Wie Gespensterbäume entstehen / Krattwald in Buchholz lädt zum Entdecken ein - Von Christiane Looks

Unter der Wucht des Windes

Die sogenannten Kratteichen in Buchholz bei Wilstedt sind ein gesetzlich geschützter Landschaftsbestandteil. Foto: Joachim Looks
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Buchholz. In meiner Bücherkiste mit Wander- und Radtour-Unterlagen findet sich ein ziemlich abgegriffenes Wanderbuch für den Landkreis Verden aus dem Jahr 1981. Eine Arbeitsgruppe hatte auf gut einhundert Seiten rund siebzig unterschiedlich lange Routen ausgearbeitet, beschrieben, Sehenswertes herausgesucht und geeignete Kartenausschnitte erstellt. Teilweise überschreiten die Rundwanderwege Kreisgrenzen, so bei mehreren Empfehlungen für den Wedehof.

Der Wedehof ist ein sehr alter Wald an der Kreisgrenze zwischen Verden und Rotenburg. Ich konnte ihn mehrfach unter fachkundiger Führung mit Schulklassen besuchen. Die Ausflüge waren sehr beliebt. Kurzweilig verstand der Revierförster es, zappeligen Kindern immer klar zu machen, dass Wald wenig mit dem zu tun hat, was in einem der bekanntesten Kinderlieder vermittelt wird: „Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald. Es war so finster und auch so bitterkalt. Sie kamen an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein“. Angesichts eines fehlenden Knusperhauses musste zwar damit gerechnet werden, dass der eine oder die andere etwas enttäuscht gewesen sein mag, aber der Fachmann tröstete, Wälder wären früher eben gar nicht so finster gewesen, um dort ein Pfefferkuchenhaus zu verstecken.

Zur Erklärung fügte er an, dass der Bischof in Verden vor fünfhundert Jahren Rotenburger Bürgern erlaubte, Nutztiere im Herbst in den Wedehof zu treiben, damit die den Waldboden nach Eicheln und Bucheckern absuchten. Leicht schmunzelnd pflegte er festzustellen, dass ein etwaig vorhandenes Lebkuchenhaus so etwas bestimmt nicht überstanden hätte. Den andächtig lauschenden Fans von bunten Knusperhäusern leuchtete dieses ein.

Für die von ihnen geleisteten Schlossdienste auf der bischöflichen Burg in Rotenburg schenkte Bischof Berthold II. von Landsbergen 1488 den Bürgern Rotenburgs die Eichel- und Buchenmast im Wedehof – eine vermutlich freudig begrüßte Wohltat, sicherte doch die sogenannte Schmalzweide wohlgenährtes Vieh.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass im Mittelalter der Wert eines Waldes steuerlich nicht nach Holzertrag, sondern nach seiner Weidekapazität vor allem für Schweine beurteilt wurde. Waldbeweidung, bis ins 19. Jahrhundert verbreitet, verhinderte weitgehend das Aufkommen junger Gehölze und führte zu lichten, parkähnlichen Wäldern, in denen Pfefferkuchenhäuser sofort aufgefallen wären.

Einen vergleichbaren Einfluss auf das Aussehen von Wald hatte die mancherorts übliche Bewirtschaftung von Waldflächen zur Gewinnung von Brennholz durch das immer wieder praktizierte Kappen solcher Baumarten, die trotz dieser rabiaten Vorgehensweise nicht aufgaben, sondern aus dem Stock wieder ausschlugen. Als besonders interessant für eine Brennholzgewinnung dieser Art erwiesen sich Stieleichen, die sich unter der radikalen Nutzung teilweise zu verschlungen wachsenden Exemplaren entwickelten, die in Norddeutschland als Kratt bezeichnet werden.

Kratts entstanden aber nicht nur durch die Gewinnung von Brennholz, sondern auch dort, wo karge Boden- oder Windverhältnisse nur Kümmerliches zuließen, das sich mühsam gegen widrigste Bedingungen durchsetzen musste. Als Gespensterwald habe ich solche Waldstücke hoch oben an Steilküsten unmittelbar am Abgrund zur Ostsee kennengelernt. Faszinierend wahrzunehmen, wie Sturm über dieses Labyrinth von zusammengewachsenen Bäumen hinwegfegt und nur wenige Meter von der gefährlichen Abbruchkante zum Strand hin deutlich weniger von der Wucht des Windes zu spüren ist – fast knusperhaustauglich!

Kratts an einer Steilküste kann der Landkreis Rotenburg nicht bieten, aber einen überregional bedeutenden Eichenkratt, gesetzlich geschützt als Landschaftsbestandteil. Er liegt am Rande des Teufelsmoores bei Buchholz.

Wer von Quelkhorn im Landkreis Verden über die K 113 nach Buchholz kommt, auf der Straße bleibt und den Ort Richtung Wilstedt wieder verlässt, wird nach rund 800 Metern den bewaldeten Holzberg erreichen. Gleich zu Beginn führt linkerhand ein Weg an einer ehemaligen Sandgrube vorbei und teilweise schmal, sandig sowie recht steil zu dem linksseitig gelegenen Areal, auf dem sich die bizarr gewachsenen Kratteichen befinden. Auch wenn ihr skurriler Wuchs zum Klettern einlädt: es sind keine Kletterbäume! Im Gegenteil, der lebenswichtigen Rinde dieser geschützten Bäume drohen Verletzungen, die zum Absterben wichtiger Baumteile führen könnten. Deshalb – Anschauen: ja, Klettern: nein!

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