NDR berichtet von Bohrschlamm-Fund im Landkreis Rotenburg - Von Stephan Voigt

Giftige Hinterlassenschaften

Untersuchungen des Erdreichs nahe Stemmen haben hohe Werte von Mineralkohlenwasserstoffen ergeben Foto: Voigt
 ©Rotenburger Rundschau

Die Zahlen sind alarmierend: Laut eines Berichts des NDR-Magazins Markt befindet sich nahe Stemmen giftiger Bohrschlamm in der Natur. Der sogenannte Maßnahmenschwellenwert wurde um mehr als das Zehnfache überschritten.

Bei der Öl- und Erdgasförderung gelangt immer auch kontaminierter Schlamm an die Erdoberfläche, der heute fachgerecht entsorgt wird. Früher aber wurde der Schlamm direkt neben den Bohrlöchern in Gruben geschüttet. Redakteure des NDR-Magazins Markt haben an verschiedenen Stellen, wo vor Jahrzehnten Bohrschlamm abgeladen wurde, Proben genommen. Der traurige Spitzenreiter, was die Kontamination angeht, ist Stemmen. Nördlich der kleinen Gemeinde, nahe des Tister Bauernmoores, wurden 53.000 Milligramm Mineralkohlenwasserstoffe je Kilogramm Erdreich gemessen. Laut NDR liegt der Schwellenwert, ab dem Maßnahmen gegen die giftigen Stoffe unternommen werden müssen, bei 5.000 Milligramm je Kilo Erdboden. In dem Fernsehbeitrag, der in dieser Woche gezeigt wurde, hieß es, dass es nördlich von Stemmen wie bei einer Tankstelle riecht, wenn dort nur etwas Erdboden entfernt wird. Außerdem hieß es, dass Satellitenaufnahmen der betreffenden Stellen zeigen, dass gerade dort keine Bäume wachsen. Christine Huchzermeier, die Sprecherin des Landkreises Rotenburg, der für die ehemalige Bohrschlammgrube verantwortlich ist, bestätigt auf Rundschau-Nachfrage den NDR-Bericht, laut dem Mitarbeiter der Kreisverwaltung noch im September den betreffenden Bereich nahe Stemmen kontrolliert und dabei keine Auffälligkeiten festgestellt hätten. In einer schriftlichen Mitteilung des Landkreises zu den NDR-Erkenntnissen heißt es zudem: „Dem Landkreis liegen die Ergebnisse der Untersuchungen noch nicht vollständig vor. Der jetzt vom NDR untersuchte genaue Standort war dem Landkreis bislang nicht als Bohrschlammgrube bekannt.“ Scheeßels Bürgermeisterin Käthe Dittmer-Scheele bestätigt, dass diese Grube bislang unbekannt gewesen sei. „Wenn wir aber konkrete Hinweise aus der Bevölkerung bekommen, dann geben wir die natürlich an den Landkreis weiter. Der nimmt die Angelegenheit sehr ernst und beschafft sich gerade die Unterlagen des NDR.“ Dittmer-Scheele erklärt zudem, dass nun in Erfahrung gebracht werden müsse, inwieweit ihre Gemeinde von ehemaligen Ölförderstellen und Bohrschlammgruben betroffen ist: „Der Bericht hat mich hellhörig gemacht. Wir müssen das nun offensiv angehen.“ Besorgte Bürger hätten sich bislang zwar nicht an sie gewandt, so Dittmer-Scheele weiter, aber auch in Bezug auf die geplante Ölförderung von PRD Energy in Sothel werde nun noch genauer hingeschaut – von Bürgern und dem Gemeinderat. Die zuständigen Landkreise sind erst dann für die Aufsicht über die Bohrschlammgruben zuständig, wenn Gutachter feststellen, dass durch sie keine Gefahr mehr ausgeht. Vorher ist das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) zuständig. Und das teilt auf Rundschau-Nachfrage mit, dass es aktuell noch 29 stillgelegte Bohrschlammgruben in Niedersachsen betreue. „Die unter Bergaufsicht stehenden Gruben unterliegen einer regelmäßigen Überwachung durch das LBEG sowie einem begleitenden Grundwasser- und Umweltmonitoring durch die zuständigen Behörden. Die nicht mehr unter Bergaufsicht stehenden Gruben werden durch den jeweils zuständigen Landkreis betreut“, schreibt das LBEG und fügt an, dass es aufgrund des NDR-Berichts bislang keine weiteren Maßnahmen eingeleitet hat, weil ihm die Untersuchungsergebnisse nicht vorliegen. Gerade in Stemmen müssen allerdings Maßnahmen getroffen werden. Das sagt laut NDR Professor Wolfgang Calmano vom Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft an der Technischen Universität Hamburg-Harburg: „Man hätte in diesem Fall die Bohrschlämme auskoffern und fachgerecht entsorgen müssen. Das Mindeste, was man heute tun müsste, wäre, an diesem Ort Grundwasseruntersuchungen durchzuführen. Es ist schon sehr verwunderlich, dass nach 50 Jahren noch Öl in solch hohen Konzentrationen im Boden zu finden ist.“ Rechtsnachfolger der Firma, die vor Jahrzehnten den Bohrschlamm in derartigen Gruben abgeladen hat, ist Exxon Mobil. Unternehmenssprecher Klaus Torp erklärt gegenüber der Rundschau, Exxon werde im Falle eines Sanierungsbedarfs für entsprechende Kosten aufkommen und Maßnahmen veranlassen: „Ziel ist dabei die komplette Rekultivierung und Herstellung des ursprünglichen Zustandes, der eine Nutzung als Grünland beziehungsweise Brachland ermöglicht.“ ______________________________________ Kommentar von Stephan Voigt Der Super-Gau Natürlich: Der Fund von belastetem Boden nahe Stemmen und an anderen Stellen im Landkreis Rotenburg hat nichts mit der umstrittenen Fracking-Technologie zu tun. Dennoch sind die Erkenntnisse des NDR der kommunikationspolitische Super-Gau für Exxon Mobil. Das Unternehmen ist Rechtsnachfolger der Firma, die vor Jahrzehnten den Bohrschlamm in die Umwelt gekippt hat und wird nun in der Öffentlichkeit entsprechend mit den damaligen Vorkommnissen und den heutigen Verunreinigungen des Bodens in Verbindung gebracht. Damit aber nicht genug. Die NDR-Untersuchung zeigt auch, dass die Gefahren der Erdöl- und Erdgasförderung auch nach vielen Jahren noch akut sein können. Mehr noch: Die Journalisten haben aufgedeckt, dass Gefahren auch dort lauern, wo sie bislang niemand vermutet hatte – in Bohrschlammgruben nämlich, die bislang unbekannt waren. So ist der Fernsehbericht Wasser auf die Mühlen der Fracking-Gegner und ebenso auf die der Umweltverbände, die jüngst zum Widerstand gegen die seismologische Untersuchung von PRD Energy aufgerufen haben. Auch dieser Konzern wird es jetzt deutlich schwerer haben, an Betretungsrechte für Privatgrundstücke zu kommen, um dort Vorarbeiten für eine eventuelle Erdölförderung im Landkreis zu tätigen. Wichtig festzuhalten ist, dass die Entsorgung von Bohrschlamm heute anders aussieht als vor Jahrzehnten. Dennoch ist eine etwaige Verunsicherung der Bevölkerung, die nicht weiß, ob sie auf giftigen Substanzen weit jenseits von festgelegten Grenzwerten wohnt, absolut nachvollziehbar. Der Landkreis ist nun als zuständige Behörde gefragt, schnellstmöglich und umfangreich zu ermitteln, wo sich eventuell weitere Bohrschlammgruben befinden und welche Gefahren von ihnen ausgehen.

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