Rotenburg – 54 Neuaufnahmen verzeichnet die Rotenburger Ausgabestelle der Tafel. Bei rund 500 registrierten Kunden bedeutet das einen Zuwachs von etwas mehr als zehn Prozent – könnte man meinen. Für die Rotenburger Hilfseinrichtung ist es allerdings eher eine kleine Pause vom Aufnahmestopp, ermöglicht durch Bereinigung von Karteileichen: Weggezogene oder Menschen, die aus anderen Gründen nicht mehr kommen.
„Eigentlich wollten wir erst mal so um die 20 Neukunden aufnehmen“, blickt Petra Keitel zurück. Seit genau einem Jahr ist sie heute Leiterin der Ausgabestelle und ist sicher: Der Bedarf ist ungebrochen. Das spürt der Verein zuletzt, als die Nachricht nach möglichen Neuaufnahmen die Runde macht und an einem Tag plötzlich mehrere Dutzend potenzieller Neukunden vor dem Vereinsgebäude an der Rathausgasse stehen. Khaled Atriss schaut sich die Kartei daraufhin noch einmal genauer an, rechnet hin und her, bis 54 neue Namen in den Akten der Tafel stehen.
Dabei haben die 60 Mitarbeiter der Rotenburger Ausgabestelle eigentlich genug zu tun: Montags und donnerstags stehen jeweils von 14 Uhr an die Kunden Schlange. 110 Stück sind es im Schnitt – hinter jedem Inhaber eines Tafelausweises steht ein Kreis von einer Person bis hin zur Familie mit acht Kindern. Entsprechend schuften und schnauben die Ehrenamtlichen hinter der Ausgabetheke beim Stemmen der Kisten und Herausgeben der Lebensmittel. Man dürfe eben auch nicht vergessen, sagt Keitel, dass ein nicht unerheblicher Teil des Teams im gehobenen Alter ist – rüstige Rentner eben, die ordentlich anpacken. Vier bis fünf Stunden placken diese sich ab. „Da fangen die Beine schon mal an, zu wackeln. Das ist anstrengend“, sagt die 62-Jährige. Entsprechend gebühre dem Team Dank für die gute, freudvolle Zusammenarbeit, für Geduld, Verständnis und großes Engagement. Das gute Miteinander führt Keitel zu der Feststellung: „Wir sind nicht die Tafel Rotenburg, wir sind die Tafelfamilie Rotenburg“. Sie und Atriss sind voll des Lobes. Mehr könne man von der „Familie“ unter den aktuell herrschenden Bedingungen nicht verlangen. „Bei 110 ist einfach Schluss“, sagt Keitel zu der Durchschnittszahl an Kunden, die montags und donnerstags für drei Euro bei der Tafel einkaufen. Vor dem Krieg in der Ukraine seien es 60 bis 80 Kunden gewesen, sagt Atriss. „Dann wollten plötzlich alle zur Tafel, auf einmal standen 130 Ukrainer vor der Tür“, erinnert sich der Koordinator an die ersten Auswirkungen der Flüchtlingsbewegungen. Auf die Überlastung folgte der Aufnahmestopp, der nach der Aufnahme der 54 Neuen auch heute wieder gilt. Immer wieder gebe es Situationen, in denen die Mitarbeiter Menschen abweisen müssten, obwohl diese die Dokumente vorlegen können, die zur Nutzung der Tafel berechtigten. Mehr als die aktuell registrierten Menschen mit Lebensmitteln zu unterstützen gehe halt nicht, sagt Keitel. „Wir können auch nur weitergeben, was wir haben“, zeigt sie neben der Arbeitskraft eine weitere Grenze der ehrenamtlichen Leistungsfähigkeit auf. Das sei nun mal neben Obst und Gemüse eine begrenzte Menge an Fisch und Fleisch. Von den insgesamt 500 registrierten Kunden stammen 110 aus der Ukraine. Das auszusprechen, darauf legt Atriss großen Wert – „es zeigt eben, was hier alles geleistet wird“, stellt der Koordinator heraus. Dabei ist die Ausgabe selbst längst noch nicht alles, was in den Vereinsräumen passiert. Nicht nur montags und donnerstags sind vormittags sechs bis acht und nachmittags 12 bis 15 Ehrenamtliche auf dem Gelände an der Rathausgasse aktiv: Im Grunde hat das Team eine Fünf-Tage-Woche. Jeden Tag sind die Fahrer unterwegs, um Lebensmittel von Märkten abzuholen. Jeden Tag reinigen Ehrenamtliche die große Theke, an der Lebensmittel den Besitzer wechseln. Dazu kommen Austausch- und Erhaltungsarbeiten: So will der Verein den Toilettenraum restaurieren, darüber hinaus fließt viel Arbeit in die Regale. Neue Stahlböden sollen die Hygienestandards der Einrichtung noch weiter verbessern, sagt Keitel. Auch den derzeit noch eher spartanisch wirkenden Warteraum, in dem etliche Hinweis- und Infozettel den Ablauf erleichtern sollen, will sie etwas einladender gestalten. Das Projekt sei während der Corona-Zeit auf der Strecke geblieben, erklärt sie. Ein weiteres Vorhaben sind gemeinsame Kochnachmittage mit Kunden. Ein Aushang weist darauf hin, etliche Interessierte hat Keitel aber über persönliche Ansprache vom Mitmachen überzeugen können. „Wir kochen dann, was da ist und verwertet werden muss“, sagt die Leiterin der Ausgabestelle. Beim ersten Mal werde es Gemüsereis geben. Na dann, guten Appetit!