Serie „Mein Tag als ...“: Tierfotograf beim Weihnachts-Shooting - Von Andreas Schultz

Wiehern aus der Dose

Trotz seines jungen Alters von gerade einmal sechs Monaten stellte sich Flanny vor der Kamera besonders geschickt an. Foto: Andrea Zachrau
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Hellwege/Bleckwedel. Kunstnebel im Stall, die beiden Studioblitze sorgen einen Sekundenbruchteil für Helligkeit zwischen den Pferdeboxen. Gleichzeitig erklingt das etwas schnalzende Klicken, das für Spiegelreflex-Kameras so typisch ist. Andrea Zachrau betätigt an diesem Samstag mehrere hundert Male den Auslöser und hält damit eine ganze Reihe Tierfreunde und ihre vierbeinigen Lieblinge für die Ewigkeit fest. Das Motto des Shootings: Weihnachten, stimmungsvolle Bilder sollen entstehen. Ich helfe dabei, wo ich kann, und zwischendurch klickt auch meine Kamera zur blitzartigen Helligkeit.

Als ich an diesem winterkalten Morgen auf den Hof des Gestüts Amal in Bleckwedel einbiege, steht Andrea schon auf dem Kopfsteinpflaster und lichtet das erste Tier-Halter-Paar ab. Die Hellwegerin – das stellt sich schnell heraus – ist hier mit allen per Du. Keiner lässt einen Zweifel daran, dass das auch für den Eintagspraktikanten gilt. Distanz, wie die Fotografin sie auch aus ihrer journalistischen Arbeit kennt, ist im Zusammenspiel vor und hinter der Linse eher hinderlich. Außerdem sind die meisten der Kunden sozusagen Wiederholungstäter. „Wir machen das jetzt schon vier Jahre auf dem Gestüt Amal. Für 90 Prozent der Leute ist das heute nicht das erste Mal“, sagt Andrea. Man kennt sich halt. Und das über Bundesländer hinweg: Eines der Models, Ramona, hat den weiten Weg aus Unterfranken hinter sich, um sich in Brautkleid und mit Pferd ablichten zu lassen.

Kochendes Wasser sprudelt aus der Kanne in den Topf. Der Effekt, der sich bei der Reaktion mit dem dort wartenden Trockeneis einstellen soll, lässt nicht lange auf sich warten: Nebel steigt aus dem Behälter und breitet sich in Bodennähe im Stall aus. Andreas Freund Sebastian greift ihr bei diesem Shooting unter die Arme und rückt den Behälter so hin, dass die Luftströmung das flüchtige Weiß gleichmäßig verteilt. Die Handgriffe zeigen, dass er im Umgang mit der Chemie einige Routine hat. Gezieltes Pusten, ein bisschen Fächern: Schon stehen Nadja und die vierjährige Pferdedame Amelie vom Gestüt im Nebel. Letztere weiß anfangs noch nicht so recht, was sie mit der komischen, dampfartigen Suppe anfangen soll, begegnet dem Fremdartigen aber schon nach wenigen Minuten gelassen. So dauert es auch nicht lange bis die ersten brauchbaren Bilder auf der Speicherkarte des Fotoapparates landen. Das ist gut für den Zeitplan und gut fürs Tier. Knapp eine halbe Stunde stehen menschliches und tierisches Model zusammen jeweils vor der Kamera. Mehr wäre auch kaum zu machen, weiß die Expertin. Der Grund ist schnell erklärt: Tiere haben nicht die Geduld, die Menschen vor der Linse an den Tag legen. Still und aufmerksam in die Kamera blicken, das sind Tätigkeiten, deren Sinn nur Zweibeiner verstehen. „Die Herausforderung liegt darin, die Seele des Tieres einzufangen, sein Wesen zu zeigen“, erklärt Andrea. Und dazu braucht man seine Aufmerksamkeit. Die zu bekommen, wird mit voranschreitender Zeit im Aufbau-Studio kniffliger. Wenn dann noch Spezialeffekte wie der Trockeneisnebel dazukommen, „wird das schwierig für manche Pferde. Sie kennen das nicht. Die meisten kommen aber nach kurzer Eingewöhnungszeit damit klar“.

Wiehern hallt durch den Stall, und es klingt blechern. Irgendwie passend, handelt es sich doch um einen Ton „aus der Dose“. Eine Aufnahme ertönt per Druck auf das Smartphone-Display. Das Dosenwiehern gehört während meines Tierfotografen-Praktikums zu meinen Hauptaufgaben – und ich rede mir ein, damit viel Verantwortung zu tragen. Der Ton sorgt dafür, dass das Model-Pferd mir für einen Augenblick Aufmerksamkeit schenkt. Zum Glück hat sich irgendjemand die Arbeit gemacht, zwei Dutzend solcher Töne in einer App abrufbereit zu machen. Blick und Pferdeohren wenden sich in meine Richtung und damit auch der Fotografin zu. Einige Pferde – vor allem Amal, der eigentlich unbeteiligt in der Nachbarbox zuschaut – antworten mir wiehernd. Andere schauen mich fragend oder verständnislos an. Blitz-Klick, Blitz-Klick, Blitz-Klick wechselt sich mehrfach mit blechernem Pferdelaut, ehe wir die Szene neu arragieren und vom Innenraum des Stalls in den Torbereich wechseln. Das Smartphone landet für einen Augenblick in der Gesäßtasche, ich bücke mich, greife einen Studioblitz und trage ihn in Richtung Tageslicht bis sich die Kabeltrommel wehrt. Sebastian tut es mir mit dem gegenüberliegenden Blitz gleich. Danach passt er die Helligkeit der Schirme den neuen Lichtverhältnissen an. Im Hintergrund dudelt eine Playlist das Neueste von Ed Sheeran und seinen Musikerkollegen. Pferd und Model sind neu arrangiert, Fotografin und Kundin wechseln Anweisungen und Wünsche aus. Dann geht es weiter: „Andreas, kannst du noch mal wiehern?“

Wie in der Formel 1

Es sind einfache Handgriffe, die sich in ihrer Abfolge halbstündig wiederholen. Aber sie müssen gemacht werden – am besten im Team. Müsste sich eine Person allein mit Arrangement und Fotografieren auseinandersetzen, der Zeitplan wäre mit Sicherheit nicht zu halten. „Das ist wie bei der Formel 1“, konstatiert Sebastian. Einer stehe im Vordergrund, aber ohne die Helfer im Hintergrund gehe es halt nicht. Ich nicke und fange an zu grübeln. Andreas Bilder spiegeln Leichtigkeit und Freude wider. Von den Stunden des Aufbauens, von zwei Kombis voller Ausrüstung und Weihnachtsdekoration, die be- und entladen werden wollen, merkt man auf den hochauflösenden Werken allerdings nichts. Vier bis sechs Leute sind beim Weihnachts-Shooting in der Regel mit dem Aufbau und Dekoration beschäftigt. Der Baum muss geschmückt werden, bunte Geschenke werden drapiert und in Szene gesetzt, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Aufwand für die „normalen“, übers Jahr verteilten Foto-Termine in Deutschlands Pferdeställen fällt oft etwas geringer aus: Das mobile Studio inklusive sondergefertigtem schwarzen Hintergrund (Maße: vier mal sechs Meter) passt in Andreas Mini. „Muss ja auch gut transportierbar sein. Das Auto ist dann aber auch echt voll“, sagt sie.

Spätes Mittagessen, Gestüts-Chefin Anita Scheele kredenzt eine kräftige Suppe mit Wurststücken. Als Beilage Brötchen. Genau das Richtige für mich, denn bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, Herbst-Outfit und Tätigkeiten, die nur wenig Bewegung erfordern, bin ich zum zitternden menschlichen Eiszapfen geworden. Und ich bin der einzige, dem es so geht. Oder alle anderen lassen es sich nicht anmerken. Jedenfalls scheint an dem Vorurteil, dass Frauen schneller frieren, nicht viel dran zu sein. Oder Reiterinnen sind einfach dem Wetter gegenüber abgehärtet. Sie stellen nämlich den Löwenanteil der Kunden, die heute vor der Kamera stehen. „95 Prozent meiner Kunden sind Frauen“, überschlägt die Fotografin und bestätigt damit meinen Eindruck. „Freizeitreiter sind aber auch eher weiblich. Das ist bei den Sportreitern anders, aber die sind auch nicht so meine Kunden“, erklärt Andrea.

Nach der Mittagspause geht es stürmischer zu. Jetzt kommen gelegentlich auch Kinder mit ins Bild. Ich vemute zunächst, dass die Situation vor der Kamera noch weniger berechen- und kontrollierbar ist, die braven Kleinen beweisen allerdings das Gegenteil – was auch Anitas Verdienst ist: Sie entpuppt sich als waschechte Kinderanimateurin. Mithilfe von Rentier- und Schneemann-Pappaufstellern hat sie das Lachen der Kleinen auf ihrer Seite.

Und dann bin auch ich mal dran, den Auslöser zu betätigen. Mit Sebastians Hilfe schließe ich meine kleine Nikon D3200 an den Funkauslöser an, der das Singal an die Studioblitze weitergibt. Die Fotografin wird zum Model und lässt sich mit ihrem sechs Monate alten Flanny ablichten. Der stellt sich an wie ein echter Profi, sodass die einzige Hürde für mich in den richtigen Belichtungseinstellungen liegt. Auch Anja erklärt sich bereit, sich mit Pferd von mir fotografieren zu lassen. Allerdings sträubt sich das Tier etwas. Und die Kamera mit dem 85 Millimeter Festbrennweitenobjektiv wiegt ein ganzes Stück mehr als meine Amateur-Spiegelreflexkamera. Da sich die Brennweite nicht verstellen lässt, reguliere ich den Abstand allein dadurch, dass ich mich selbst bewege. Ungewohnt. Während ich beim Fotografieren die zweieinhalb bis drei Kilo durch die Gegend trage, Anweisungen murmele und Andrea bitte, mal zu wiehern, wächst mein Respekt vor einem ganzen Tag mit Blick durch den Sucher. Dabei ist das die Standardvariante – zumindest im Vergleich zu dem, was meine Chefin-für-einen-Tag sonst so macht. Sie erzählt vom aufwendigen Sternentaler-Shooting bei Nacht, von Nebelmaschinen- und Rauchbombeneinsatz, von Bodypainting, das bei Mensch und Pferd zur Anwendung kommt. Für ihre Holi-Motto-Bilder, bei dem Pulver in etlichen Farben einen besonderen Effekt erzielt, ist sie mehrfach ausgezeichnet worden. Foto-Sessions im Avatar-Stil hat es schon gegeben. Darüber hinaus würde sie gern mal ein Shooting mit Zombie-Motto machen, angelehnt an ihre Lieblingsfernsehserie. „Außerdem bin ich immer offen für Ideen.“

Der Tag neigt sich dem Ende. Ich erwische mich dabei, wie ich eine halbe Stunde lang meine Hände am Feuerkorb aufwärme, anstatt meinen Praktikantenpflichten nachzukommen. Als ich mich zurückmelde, wird klar, dass ich sowieso nicht mehr viel tun kann. Vor der Fotografin liegen am Ende Stunden der Bildauswahl, mehrere Gigabyte Material müssen gesichtet, die besten Bilder herausgepickt werden. Dafür braucht es Fingerspitzengefühl. Die ist bei mir in diesem Augenblick Mangelware. Ich reibe meine inzwischen wieder gefrorenen Hände und verabschiede mich.

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