurden. Und die Schülerzahl wuchs stetig. So mussten neue Unterrichtsräume geschaffen werden. Erst dachte man an den Kauf einer gebrauchten Baracke, entschied sich im April 1949 dann aber doch für einen Neubau. Der junge Architekt Heinrich Behrens übernahm die Planung und fuhr trotz Beinprothese mit dem Fahrrad zur Bezirksregierung nach Stade. Dort übergab er seine Entwürfe, mietete sich in einem Hotel ein und fragte jeden Tag nach, wie weit das Genehmigungsverfahren gediehen wäre. Bald sollte er das begehrte Papier in den Händen halten. Und dann ging es auch gleich los. Schüler leisteten beim Ausheben der Baugrube 3.000 Stunden freiwillige Mitarbeit; später kamen für die Planierung des Grundstücks und die Anlage eines Schulgartens nochmals 2.000 dazu. Nach nur neun Monaten, am 16. Januar 1950, konnte der erste Bauabschnitt in Betrieb genommen werden: vier Klassenräume, ein kleines Lehrerzimmer, unter dem Dach die Direktorenwohnung und im Keller der zentrale Kokskessel, der jeden Morgen um fünf Uhr angeheizt wurde – von Strunck persönlich. Da stand er nun, der "Schulturm“, rundherum nur freies Feld. Als ab 1950 deutsche Kaufleute und Ingenieure wieder ins Ausland gingen, suchten sie für ihre Kinder einen dauerhaften Schulstandort. So fragte ein bekannter Struncks, ob dieser zu seinen sechs Kindern nicht noch ein siebtes unterbringen könnte. Bald wohnten vier Auswärtige im Dachgeschoss der Schule. Das Internat war entstanden und wirkte wie ein Magnet. Bei den Bewohnern der Breslauer- und der Königsberger Straße wurden sogenannte Außenstellen angemietet und im Gutshaus Veerse, in einer ehemaligen Zählerfabrik in der Breslauer Straße sowie einem Wohnhaus in der Mühlenstraße wurden notdürftig Internatsunterkünfte eingerichtet. Doch die Zahl der Anfragen überstieg weiterhin das Angebot an Plätzen. Unter den Internatlern waren auch 13 Ausländer, fünf davon aus Persien. Interessant ist die Geschichte des damals zehnjährigen Mansur. Als der Junge kam, war die Verständigung mit ihm nur über ein paar Brocken Englisch möglich. Nach einem halben Jahr schon sprach er nicht nur perfekt hochdeutsch, sondern auch platt. Denn er verbrachte die Wochenenden auf dem Hof der Eltern eines Klassenkameraden, und dort war Plattdeutsch die Alltagssprache. Heute nennt man so etwas gelungene Integration. Verwaltet wurde das junge Internat vom Verein Landerziehungsheim Eichenhof, als dessen ehrenamtlicher Leiter Struck fungierte. 1957 wurde der Verein wieder aufgelöst. Aktiva und Passiva gingen auf die Schulgenossenschaft über. Am 5. Dezember 1957 wurde für die gesamte Schule die staatliche Anerkennung ausgesprochen. Sie erhielt damit Abiturberechtigung. Die Jahrgänge 1956 und 1957 mussten sich noch der Tortur einer Nichtschülerreifeprüfung unterziehen. Die übernahm eine externe Prüfungskommission vom Verdener Domgymnasium. Die Schüler wurden nicht nur schriftlich, sondern in allen Fächern auch mündlich geprüft. Entsprechend hoch war die Durchfallquote: 1956 bestanden nur neuen von 16 Kandidaten, ein Jahr später waren es 13 von 20. Das galt als respektables Ergebnis, deshalb erhielt die Eichenschule ein Jahr früher als üblich die volle staatliche Anerkennung. Alles war in trockenen Tüchern, alle Probleme schienen gelöst – da kündigte Strunck seinen Vertrag als Leiter der Eichenschule und des Landerziehungsheims zum Ende des Schuljahres 1957/58. Niemand kannte die wahren Gründe. Während einer stürmischen Hauptversammlung der Schulgenossenschaft am 15. Februar 1958, die vom Nachmittag bis kurz vor Mitternacht dauerte, trat der gesamte Vorstand zurück. Die neugewählten Mitglieder versuchten anschließend mit allen Mitteln, Strunck zum Bleiben zu bewegen. Vergeblich. Ein Grund könnte gewesen sein: Strunck war ein Hans Dampf in allen pädagogischen Gassen. Er war Oberstudiendirektor, Internatsleiter, Lehrer, Hausmann, Heizer, Gärtner. Er liebte die Improvisation. Vielleicht fürchtete er als Pionier den Alltagstrott einer "normalen“ Schule. Strunck ging nach Nordrhein-Westfalen und gründete die Internatsschule Schloss Buldern in Dülmen bei Münster. Schon zwei Jahre später, 1961, zog er weiter zur nächsten Neugründung: Internatsschule Schloss Hagerhof in Bad Honnef. Die leitete Strunck bis 1965. Alle drei von ihm gegründeten Schulen existieren noch heute. Strunck starb am 8. September 1979. _________________________________________ Autor Dr. Günther Dietel, Jahrgang 1925, war von 1954 bis 1974 Lehrer der Eichenschule und saß anschließend 20 Jahre lang im Vorstand der Schulgenossenschaft.

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