IPPNW-Gruppe lud zur Podiumsdiskussion zum Thema Atommüll - Von Wibke Woyke

„Wachsam bleiben“

Auf dem Podium (von links): Dr. Hans-Peter Ludewig (Grüne), Jochen Stay (Ausgestrahlt), Reinhard Grindel (CDU), Moderator Matthias Richter, Lars Klingbeil (SPD) und Kerstin Rudek (Linke) Foto: Woyke
 ©Rotenburger Rundschau

Wohin mit dem Atommüll? Gibt es überhaupt ein geeignetes Endlager oder ist dieser Gedanke absurd? Nach mehr als 35 Jahren Konzentration auf Gorleben soll nach einem Standort in Zukunft deutschlandweit gesucht werden. Der Bundesrat machte jüngst den Weg frei für ein Standortauswahlgesetz, mit dem Alternativen geprüft werden. Rotenburger Ärztinnen und Ärzte der lokalen IPPNW-Gruppe hatten zur Podiumsdiskussion geladen, um Politikern auf den Zahn zu fühlen.

Die Ärztegruppe ist Teil der weltweiten IPPNW (International Physicians for Prevention of Nuclear War), die sich seit mehr als 30 Jahren gegen militärische und zivile Nutzung der Atomenergie engagiert. Die Veranstalter wollten mit der Diskussionsrunde einen Beitrag zur Energiewende leisten. Die Moderation übernahm Pastor Matthias Richter. Diskutierende: Reinhard Grindel (CDU), Lars Klingbeil (SPD), Dr. Hans-Peter Ludewig (Bündnis 90/Die Grünen), Kerstin Rudek (Die Linke) sowie Jochen Stay vom Anti-Atomnetzwerk Ausgestrahlt. Von der FDP war ein Vertreter angefragt, jedoch nahm keiner teil. Grindel markierte mit einem Impuls-Vortrag den Auftakt. Er skizzierte die Grundlagen des Standortauswahlgesetzes, das CDU, SPD, Grüne und FDP gemeinsam auf den Weg gebracht haben – die Linke ausdrücklich nicht. Das Auswahlverfahren wird durch eine Kommission vorbereitet. Die Mitglieder kommen aus der Wissenschaft, gesellschaftlichen Gruppen sowie dem Bundestag und -rat. Die Kommission soll bis Ende 2015 Vorschläge erarbeiten, etwa zu Sicherheitsanforderungen sowie zu geologischen Ausschluss- und Auswahlkriterien. Die Entscheidung über wesentliche Schritte des Auswahlverfahrens trifft der Bundestag per Gesetz. Dazu gehören insbesondere die Beschlüsse über Standorte für über- und untertägige Erkundungen sowie am Ende des Verfahrens die Entscheidung über den Standort, an dem die Errichtung eines Endlagers beantragt wird. Die sichere Endlagerung muss für eine Million Jahre gewährleistet sein. „So ein Schwachsinn“, kommentierte Ludewig diesen Zeitraum. Er erinnerte an den Sarkophag, der Tschernobyl sicher umgeben sollte - für wesentlich weniger Jahre - und wie schnell sich dort Schäden einstellten. „Wir reden hier von Menschenwerk“, so Ludewig – und das auf eine Million Jahre zu sichern, daran glaubt der Grüne nicht. Grindel sieht’s anders und ist überzeugt: Auch wenn sich eine Million Jahre viel anhört, der Wissenschaft sei es möglich, so weit in die Zukunft zu rechnen. Eine Aussage, die im Publikum Raunen auslöste. Immerhin stellte der CDU-Mann klar: Die Generation, die die Atomkraft ausgiebig nutzte, muss sich nun darum kümmern, den Müll sicher zu lagern. „Dieses Problem dürfen wir der nachfolgenden Generation nicht vor die Füße werfen“, betonte er. Und den Müll im Ausland verklappen – das komme moralisch nicht in Frage. Also gelte es, für genannte eine Million Jahre einen Standort zu finden. Das Ganze, wie Grindel und Klingbeil betonen, unter Beteiligung der Bürger. Eben jenen Aspekt sieht Jochen Stay von Ausgestrahlt überaus skeptisch. Zum einen glaubt er nicht daran, dass es für das Verfahren einen gesellschaftlichen Konsens gibt. Bürgerbeteiligung heiße in diesem Fall, dass es zwar Infos gebe und auch Stellung bezogen werden dürfe, aber echtes Mitspracherecht der Bürger und Verbände, das gebe es nicht. Grindel widerspricht, lobt das Verfahren: „So viel Bürgerbeteiligung gab es noch nie!“ Zwischenruf aus dem Plenum: „Das ist allenfalls Transparenz, aber keine Bürgerbeteiligung!“ Was die Kommission angeht, so Rudek, deute sich an den Vorschlägen an, dass die eher pro Atomkraft besetzt werde. Wo sollten da kritische Laute herkommen? Und Stay glaubt nicht, dass die Mehrheit der Bürger Vertrauen in das Verfahren und die Politik hat, wenn es ums Thema Atommüll und Endlagersuche geht. „Die Politik ist am schlechtesten geeignet, diese Probleme zu lösen. Das hat sie mit dem Gesetz erneut bewiesen.“ Und das Beispiel Asse zeige das ebenso. Stattdessen wäre man gut beraten, so Stay, echte Fachleute an Bord zu holen. Doch auch die haben anscheinend kein Vertrauen in das Verfahren: Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Robin Wood und Greenpeace haben bereits erklärt, nicht in die Kommission zu wollen. „Das Vorgehen der Bundesregierung widerspricht unserem Verständnis einer ernst gemeinten ergebnisoffenen und transparenten Suche nach einem Endlager“, hatte dazu BUND-Geschäftsführer Olaf Bandt bekundet. Ergebnisoffen – so soll’s sein, betont Grindel. Aber wieso ist Gorleben noch im Topf? „Weil die Erkundung des Salzstocks nicht zu Ende ist. Es gibt kein K.O.-Kriterium, das Gorleben ausschließt“, sagt der CDU-Mann. Und auch gesellschaftliche Gründe hätten gegen die Herausnahme gesprochen. Sonst würde es überall Proteste geben, wo immer ein Standort in Frage komme – und dann würde nie ein Endlager eingerichtet. Stay sieht es anders. Gorleben sei nicht im Topf geblieben, weil es vielleicht gut geeignet sei, sondern nur deshalb, weil sonst die anderen Bundesländer auf die Barrikaden gegangen wären. Kerstin Rudek sieht keine Chance, das Gesetz gesellschaftspolitisch zu verankern. Es sei bereits jetzt gescheitert. Das unterstützt Stay. Die Betroffenen würden in dem Verfahren nicht mitgenommen. Daher seine düstere These: „In 15 Jahren gibt’s wieder einen Neustart zur Endlagersuche, weil das Ganze gegen die Wand fährt.“ Die Grünen haben das Gesetz mit abgesegnet. Begeisterung darüber kam bei Ludewig nicht auf. „Für viele Grünen ist damit die Schmerzgrenze erreicht oder sogar überschritten.“ So mancher habe eigene Überzeugungen zugunsten eines Neustarts in der Suche zurückgestellt. Er sieht viele offene Fragen und großes Konfliktpotenzial und hofft trotzdem darauf, dass Transparenz in dem Verfahren herrschen und der Bürger mitgenommen wird. Bitter, denn bisher sei nicht ein Gramm Atommüll sicher entsorgt, sagt Stay. „Wir haben ein Flugzeug, aber keine Landebahn. Wir müssten nun zumindest irgendwo eine Schotterpiste herbekommen.“ Heißt: Ein gutes Endlager gebe es nicht, sondern nur das am wenigsten schlechte. Und das weiter AKWs laufen und weiter Müll produziert wird, versteht Stay ebenfalls nicht: „Wenn bei mir die Badewanne überläuft, diskutiere ich doch nicht, ob ich erst Schrubber oder Feudel hole, sondern ich drehe den Hahn ab.“ Grindel und Klingbeil appellierten, dem Verfahren eine Chance zu geben. Wenngleich Klingbeil die Skepsis der Bürger versteht. Er ermunterte alle, wachsam zu bleiben. Rudek befürchtet Augenwischerei und doch eine Vorfestlegung auf Gorleben. Sie rief die Bürger auf, Informationen und Teilhabe täglich bei der Politik einzufordern: „Von allein wird sich die nämlich nicht bewegen.“

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