Vom beschaulichen Stimmungsbild zur Biotopkartierung - Von Christiane Looks

Sommer an der Oste

Echtes Mädesüß u2013 eine Kenn-Art feuchter Hochstaudenfluren in einem geschützten Versuchsgatter.
 ©Joachim Looks

Eversen. Mathematik war in den letzten drei Jahren vor dem Abitur nicht gerade mein Lieblingsfach, weil die immer ein wenig mürrisch wirkende Mathematiklehrerin nach dem Prinzip unterrichtete: Lob schadet, Lernerfolge ergeben sich nur durch Kritik. Ein einziges Mal überraschte sie, als kurz vor Weihnachten eine Geschichte vorgelesen wurde: „Tipsys sonderliche Liebesgeschichte“ von Else Hueck-Dehio, eine 1959 verfasste Idylle aus Estland.

Mich faszinierte die Fähigkeit der baltischen Schriftstellerin, Stimmungen einzufangen: „…das Rieseln der Sonnenhitze zwischen den Eichenblättern. Alles schwieg, der Wald, die Wiese, das moosige Dach der Kleete (Scheune), die Hofhäuser zwischen ihren verwilderten Fliederhecken.“ Im selben Jahr trugen engagierte Mitglieder des Kreislehrervereins Bremervörde Material zusammen, in dem eine vergleichbare Sommerstimmung an der Oste geschildert wurde: „Hochsommer! Heiß brennen Sonnenstrahlen auf Wiesen und Felder. Goldgelb leuchtet der sich schon neigende Roggen. Die Kartoffeln stehen üppig im Kraut, die Rüben lassen ihre Blätter müde hängen.“

Der Autor malte seinen sommerlichen 50er-Jahre-Eindruck aus und zählte auf, was die „Wischen“, die quelligen Oste-Wiesen, über die er anschließend streifte, bereit hielten: Arnika, Baldrian, Blutweiderich, Ehrenpreis, Helmkraut, Weidenröschen, Günsel, Wassernabel, röhriger Wasserfenchel, Sumpf-Herzblatt, Sumpf-Kratzdiestel, Sumpf-Ziest, Zaun-Winde.

Weniger poetisch liest sich das Kartierungsverzeichnis einer als Mähwiese genutzten, artenreichen Oste-Wiese ein halbes Jahrhundert später. Akribisch, wie dieses eine Biotopkartierung erfordert, ist aufgelistet, welche Pflanzenarten in welcher Verteilung (beispielsweise Einzelexemplar, zerstreut oder dominant) auftreten.

Es wird geklärt, ob in Niedersachsen gefährdete Pflanzen (Rote-Listen-Pflanzen) darunter sind, und der vorgefundene Biotoptyp anhand festgestellter Pflanzen bestimmt.

Neun unterschiedliche Grasarten konnten in dem untersuchten Gebiet identifiziert werden und zehn krautige Pflanzen, darunter die beiden Rote-Listen-Pflanzen Wasser-Greiskraut (Senecio aquaticus) und röhriger Wasserfenchel (Oenanthe fistulosa), der ebenfalls in der weiter oben beschriebenen Oste-Wiese in den 50er-Jahren anzutreffen war. Zwölf Pflanzen, zu denen unter anderem echtes Mädesüß, brennender Hahnenfuß oder die wilde Sumpfkresse gehörten, aber auch das Rohrglanzgras oder Schilfrohr führten zu der Festlegung, dass es sich im Fall der untersuchten Oste-Wiese um den Biotoptyp „Nährstoffreiche Nasswiese“ handelte, ein geschützter Biotoptyp, auch wenn dort ganz profan die große Brennnessel gefunden wurde, eine Zeigerpflanze für stickstoffreichen Boden. Sie bestätigte die Einordnung der Mähwiese an der Oste als nährstoffreichen Biotoptyp.

Die weiter oben in den 50er-Jahren beschriebenen quelligen Wischen an der Oste würde heute wohl als feuchte Hochstaudenflur eingeordnet mit Kostbarkeiten wie die selten gewordene Arnika (Arnica montana) oder dem Sumpf-Herzblatt (Parnassia palustris), von dem es 1988 nach Haeupler/Schönfelder „Atlas der Farn- und Blütenpflanzen der Bundesrepublik Deutschland“ lediglich noch drei Standorte im Landkreis Rotenburg gab. Einer davon lag an der Oste auf Rotenburger Kreisgebiet. Heute finden weder er sich, noch die beiden anderen in amtlichen Kartierungsverzeichnissen. Bedingungen für den Erhalt dieser an besondere Standorte gebundenen Pflanze änderten sich durch Grundwasserabsenkungen, Verfüllungen von Senken, Entwässerungen, Kultivierungsmaßnahmen und Aufforstungen unter anderem von Moorstandorten. Mittlerweile wird das konkurrenzschwache Sumpf-Herzblatt vor allem durch die Nährstoffanreicherung von Böden durch Luft- oder Düngereintrag verdrängt.

Als mein Mann und ich uns im Sommer 2020 an einem heißen Tag auf die Suche nach artenreichen Nasswiesen an der Oste machten, folgte uns ein Pirol, der unermüdlich unseren Streifgang über die Wischen mit seinem Gesang begleitete und uns auch noch erfreute, als wir den Weg zurück antraten. Bei Else Hueck-Dehio findet sich bei der gleich zu Beginn beschriebenen Hochsommerszene ein Bild, das dem Hochsommererlebnis an der Oste nahe kommt: „In der flimmernden Luft aber stand ein Ton – man konnte ihn fast nur fühlen, nicht hören – ein süßer, alles verzaubernder Flötenton. Wenn man genauer hinhörte, konnte es vielleicht auch ein Pirol sein…“

28.02.2021

Landpark Lauenbrück

12.02.2021

Winterlandschaft in Rotenburg

22.12.2020

Weihnachtsbilder

29.10.2020

Herbstfotos der Leser