Warum es nur Pluspunkte für die Waldschlüsselblume gibt - Von Christiane Looks

Robuster Frühlingsbote

Frühlingsbote: die Wald-Schlüsselblume. Foto: Joachim Looks
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Ahausen. Der Samstagnachmittag war in meinem Elternhaus ein ungeliebter Tagesabschnitt, denn zur Vorbereitung des Sonntags musste der vom Verbindungsweg zwischen Gutsbezirk und Dorf einsehbare Vorgarten zurecht gemacht werden, weil jeder vom Gut, wenn er im Dorf etwas zu tun hatte, nach Ansicht meiner Mutter neugierig in unseren Garten schaute, um nachzusehen, ob Lehrers Vorgarten auch sonntäglich aussah. Also hackte und harkte die kleine Schwester alle Wege, zu mehr war sie nach Ansicht meiner Mutter noch nicht reif, während sie sich um den hinterm Haus gelegenen Nutzgarten kümmerte.

Meine Aufgabe als Älteste der Geschwister war es, die Kleine im Blick zu behalten und für Ordnung in den zahlreichen Blumenbeeten zu sorgen – nach mütterlicher Ansicht die angemessene Aufgabe für die Große.

Mein Bruder widmete sich derweil mit Hingabe dem sogenannten Raritätengarten, der sich im Laufe mehrerer Lehrergenerationen zu einem wahren Schatzkästchen entwickelt hatte. Die besonderen Lieblinge meines Bruders waren zahlreiche Primeln. Später, als er nach seiner Ausbildung zum Gärtner über ein noch breiteres Wissen verfügte, vermittelte er seinen staunenden Schwestern, dass in unserem Garten nicht Primeln, sondern Aurikeln (Primula auricula), Wald- (Primula elatior) und Wiesen-Schlüsselblumen (Primula veris) wuchsen. Auch hier öffnete er uns die Augen, dass Schlüsselblume nicht gleich Schlüsselblume sei. Erst dieser Hinweis führte dazu, dass mir der Unterschied zwischen Wald- und Schlüsselblumen auffiel.

Ein freundlicher Leser der Natur-Looks-Kolumne stellte mir den 1988 herausgegebenen Atlas der Farn- und Blütenpflanzen der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung. In ihm gibt es Verbreitungskarten für Wald- und Wiesenschlüsselblumen. Die hier festgehaltenen Kartierungen zeigen für den Landkreis Rotenburg eine größere Anzahl von Wald-Schlüsselblumen-Vorkommen vor allem im Altkreis Rotenburg, während dort nur ein einziges Vorkommen der Wiesen-Schlüsselblume aufgeführt wird, für das es „…noch weiterer Klärung bedürfe“, wie in den Anmerkungen zu einzelnen Arten festgehalten wird.

Der aktuell gültige Landschaftsrahmenplan des Landkreises Rotenburg nennt in seiner Textkarte zu Pflanzenvorkommen von herausragender Bedeutung fünf Wald-Schlüsselblumen-Standorte. Aufzeichnungen zu geschützten Biotopen nach Paragraf 30 Bundesnaturschutzgesetz erwähnen weitere 21 Standorte. Eigentlich müsste es hier im März und April an vielen Stellen Schlüsselblumen geben. Dies ist aber nicht so. Dabei ist Primula elatior eine unkomplizierte Pflanze. Sie ist robust, liebt frische, feuchte Böden, wächst entlang von Bachrändern, in Au- oder Eichen-Hainbuchen-Wäldern, an lichten Waldrändern in sonnig-halbschattiger Lage, versamt sich leicht. Es sind geänderte Bedingungen in ihrem Umfeld wie Entwässerungsmaßnahmen für angrenzende Nutzungen, die dazu führen, dass diese liebenswerte Pflanze nicht nur im Landkreis Rotenburg im Rückzug begriffen und gefährdet ist. Sie steht mittlerweile als besonders geschützte Pflanze unter Naturschutz.

Frustriert akzeptieren, dass nur noch mit Glück an geeigneter Stelle die ersten Farbtupfer des sympathischen Frühlingsbotens entdeckt werden können? Das muss nicht sein. Die Wald-Schlüsselblume ist eine bekannte, alte Gartenstaude, die in Naturgärten beispielsweise als Gehölzunterpflanzung rasch ihren Platz einnimmt, wenn der Boden nicht austrocknet. In gut sortierten Gärtnereien ist Primula elatior problemlos zu halten. Sie wurde früher wie die Wiesen-Schlüsselblume (Primula veris) bei Erkältungskrankheiten genutzt, ruft aber unter Umständen Magenschmerzen, Übelkeit oder allergische Hautreaktionen hervor. In meinem Elternhaus aber nie, denn meine Mutter war der Ansicht, dass es nichts besseres für schniefende Kindernasen gäbe, als Erkältungen mit hauseigenem Fliederbeersaft auszukurieren.

Insekten dagegen stehen nicht auf heißem Fliederbeersaft. Hummeln und Schmetterlinge, ausgestattet mit langem Saugrüssel, fliegen Wald-Schlüsselblumen gerne als Nahrungsspender an, ohne Allergieprobleme – ein weiteres Argument, Primula elatior ins eigene Zuhause einzuladen. Solchen Insektenkollegen der längeren Saugrüsselfraktion möchten aber die der anderen Fraktion mit kürzerem Saugrüssel nicht nachstehen. Sie stechen in Blütenkelche oder wenden die Taktik des Aufbeißens an, um, ohne Blütenstaub zu übertragen, seitlich an Nektar zu kommen – gewusst wie!

Zu Ostern wurden Eier früher zusammen mit Schlüsselblumenblüten hart gekocht und dadurch gelb gefärbt. Eine Praxis, die in meinem Elternhaus strikt abgelehnt wurde, denn nie hätte mein Bruder es akzeptiert, dass seine umhätschelten Schlüsselblumen so missbraucht wurden. Wir verwendeten Zwiebelschalen für weißschalige Eier…

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