Andreas Goehrt feiert Premiere des Stückes "Der letzte Flug“ - Von Thomas Hartmann

Der Elefant in seinem Bauch

Andreas Goehrt bringt mit einer beeindruckenden schauspielerischen Leistung das Leben von Antoine de Saint-Exupéry auf die Bühne Foto: Hartmann
 ©Rotenburger Rundschau

Andreas Goehrt sitzt im Sessel auf der Bühne und liest, während er ein Pfeifchen schmaucht. Um ihn herum: Bücher, ein Telefon, eine Flasche Wein, ein Glas und ein Plattenspieler sowie verschiedene kleine Flugzeugmodelle. Das ist alles, was der Metronom-Schauspieler braucht, um das Leben von Antoine de Saint-Exup'ry auf die Bühne zu bringen und die große Last des deutschen Piloten, der den französischen Schriftsteller und Flugpionier abgeschossen hat. Ein 90-minütiger Monolog, der alles andere als monoton ist, zog die begeisterten Zuschauer in den Bann.

Das Telefon klingelt: "Ein Interview?“ Nein, ein Interview möchte Horst nicht geben. Er weiß schließlich, worauf das hinausläuft: Schuldzuweisungen, bohrende Fragen, eigene Zweifel, Erinnerungen, die schmerzen, auch noch 60 Jahre nach dem Abschuss. Er legt auf und gibt das Interview stattdessen sich selbst – und damit dem Publikum. Was wäre, wenn? Diese Frage steht im Mittelpunkt seiner Überlegungen. "Wir wären gute Freunde geworden. Wir waren gute Piloten.“ Und so bekommt vieles einen doppelten Sinn: "Ich habe meinen Freund getroffen“, sagt Horst, als er von de Saint-Exup'ry spricht. Aber wo fängt die Geschichte eigentlich an? Das Jackett ordentlich zugeknöpft, die Füße in den blankpolierten Schuhen parallel zueinander, erzählt er die Geschichte der Fliegerei, um schnell auf die Begegnung des jungen de Saint-Exup'ry mit einem Mechaniker zu kommen. Der Junge stellt endlos viele Fragen, bis er mit dem Mann mitfliegen darf. "Hätte er doch auf seine Mutter gehört“, schimpft Horst. Dann wäre wohl alles ganz anders gekommen. Dann hätte er nicht diesen Großen der Fliegerei vom Himmel geholt, weil der möglicherweise gar kein Großer der Fliegerei geworden wäre. Doch nun war er infiziert und sollte den Virus nie wieder loswerden. Auch dann nicht, als es ihn immer wieder bei Unfällen fast erwischt. "Der Tod ist ihm aus dem Weg gegangen – bis zuletzt“, hadert Horst mit seinem eigenen Schicksal, das ihn vor 60 Jahren an das von de Saint-Exup'ry kettete. Der Franzose kann die Fliegerei nicht einmal für seine große Liebe an den Nagel hängen. "Wäre er bei Louise geblieben, wären wir uns nie begegnet“, schimpft Horst. Immer wieder war de Saint-Exup'ry verschwunden – viele glaubten, er sei tot. Wäre er in der Wüste geblieben, als seine Maschine dort abstürzte, hätte auch Horst ihn als Held feiern können. Aber so? Der Krieg führte beide in den gleichen Luftraum. "Dabei hätte er doch in New York bleiben können“, findet Horst. "Und überhaupt: Marseille lag gar nicht auf seiner Route!“ Ob er ihn abgeschossen hätte, wenn Horst gewusst hätte, wer dort in der Maschine vor ihm gesessen hat? "Warum ich?“, fragt er. "28 Abschüsse hatte ich für mich verbucht. Das war mein Job. Und 27 Mal hatte ich das Glück, nicht zu wissen, wer in der Maschine saß.“ So war es auch beim 28. Mal – bis das Armband von de Saint-Exup'ry gefunden wurde. "Da wurde ich zum Judas der Fliegerei. Er ist der Elefant in meinem Bauch.“ Dieser Elefant im Bauch ist ein beliebtes Bild von de Saint-Exup'ry gewesen. Zeigte er jemandem die Zeichnung, die einen Hut darstellt und ihm sagte jemand, das sei ein Hut, dann fand er es kaum noch wert, mit diesem Gegenüber zu sprechen. "Das ist eine Schlange, die einen Elefanten gefressen hat“, entgegnete er. Goehrt gelingt es unter der Regie von Alvaro Solar genial, die Geschichte des Erschaffers des kleinen Prinzen zu erzählen. Und zwar durch die Brille dessen, der schon früh von den Büchern des Flugpioniers begeistert war – vielleicht nur durch ihn zur Fliegerei gekommen ist -, ihm selbst einmal begegnete und am Ende für seinen Tod verantwortlich war. Aber war er das wirklich? Wer lädt im Krieg Schuld auf sich? Ist der Krieg an sich nicht Schuld gewesen? Horst hadert mit seinem Schicksal, mag nicht die Verantwortung übernehmen – gab es doch zu viele Möglichkeiten, die diese letzte Begegnung der beiden Männer am Himmel hätten vermeiden können. Dem Publikum mutet Goehrt eine Menge zu: 90 Minuten Monolog – ohne viel Aktion auf der Bühne. Aber es sind die kleinen Dinge, die den Zuschauer an die Geschichte fesseln: die Musik vom alten Plattenspieler, die Stimmungen, die durch Lichteffekte erzeugt werden, wenn aus dem Wohnzimmer auf der Bühne die Wüste wird, die Schattenspiele, die Goehrt mit einer kleinen Lampe auf die weiße Leinwand im Hintergrund zaubert, die Verwandlung, die in ihm vorgeht, wenn er das Jackett auszieht, um eine Szene aus dem Leben de Saint-Exup'rys zu spielen. Horst ist hin- und hergerissen zwischen den eigenen Vorwürfen und Zweifeln und der Überzeugung, dass er doch nichts falsch gemacht habe. "Ich war doch ein guter Pilot.“ Er redet sich alles von der Seele in diesem Interview mit sich selbst. Bis er nach eineinhalb Stunden mit dem Verlesen einer kurzen Erklärung und den Worten schließt: "Mehr habe ich nicht zu sagen...“

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