Brockel. Ferien bei meinen Großeltern im Holsteinischen waren Abenteuer, was an meinem Großvater lag, der es liebte, Enkel mit Überraschungen in seinen Bann zu ziehen. Mehr als einmal schlug Großmutter die Hände über dem Kopf zusammen, wenn müde, aber überdreht glückliche Ferienkinder mit zerrissener Jacke oder Hose nach einem Ausflug in ihre Küche stürzten und aufgeregt berichteten, dass Opa mal wieder mit ihnen über und unter Stacheldrahtzäunen zur Autobahn gewandert war, wo auf einer Böschung eine von allen Enkeln bewunderte Rundhütte stand.
„Gustav“, wurde unser Anführer mehr als einmal kopfschüttelnd gefragt, „muss so was sein?“ Es musste, und Großmutter blieb nichts anderes übrig, als entstandenen Schaden an Kinderkleidung auszubessern.
Von meinem Großvater lernten wir auch durch vorsichtiges Anblasen eines sorgfältig mit beiden Händen geformten Hohlraumes, den Ruf eines Käuzchens täuschend echt nachzumachen: huhuhuh, huuuh, huhuh… Der Foxterrier des Hauses spitzte dann die Ohren und begann zu jaulen, was dazu führte, dass wir unsere Käuzchenrufübungen nicht im Haus, sondern draußen zu absolvieren hatten. Käuzchen, das waren im Dorf meiner Großeltern Waldkäuze. Sie lebten in einem nahen Laubwald, und ihre markanten Rufe waren zu bestimmten Jahreszeiten nachts deutlich zu hören. Viele Kinder im Ort fürchteten sich vor den nächtlichen Rufern, die, wie uns ahnungslosen Besuchern bedeutungsvoll mitgeteilt wurde, Unheil brächten. Erschrockene Fragen beim Großvater ergaben, dass dies Unsinn sei. Außer dem stolz erlernten „Huh“-Ruf des Männchens gäbe es auch andere Laute. So würden junge Waldkäuze wie schlecht geölte Türen quietschen und Kauzweibchen sich mit „Kuwitt“ melden, aus dem ängstliche Menschen ein „Komm mit“ herauszuhören meinten. In einen nächtlichen Wald? Unvorstellbar für uns. Dort war alles dunkel und irgendwo knackten bestimmt Äste, ohne dass gesehen werden konnte, wer darauf trat. Ich erinnere gut das verschmitzte Gesicht unseres Informanten. Nachts, so wurden wir belehrt, hätten Kinder nicht nur im Wald, sondern auch außer Haus überhaupt nichts alleine zu suchen. Waldkäuze sind Höhlenbrüter. Sie nehmen gerne Hohlräume in alten Bäumen an, wie sie in einem naturbelassenen Wald, aber auch in alten Parkanlagen oder bei alten Friedhöfen zu finden sind. Auf dem Land wurden letztere oft am Dorfrand oder sogar außerhalb in der Nähe eines Waldes angelegt. Erscholl das „Kuwitt“ eines Waldkauzweibchens aus Friedhofnähe von einem Waldrand, förderte dieses den Aberglauben vom „Komm-mit“-Ruf. Ein weiteres kam hinzu: Waldkäuze, wie alle nachtaktiven Tiere, fühlen sich von Lichtquellen angezogen. Im Gegensatz zu heute waren Nächte in vergangener Zeit ohne öffentliche Beleuchtung tatsächlich dunkel. Brannte in Häusern Licht, zog es nicht nur Nachtfalter dorthin, sondern auch den Waldkauz. Erleuchtete Häuser gab es aber selten, weil lange Arbeitstage mit schwerer, körperlicher Arbeit und dem üblichen frühzeitigen Aufstehen wenig Spielraum für längeres Aufbleiben ließ. War aber jemand krank, blieb nachts in dem betroffenen Haus das Licht an. Dies lockte nachtaktive Tiere. Waldkäuze und ihre Rufe waren deshalb in der Nähe erleuchteter Fenster nicht selten. Verstarben Kranke und rief in den Nächten vor dem Tod ein Waldkauzweibchen, zementierte dieses die Mär vom Todesruf des Käuzchens. Auch Holzfäller fürchteten diesen Ruf und reagierten mit erhöhter Aufmerksamkeit bei ihrer gefährlichen Tätigkeit. Aber gerade unter Anspannung werden Fehler gemacht. Selbst Bergleute, die in einsam gelegenen Minen des Harzes oder im Thüringer Wald Mineralien und Erze abbauten, gingen mit Unbehagen in ihre nach heutigem Sicherheitsstandard absolut unsichere Stollen, wenn sie das „Kuwitt“ des Kauzes vernahmen. Passierte was, hatte der Waldkauz es angekündigt. Natürliche Waldkauznistmöglichkeiten sind keine Selbstverständlichkeit. Verkehrssicherungspflicht, Ordnungssinn und Angst vor Schädlingen führen dazu, dass Höhlenbäume beseitigt werden, obwohl dieses nicht immer nötig ist. Dort können künstliche Nisthilfen einspringen. In Brockel gibt es einen Nistkastenweg, zu dem ein Eulenkasten gehört, dessen Typ für Waldkäuze empfohlen wird. Wer schräg gegenüber der Brockeler Kirche die Dorfstraße nutzt, biege nach ungefähr 200 Meter links in die Straße Ostende ein, der etwa 550 Meter gefolgt wird – bis zum Abzweig Großer Weideweg auf der rechten Straßenseite. Nach dem Bebauungsende beginnt der Nistkastenweg. Er macht nach rund 500 Meter einen Knick nach links, während ein anderes Wegestück geradeaus weiter verläuft. Diesem Stück nicht folgen, sondern sich links weiter in Richtung des Trochelwaldes orientieren. Nach 250 Meter wird der Waldrand erreicht und hier endet auch der Nistkastenweg. Eine Informationstafel berichtete einiges zu dem dort aufgehängten Kasten, erläutert Wissenswertes zum Waldkauz und verweist auf den Aberglauben mit dem angeblich unheilbringenden Ruf.