Nano-Truck bot Einblick in die faszinierende Welt kleinster Materialstrukturen - Von Andr' Ricci

Goldrauschstimmung im Zwergenland

Dr. Marco Kollecker führt Schülern der 9E der Eichenschule den Lotuseffekt vor Foto: Ricci
 ©Rotenburger Rundschau

37 Tonnen wiegt der Truck, der in Scheeßel vorfuhr, um Schülern und interessierten Bürgern einen Blick ins Zwergenland zu ermöglichen. Die Ausstattung des wuchtigen Fahrzeugs reicht von Hightech-Geräten bis hin zu Turnschuhen und Tomatenketchup. In nahezu allen Bereichen unseres Lebens, so die Botschaft, werde Nanotechnologie künftig eine immer größere Rolle spielen.

Nano was? So richtig eingedrungen ins kollektive Bewusstsein ist der junge Forschungszweig, der sich mit so unterschiedlichen Fragen beschäftigt wie der schnelleren Aushärtung von Beton und dem gezielteren Wirkstofftransport in der Humanmedizin, noch nicht. "Bei Gentechnik haben die Leute vielleicht einen Maiskolben vor Augen“, sagt Alexander Heusel. "Bei der Nano-Technik fehlt ein solches Bild noch.“ Der Diplom-Physiker ist einer von drei Wissenschaftlern, die den Nano-Truck auf seiner Info-Tour quer durch die Republik begleiten. Schon am Abend vor der Ankunft des Forschungsmobils im Beeke-Ort hielt Heusel im Oberstufenraum der Eichenschule einen öffentlichen Vortrag zum Thema – der indes nur auf geringe Resonanz stieß. Gerade dieses verbreitete Desinteresse, das Fehlen eines Bildes zur Nanotechnologie, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits 2004 dazu bewogen, eine große Aufklärungskampagne ins Leben zu rufen. Schließlich handele es sich bei der Nano-Technik um "einen wichtigen Schrittmacher für Erneuerung, Wachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit“, wie Ressortchefin Professorin Annette Schavan in ihrem offiziellen Grußwort an den Info-Truck betont. Dieser wurde 2007 nochmals wesentlich vergrößert und kurvt seitdem zweistöckig durchs Land. Der Tourenplan ist gut bestückt und online abrufbar (www.nanotruck.de). "Ich freue mich, dass es der Eichenschule gelungen ist, das begehrte Fahrzeug nach Scheeßel zu holen“, sagte Bürgermeisterin Käthe Dittmer-Scheele zur Ausstellungseröffnung und gratulierte dem Gymnasium zu diesem Erfolg. Für angehende Abiturienten bietet die Nano-Technologie weit mehr als nur die Aussicht, als Konsumenten in Zukunft von innovativen Produkten wie schweißresistenten T-Shirts und selbstreinigenden Toiletten zu profitieren. Je mehr Anwendungsbereiche erschlossen werden, destso mehr qualifizierte Jobs entstehen. "Ich vergleiche das gerne mit dem Goldrausch im 19. Jahrhundert“, sagt Heusel. "Alle Branchen versuchen inzwischen, Probleme mithilfe von Nanopartikeln in den Griff zu bekommen.“ Dabei ist es eigentlich ein alter Hut, dass sich Menschen die erstaunlichen Eigenschaften winzigster Materialstrukturen (ein Nanometer bezeichnet die Fläche eines Millionstel Millimeters) zunutze machen. "Schon die Maya und die Römer verwendeten Nano-Technologie“, sagt Heusel. "Sie wussten es nur nicht“. Erst die Erfindung des Elektronenmikroskops, für die der deutsche Forscher Ernst Ruska 1986, zwei Jahre vor seinem Tod, noch den Physik-Nobelpreis zugesprochen bekam, machte es möglich, einen Blick in die Nanowelt zu werfen und gezielt auf sie einzuwirken. Später kam das Rastertunnelmikroskop hinzu. Dieses Gerät, das die Betrachtung von Oberflächen bis aufs Atom genau ermöglicht und rein äußerlich so gar nicht mehr einem klassischen Mikroskop ähnelt, gehört zweifellos zu den aufregendsten Exponaten des Nano-Trucks. Klassenführungen durch die mobile Technikschau leitete in Scheeßel Dr. Marco Kollecker. Der Wissenschaftler begleitet den Nano-Truck bereits seit rund zwei Jahren und hatte an der Beeke quasi ein Heimspiel: Er wuchs im Nachbarort Sittensen auf und absolvierte sein Abitur in Zeven. Für seine Arbeit benötigt er neben Fachwissen auch ein gewisses pädagogisches Geschick. Wie bringt man Neuntklässlern oder noch jüngeren Menschen so etwas Abstraktes wie die die Quantenmechanik, die Physik der kleinsten Teile näher? Eine Lasershow und ganz viel zum Anfassen und Anschauen ist ihm bei diesem Kunststück behilflich. Und Phänomene wie die Selbstorganisation von Materie in der Nano-Welt ziehen auch diejenigen in ihren Bann, die sie nicht bis ins letzte Detail verstehen. "Es ist so, als würde sich der Kölner Dom ganz von selbst errichten“, beschreibt Kollecker den Schülern bildhaft, was gemeint ist: Die durch Anziehungskräfte bewirkte eigenständige Veränderung von Kleinstmaterie, die wie von Geisterhand angetrieben neue Strukturen bildet. "Dabei verändern die Meterialien auf teilweise sehr skurrile Art ihre Eigenschaften“, sagt Heusel. Es sei in etwa so, als ob nach dem Zertrennen eines schwarzen Schnürsenkels plötzlich zwei Stücke in unterschiedlichen Farben übrig blieben. "Wenn mir das im Alltag passierte, würde ich an meinem Geisteszustand zweifeln“, so Heusel. Im Nano-Kosmos seien solche Effekte dagegen völlig normal. Der Nano-Truck ist auch mit einem Labor ausgestattet, das kleine Experimente erlaubt. Zum Beispiel mit Tomatenketchup. "Gibt’s Pommes?“ fragt ein Schüler, als das überraschende Utensil auftaucht. Doch ein Nano-Truck ist kein Imbisswagen. Kollecker nutzte den Ketchup nicht zum Würzen, sondern um den Jugendlichen den Lotuseffekt vorzuführen. Von einem Lotusblatt ließ er die rote Tunke auf eine Serviette tropfen und demonstrierte, dass das Ketchup ohne die üblichen Rückstände abtropfte. "In den 70er Jahren hat man angefangen sich wissenschaftlich mit der Frage zu beschäftigen, wie dieses Phänomen zustande kommt“, so Kollecker. Inzwischen wisse man es, verantwortlich sei die nanoskopische Architektur der Pflanzenoberfläche. Von ihr wollen die Forscher jetzt lernen, um zum Beispiel selbstreinigende Bäder und rückständeabweisende Lebensmittelverpackungen herzustellen. Letztere könnten den Ressourcenverbrauch beim Recyclen erheblich verringern, weil entsorgte Marmeladen- oder eben auch Ketchup-Behälter vor ihrer Weiterverarbeitung nicht mehr mit Wasser gereinigt werden müssten. Keine Technik ohne Risiko, auch das wird im Nano-Truck gelehrt. "Es geht nicht darum, alles nur positiv darzustellen“, sagt Heusel. Man wolle aus Fehlern etwa aus der Gentechnik und der Atomkraft lernen, wo Gefahren zu oft kleingeredet wurden. Es solle von Anfang an ein Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Gang kommen, auch zu kritischen Fragen wie der, was das Eindringen von Nanopartikeln in menschliche Körper so alles verursachen kann. Hier stehe die Forschung noch ziemlich am Anfang, es gebe etwa noch keinerlei Kennzeichnungspflicht für nano-behandelte Produkte. Für junge naturwissenschaftlich begeisterte Menschen kann selbst das eine gute Nachricht sein: Auch im Bereich der Risikoforschung dürfte die Fortentwicklung der Nano-Technologie noch so manchen qualifizierten Arbeitsplatz generieren.

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