Dr. Christine Preißmann referierte in Rotenburg

Leben mit dem Asperger-Syndrom

Die Darmstädter Ärztin Dr. Christine Preißmann referierte über das Asperger-Syndrom
 ©Rotenburger Rundschau

(r). Leben mit dem Asperger-Syndrom: Mehr als 0,7 Prozent der Bevölkerung sind laut Statistik von der Behinderung betroffen und müssen in einer ihnen oft fremd und ablehnend erscheinenden Gemeinschaft leben – oft ohne dass überhaupt erkannt wird, woran sie leiden und wie ihnen geholfen werden könnte.

Die Darmstädter Ärztin Dr. Christine Preißmann erhielt ihre Diagnose im Alter von 27 Jahren. In ihrem Vortrag im Rotenburger Haus für Kinder erläuterte sie die besonderen Probleme in Wahrnehmung und Verhalten, mit denen Betroffene der speziellen Ausprägung des Autismus zu kämpfen haben sowie deren Wünsche und Forderungen. Das Asperger-Syndrom ist schwer zu diagnostizieren, weil sich besonders hoch ausgeprägte kognitive Fähigkeiten mit starken Wahrnehmungsproblemen, Verhaltensauffälligkeiten und Ängsten verbinden. Betroffene können "zu viel und zu wenig gleichzeitig“, brachte Preißmann das Problem auf den Punkt. In der Schule führe das auffällige Verhalten solcher Kinder oft zu Ablehnung der Klassenkameraden und zu Strafen und Tadeln von Seiten der Lehrer. Menschen mit Asperger-Syndrom können weder die eigenen Gedanken und Gefühle einordnen, noch Absichten, Wünsche und Vorstellungen ihrer Mitmenschen richtig verstehen. Sie können sich nicht durch Mimik und Stimmführung ausdrücken und auch die Stimmbotschaft, Mimik und Gestik ihres Gegenübers nicht entschlüsseln. Ironische Formulierungen oder Sprichwörter verstehen sie ganz wörtlich und reagieren dann für ihre Umwelt völlig unverständlich. Ihr für sie ganz folgerichtiges Verhalten wird als unhöflich oder provozierend erlebt. Sie wissen viele Dinge nicht, die zum Allgemeinwissen oder zum überlieferten Verhaltenskodex zählen, und können sie nicht in ihr Handeln einbeziehen. Sie gelten für ihre Mitmenschen oft als desinteressiert, faul, ungefällig. Ein besonders großes Problem, so die Referentin, seien Reizüberflutungen, unkontrollierbare Situationen und Abweichungen von Regeln und Gewohnheiten. Sie könnten starke Unsicherheit bis hin zu Panikattacken auslösen. Deshalb seien Schulpausen, Klassenfahrten und Sportfeste – kurz: alles, was andere Kinder lieben – für Mädchen und Jungen mit Asperger-Syndrom ein einziges undurchschaubares und Angst erregendes Chaos. Preißmann zeigte leicht durchführbare Wege zur Unterstützung solcher Kinder in der Schule auf. Dazu zähle die Verlässlichkeit von Regeln und Strukturen, stets eindeutige verbale Formulierungen, das Recht, in Pausen zum Beispiel in der Bibliothek zu bleiben, die Freistellung vom Schulsport, falls eine häufig beobachtbares psychomotorisches Defizit oder starke Ängste vorliegen, eine intensive Förderung der besonderen, oft herausragenden Fähigkeiten und speziellen Interessen – und vor allem die umfassende Aufklärung des sozialen Umfelds, um weitere traumatisierende Ausgrenzung zu verhindern. Auch Erwachsene mit Asperger-Syndrom bedürften, wie Preißmann mit großer Offenheit am eigenen Beispiel erläuterte, beständige einfühlsame Unterstützung. Um den Bedarf nachzuweisen, habe sie selbst eine Erhebung unter betroffenen jungen Erwachsenen durchgeführt. Hilfe bei der Kontaktaufnahme zu möglichen Arbeitgebern stehe ganz oben auf der Liste, denn wenn auch kognitive berufliche Kompetenzen geradezu ideal entwickelt seien, hapere es an dieser Nahtstelle der sozialen Kompetenz. Zudem seien Wohnmöglichkeiten notwendig, die selbstbestimmt und dennoch geschützt seien und Räume für Kommunikation und einen verlässlichen Ansprechpartner für regelmäßige sowie unvorhersehbare Probleme bereitstellen. Auch in der Freizeit sei Anleitung und Begleitung nötig – jeder Schritt in die Öffentlichkeit könne für viele Betroffene zum unüberwindbaren Hindernis werden, so dass Vereinsamung drohe. Menschen mit Asperger besäßen kaum oder keine sozialen Beziehungen außerhalb der Familie und seien trotz großer Sehnsucht nach Bindungen nur schwer in der Lage, andere Menschen adäquat anzusprechen oder überhaupt Kriterien für die Auswahl von Freunden und Partnern zu finden. Preißmann, die selbst noch bei ihren Eltern lebt und ihrer Unterstützung bis heute bedarf, schilderte die speziellen Probleme in Alltag und Berufsleben so anschaulich, warmherzig und humorvoll, dass das Publikum - zwischen Gelächter und Mitgefühl hin- und hergerissen - in eine ganz eigene Lebenswelt blicken konnte. Den anwesenden Eltern von Kindern mit diesem Syndrom konnte sie wertvolle Tipps geben. Deutlich wurde in der Veranstaltung, dass es bis heute an umfassendem Wissen, einem professionellen ärztlichen Umgang und gut erreichbaren Hilfsangeboten für Familien mit Asperger-Kindern mangelt.

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